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Finanzkrise und die Werft-Malocher:Dann ist mein Vater weniger wert

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Es sollte ein Film über Schiffsbau werden - am Ende ging es nur noch um die Arbeiter einer Werft: Die Lehman-Pleite wirbelte genau dann ihr Leben durcheinander als Regisseur Dieter Schumann dort drehte. So wurde er Zeuge, wie die Krise mit großer Wucht die Menschen traf - und eine ganze Stadt entzweite.

Hans von der Hagen

Dieter Schumann, 58, war fünf Jahre zur See gefahren, bevor er seine Ausbildung zum Dokumentarfilmer begann. Schon immer wollte er einen Film über eine Werft machen - wie in einem Zusammenspiel zahlloser Unternehmen ein Schiff entsteht. Doch als er in Wismar auf der heute Wadan Yards genannten Werft drehte, kam alles anders. Nun trägt sein Film Wadans Welt*) den Untertitel: Von der Würde der Arbeit .

Copyright: Gebrüder Beetz Filmproduktion

Im Interview beschreibt Schumann, wie die Krise die Arbeiter traf - und eine schleichende Entsolidarisierung einsetzte. Es sei eine der erschütternsten Situationen gewesen, die er in den 30 Jahren als Dokumentarfilmer miterlebt habe, sagt er.

Schumanns bekanntester Film entstand Ende der achtziger Jahre: Sein Musik-Roadmovie Flüstern und Schreien kam in der DDR kurz vor der Wende in die Kinos. Vor kurzem erhielt er für Wadans Welt den Deutschen Kamerapreis.

sueddeutsche.de: Das letzte Filmprojekt ist Ihnen aus dem Ruder gelaufen ...

Dieter Schumann: Wir wollten einen Film über den Bau von Schiffen drehen und fingen damit an, als von einer Krise in dem boomenden Geschäft mit den Schiffen noch nichts zu ahnen war. Die Auftragsbücher der Wadan-Werft in Wismar waren voll. Unser Arbeitstitel war: "Schiffsbau 2010". Doch dann knallte es: Die Finanzkrise kam dazwischen.

sueddeutsche.de: Schiffsbau 2010 - man ahnt, dass so ein Titel den Zuschauer ins Kino lockt.

Schumann: Er klingt in der Tat profan. Aber ich bin selbst einige Jahre Seemann gewesen und mich hat immer fasziniert, was so ein Schiff im Sturm auf offener See alles aushalten muss. Der moderne Schiffbau ist hochkomplex, da wuseln Hunderte Firmen in einer riesigen Halle - als Laie sieht man dort überhaupt kein System. Ich wollte im Film zeigen, wie so ein gewaltiges Netzwerk funktioniert.

sueddeutsche.de: Wann wurde klar, dass das ursprüngliche Konzept nicht zu halten war?

Schumann: Begonnen hatten wir mit den Dreharbeiten im Sommer 2008. Damals wurde die Werft gerade vom Russen Andrej Burlakow übernommen. Ein russischer Eigner in einer deutschen Werft - das war vielversprechend, weil da zwei Kulturen aufeinanderprallten. Doch kurz darauf kam es zur Lehman-Pleite und es dauerte keine drei Wochen, bis das Frachtaufkommen gleich um 30 bis 40 Prozent einbrach - vor allem zwischen den USA und China. Es war wie bei den Finanzprodukten. Alle dachten, dass das Wachstum immer weitergehen würde und keiner schaute mehr, ob das geplante künftige Angebot an Frachtern überhaupt noch benötigt wurde.

sueddeutsche.de: Gab es Vorbehalte gegen den Einstieg eines Russen?

Schumann: Erstaunlicherweise nicht. Es half wohl, dass zu DDR-Zeiten die Sowjets Hauptauftraggeber für diese Werft waren. Viele konnten noch russisch dort. Außerdem hatte ich den Eindruck, dass es vielen egal war, wem das Unternehmen gehört. Einer sagte: Hauptsache, er könne morgens um sechs Uhr zur Arbeit kommen.

sueddeutsche.de: Wann begannen die Arbeiter zu ahnen, dass die Krise im fernen Amerika sie persönlich treffen könnte?

