Süddeutsche Zeitung

Debatte um Steuerhinterziehung:Die Angst vor der Selbstanzeige

Lesezeit: 3 min

Uli Hoeneß oder Alice Schwarzer - gerade die prominenten Fälle halten Steuerhinterzieher oft davon ab, sich den Finanzbehörden zu offenbaren. Dabei ist die Furcht vor der Justiz meist unbegründet und die Alternative viel riskanter: Deutsche Fahnder werden weiter nach Steuer-CDs suchen.

Von Klaus Ott

Jan Olaf Leisner weiß genau, was kommen wird. Jetzt, nach dem Haft-Urteil gegen Uli Hoeneß, den Ex-Präsidenten des FC Bayern München. Wieder viele Gespräche, meist stundenlang, in denen künftige Klienten von ihrer Angst erzählen. Von der Sorge, dass es ihnen genauso ergehe wie dem Bayern-Boss, sofern sie ebenfalls Selbstanzeige wegen hinterzogener Steuern erstatteten. Dass ein solcher Schritt bestimmt nur üble Folgen habe: Strafverfahren, Anklage, Prozess, Urteil, Gefängnis. Und in der Zeitung werde das dann alles auch noch stehen.

Leisner ist Steueranwalt in München und Zürich, er hat mit seiner Kanzlei schon mehrere Tausend Fälle bearbeitet. Seit der Fall Hoeneß vor knapp einem Jahr publik wurde, sind zahlreiche Steuersünder bei ihm im Büro gesessen und haben erst einmal menschlichen Beistand gebraucht statt juristischer Tipps. Der Fachanwalt für Steuerstrafrecht musste viel zuhören, musste gut zureden, bis den neuen Mandanten die Furcht genommen war, eine Selbstanzeige werde ins Verderben führen.

Landauf, landab ist immer wieder zu hören, die massenhaften Selbstanzeigen der vergangenen Monate seien auf den Fall Hoeneß zurückzuführen. Das sei falsch, glaubt Leisner. Viele Steuerhinterzieher entschlössen sich nicht wegen, sondern trotz Hoeneß zu diesem Schritt. Die Verunsicherung sei groß, und sie werde durch das Gefängnis-Urteil noch größer werden. Sachlich gerechtfertigt sei das aber nicht, sagt der Fachanwalt. Eine Selbstanzeige, die das Finanzamt dann anerkenne, sei keine Hexenkunst.

Nur ganz wenige landen vor Gericht oder in den Medien

In der Tat ist Hoeneß, dessen Selbstanzeige die Justiz nicht anerkannte, nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Seit Jahren offenbaren immer mehr Bundesbürger dem Fiskus geheime Auslandskonten und verstecktes Vermögen. 60 000 Selbstanzeigen sollen seit 2010 gestellt worden sein. Darunter sind Hunderte Prominente. Schauspieler, Sportler, Fernsehstars, Unternehmer. Doch nur ganz wenige Steuerhinterzieher kamen vor Gericht oder fanden sich plötzlich in den Medien wieder.

Zuletzt machte Alice Schwarzer Schlagzeilen. Die Feministin hatte ihrem Finanzamt Zinseinkünfte in der Schweiz verschwiegen und soll inzwischen 200 000 Euro nachgezahlt haben. Als das bekannt wurde, sprach Schwarzer empört von "Rufmord", ähnlich wie Hoeneß in seinem Fall.

Niemand muss Angst davor haben, beim Fiskus reinen Tisch zu machen. Nur selten sickert etwas durch an die Presse, obwohl die Selbstanzeige üblicherweise zu einem Strafverfahren führt und auf diese Weise noch mehr Leute in den Behörden von dem Vergehen erfahren.