Schumann: Das kam schleichend, weil sich viele in falscher Sicherheit wiegten. Nicht nur, weil die Auftragsbücher voll waren, sondern auch, weil es ein Urvertrauen in den Staat gab. Der hatte in der Unternehmensgeschichte wiederholt die Werft aufgefangen.

sueddeutsche.de: Warum gleich mehrmals?

Schumann: Weil es immer wieder schiefging: Staatliches Geld floss in die Wadan-Werft rein, private Geschäftsleute zogen das Geld wieder raus. Unfassbar, dass der Staat alles mit sich geschehen ließ. Um das mal vorzurechnen: Der frühere norwegische Besitzer, Kjell Inge Røkke, hat die Werften für 120 Millionen Euro vom Staat gekauft, der zuvor 1,2 Milliarden Euro da reingesteckt hatte. Später verkaufte Røkke für 290 Millionen Euro.

sueddeutsche.de: Wann wurde aus der Ahnung Gewissheit?

Schumann: Es gab da eine denkwürdige Szene auf der Werft: Der Vorarbeiter der Schweißerbrigade, schon 35 Jahre im Unternehmen, erzählte uns eines Morgens, dass an diesem Tag ein bereits produziertes Teil wieder auseinandergeschweißt und verschrottet werden müsste. So etwas habe er ganz selten erlebt. Millionenschwere Teile waren plötzlich nichts mehr wert. In dieser Zeit brach die Finanzierung der laufenden Projekte zusammen. Acht Monate nach dem Lehman-Kollaps war die Werft pleite.

sueddeutsche.de: Reagierten die Arbeiter mit Wut oder Resignation?

Schumann: Das Problem war: Der Feind war nicht auszumachen. Die eigene Werft wurde irgendwo weiterverkauft, die Aufträge wurden irgendwo gestrichen - die Kräftespiele am Weltmarkt entschieden über das Schicksal der Wadan-Werft und damit einer ganzen Stadt. Ein Drittel des Einkommens der Bürger hing an dieser Werft.

sueddeutsche.de: Veränderte sich in der Krise Ihr Verhältnis zu den Arbeitern?

Schumann: Viele wollten mit uns nicht mehr reden. Die Insolvenz zerstörte das Selbstbewusstsein, den Stolz auf die Berufstradition und die Werft. Vorher hieß es: "Wir gehören zu den besten Schiffsbauern der Welt." Jetzt mussten sie Aufhebungsverträge unterzeichnen, damit sie nicht auf der Straße standen. Nur mit diesen Verträgen durften sie in eine Auffanggesellschaft wechseln, die ihnen noch für einige Zeit etwa 80 Prozent des regulären Gehaltes zahlte. Dafür aber mussten sie alle Rechte und Konditionen aufgeben, die ihnen teils aus einem langen Arbeitsleben erwachsen waren.

sueddeutsche.de: Wie lange konnten sie in der Transfergesellschaft bleiben?

Schumann: Höchstens ein halbes Jahr. Doch dann übernahm der nächste russische Investor die Werft. Ein Teil der Arbeiter durfte bleiben: Von 2400 Arbeitern in Wismar und Warnemünde sollte die Hälfte wieder eingestellt werden. So sahen es jedenfalls die Vereinbarungen mit Gläubiger und dem Staat vor. Davon durften zunächst aber nur 400 wieder zur Arbeit kommen. Andere waren nur noch Leiharbeiter auf gleicher Position.

sueddeutsche.de: Wurden die Zusicherungen von damals eingehalten?

Schumann: Bis heute jedenfalls nicht. Und es setzte ein Prozess ein, der zu den erschütterndsten Situationen gehörte, die ich in den 30 Jahren als Dokumentarfilmer miterlebt habe: Die schleichende Entsolidarisierung der Arbeiter. Wir haben uns 18 Monate in dieser Werft aufgehalten und natürlich auch die Spannungen bemerkt, die es in solchen Gruppen üblicherweise gibt. Da ging es schon norddeutsch-deftig zu. Dennoch: Es herrschte zumindest Frieden, weil jeder seinen Platz hatte. Als aber nach den Entlassungen die ersten Arbeiter wieder eingestellt wurden, kam es zu seltsamen Szenen. Da sagte uns etwa ein Arbeiter: "Du siehst jetzt hier die Eins. Vielleicht kommen noch die Zweier - die die immer ihre Arbeit gemacht haben und pünktlich kamen."

sueddeutsche.de: Haben das alle so gesehen?