Ist die Selbstanzeige aber wirksam und somit strafbefreiend, dann wird das aus rein formalen Gründen eröffnete Strafverfahren wieder eingestellt. Die Akte wird wieder geschlossen und bleibt zu. Manchmal erreichen versierte Anwälte sogar, dass prominente Mandanten erst gar kein Aktenzeichen bei der Bußgeld- und Strafsachenstelle des Finanzamtes beziehungsweise bei der Staatsanwaltschaft bekommen. Mit dem Argument, je mehr Behörden von dem Fall wüssten, desto größer die Gefahr, dass etwas durchgestochen werde. Und ausgerechnet der spektakulärste Fall seit Jahren könnte das Steuergeheimnis noch stärken. Die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt im bayerischen Fiskus wegen Verletzung von Dienstpflichten, weil Details aus einer Steuerakte von Hoeneß beim Stern gelandet sind.

Offenbar haben viele Finanzbeamte Zugriff auf vertrauliche Unterlagen

Die Untersuchung hat offenbar ergeben, dass viele Beamte in den Finanzbehörden selbst bei Bürgern, für die sie gar nicht zuständig sind, Zugriff auf vertrauliche Unterlagen haben. Sollte sich das bestätigen, dann kämen Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) und seine Kollegen in den anderen Ländern und beim Bund nicht umhin, den Datenschutz beim Fiskus zu überprüfen. Und dort nachzubessern, wo es Schwachstellen gibt.

Wer sich seinem Finanzamt offenbart, ist ohnehin besser dran als derjenige, der noch abwartet und hofft, seine Geheimkonten blieben unentdeckt. Immer wieder werden den deutschen Behörden CDs aus der Schweiz oder Liechtenstein mit Tausenden Konten und den dazugehörenden Namen angeboten. Sind diese Daten erst einmal beim Fiskus gelandet, dann kommt eine Selbstanzeige zu spät. Deshalb muss die Steuer-Beichte oft binnen Tagen erfolgen, wenn wieder mal Meldungen über eine neue CD mit den Kundennamen einer bestimmten Bank die Runde machen. Ein viel beschäftigter Anwalt erzählt, die meisten Mandanten hätten dann "die Hosen voll" und wollten den Steuerfahndern und Staatsanwälten zuvorkommen.

Bei erfahrenen Anwälten geht meist keine Selbstanzeige daneben

Selbst unter solchem Zeitdruck und bei komplizierten Fällen sei es möglich, sich mit dem Fiskus zu arrangieren, sagt der Anwalt. Man müsse dann eben die Einkünfte, aufgeteilt nach den Steuerarten, großzügig ansetzen. "85 Prozent aller Selbstanzeigen sind Schätzungen." Die Behörden wiederum sind froh über jeden, der sich selbst meldet, wie ein Steuerfahnder erzählt, weil man sonst mit der Arbeit kaum hinterherkomme. Inzwischen verlangen Schweizer Banken wie Credit Suisse und UBS von ihren Schwarzgeld-Klienten, sich dem Fiskus zu offenbaren. Das führt zu Tausenden Selbstanzeigen. Die Banken vermitteln ihren Kunden Kanzleien aus ganz Deutschland, die große Erfahrung im Umgang mit dem Fiskus haben. Bei diesen Anwälten geht normalerweise keine Selbstanzeige daneben.

Die Bundesregierung will, auch wenn einzelne Verschärfungen geplant sind, an der strafbefreienden Selbstanzeige festhalten. Nur so, glaubt Finanzminister Wolfgang Schäuble, komme der Staat zu seinem Geld. In den vergangenen Jahren sind Milliardensummen geflossen. Meist lassen sich die Steuerhinterzieher, die angesichts des Falles Hoeneß voller Furcht zum Anwalt gehen, von Juristen wie Leisner beruhigen und erstatten schließlich Selbstanzeige.

Manchmal kommen aber auch ganz andere Charaktere. Sie wollen wissen, wie viele Steuern samt Zinsen sie nachzahlen müssten. Ist ihnen die Summe zu hoch, dann gehen sie wieder. Solche Leute lassen sich von nichts abschrecken. Auch nicht vom Gefängnisurteil gegen Hoeneß.

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Quelle:
SZ vom 15.03.2014
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