Schumann: Nein, aber sie kämpften mit sich selbst. Als die Wiedereingestellten zum ersten Mal beim Frühstück zusammensaßen, war die Situation gelöst. Sie freuten sich, dass sie wieder dabei sein durften und packten ihre Stullen aus. Dann aber kam die Frage auf: "Wie sollen wir bewerten, dass wir es sind? Müssen wir ein schlechtes Gewissen haben gegenüber den anderen?" Aus dieser Debatte resultierte die Argumentation: "Nein, wir müssen kein schlechtes Gewissen haben, weil wir die Besten sind. Wir haben es verdient." Dieses Gedankenkonstrukt war die Legitimation, mit der eine Entsolidarisierung und damit Trennung von den einstigen Kollegen zulässig wurde.

sueddeutsche.de: Hätte Solidarität etwas an der Situation ändern können?

Schumann: Nein, aber das schlechte Gewissen stellt sich unvermeidlich ein, es ist ein menschlicher Prozess. Zumal sich das Thema nicht außerhalb des Betriebes erledigte. Der eine Arbeiter sagte: "Wenn ich nun den einen in der Stadt treffe, mag ich den gar nicht mehr ansprechen." Man fühlt sich schlecht. Das ist das Verrückte in einer kleinen Stadt mit vielleicht 40.000 Einwohnern, jeder kennt jeden und die Kinder denken: "Wenn mein Vater nicht wieder drin ist, ist er weniger wert." So etwas trifft Familien mit großer Wucht.

sueddeutsche.de: War denn bei den Wiedereinstellungen die Leistung entscheidend? Bei Leuten, die so lange zusammenarbeiten, muss es doch auch Seilschaften geben?

Schumann: Wir haben nachgefragt, was die Kriterien für die Auswahl waren. Aber alle wiesen die Verantwortung für die Auswahl weit von sich - selbst wenn das offenkundig nicht stimmte. Die hatten Sorge, dass sie nachts auf der Straße einen auf die Rübe bekommen, wenn die Wahrheit herauskäme.

sueddeutsche.de: Zu welchen Konditionen wurden die Arbeiter wieder eingestellt?

Schumann: Der Stundenlohn war ähnlich, doch die Zuschläge wurden zusammengestrichen. Im Endeffekt verdienten die Leute wohl um die zehn Prozent weniger.

sueddeutsche.de: Wie waren die Reaktionen der Zuschauer auf einen Dokumentarfilm über die Würde der Arbeit?

Schumann: Spannend war für mich, dass der Wandel der Arbeit weltweit ein Thema ist - vor allem die zunehmend durchrationalisierte Arbeitswelt und die Erfahrung der eigenen Ohnmacht. Die Menschen können sich nicht gegen den Verlust des Menschlichen bei der Arbeit wehren, sondern empfinden sich als Spielball des globalen Wettbewerbs. Die Arbeit verliert so ihren Charakter als Sinnstifter für das Leben.

sueddeutsche.de: Sie hätten diesen Film also überall auf der Welt drehen können?

Schumann: Nein, es gibt schon eine deutsche Besonderheit darin, die ist mir aber erst bei einer Diskussion in Toronto aufgegangen. Da hieß es: "Jetzt wissen wir endlich, wo die deutsche Qualitätsarbeit herkommt." Es hatte die Zuschauer beeindruckt, dass die Arbeit auf der Werft von Generation zu Generation weitergegeben wurde, dass es da einen Berufsstolz und einen Qualitätsbegriff gibt, der Arbeiter dazu bringt, ohne einen Tritt in den Hintern eine 600-Tonnen-Sektion auf den Zehntelmillimeter genau zu platzieren. Die Kanadier sagten: "Welch ein Wahnsinn, was für eine Dummheit, sich das alles mit dem amerikanischen Leiharbeiter-Unwesen selbst kaputtzumachen.

*) Wadans Welt wird derzeit in einzelnen Kinos Deutschlands gezeigt. Termine finden sich etwa auf der Webseite Realfiction.

Rechte an den Filmausschnitten und Bildern: Gebrüder Beetz Filmproduktion

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