Süddeutsche Zeitung

Wettbewerb:Bundeskartellamt geht gegen Fake-Bewertungen im Netz vor

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Von Michael Kläsgen, München

Die Lage des Hotels, ein Traum: Meerblick, direkt am Strand. Das Essen wunderbar. Und das Personal? Sehr zuvorkommend. Wer will da nicht auf "Jetzt buchen" klicken? Wenn hingegen geschrieben steht: Wanzen im Bett, Haare in der Suppe. No way! Keiner will da hin. Nur was passiert, wenn weder das Lob noch die Kritik stimmen, wenn sie frei erfunden, vom Computer generiert oder gekauft sind? Wenn es sich also um Fake-Bewertungen handelt? Dann kann sich der Betrug zu einem gesellschaftlichen Problem auswachsen. In Deutschland ist das jetzt so. Das Bundeskartellamt geht nun Kundenkommentaren im Internet nach. "Nutzerbewertungen sind neben dem Preis das wichtigste Entscheidungskriterium für Verbraucher beim Online-Kauf", sagt Amtschef Andreas Mundt.

Online-Bewertungen haben enorm an Bedeutung gewonnen. Viele Menschen sind zwar skeptisch, laut Marktwaechter.de, einem Frühwarnsystem der Verbraucherzentralen, konsultieren dennoch acht von zehn Internetkäufer Rezensionen anderer Kunden, ehe sie bestellen. Dabei sind viele Fragen im Betrugsfall ungeklärt. Etwa wer verantwortlich ist, die Verbraucher zu schützen. Auch das Ausmaß des Missbrauchs ist unbekannt. In Großbritannien soll laut der Verbraucherorganisation Which? allein auf der Amazon.co.uk-Seite jede fünfte Bewertung Fake sein.

Und in Deutschland? "Wir wissen nicht, wie viel gefälscht ist", sagt Tatjana Halm, Referatsleiterin Markt und Recht der Verbraucherzentrale Bayern. Auch dem Kartellamt liegen keine belastbaren Zahlen vor. Es hat wegen der offenen Fragen aber eine Untersuchung eingeleitet und befragt nun in Deutschland tätige Portale, um herauszufinden, ob gegen das Verbraucherrecht verstoßen wird. Die Auswirkungen könnten gravierend sein.

Angenommen, es würde massenhaft Missbrauch betrieben, dann wären womöglich die Kaufentscheidungen von Millionen Kunden fehlgeleitet. Der Wettbewerb wäre verzerrt und Unternehmen würden versuchen, sich über positive Bewertungen Vorteile zu verschaffen und den Konkurrenten mithilfe negativer Kommentare zu benachteiligen.

Gegen diese Arten von Missbrauch gibt es Gesetze, insbesondere das gegen unlauteren Wettbewerb. Das Problem ist Experten zufolge vielmehr, dass geltendes Recht womöglich nicht durchgesetzt wird. Im Moment liegt es im Wesentlichen an den Portalen selber, ihre Websites frei von Fälschungen zu halten. Darum kümmern sich mitunter ganze Abteilungen. Bei Negativbewertungen wie dem Beispiel mit den Wanzen ist das relativ einfach, sagt Franz Hofmann, Professor an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Sie fallen auf und können vergleichsweise leicht enttarnt und entfernt werden.

Problematischer seien positive Bewertungen. Hat das Hotel sie sich mit einem Gratisfrühstück erkauft? Werden sie überhaupt entdeckt? Und wer haftet dafür, das Hotel oder das Portal? Hat es überhaupt ein Interesse daran, den Schwindel aufzudecken oder schadet es sich damit selber?

Fivestar soll Top-Bewertungen für 19,95 Euro zum Kauf angeboten haben

Gespannt erwartet die Branche deswegen, wie das Landgericht München voraussichtlich Mitte August im Rechtsstreit zwischen Holidaycheck aus München und Fivestar Marketing mit Sitz im zentralamerikanischen Kleinstaat Belize entscheidet. Das deutsche Portal hatte Fivestar verklagt, weil es mutmaßlich gefälschte Top-Bewertungen an mehrere Dutzend Hotels verkauft hatte. Holidaycheck hatte die Fälschungen nicht selber aufgedeckt, sondern reagierte auf den Hinweis eines Journalisten. Fivestar argumentiert, sich 2018 aus dem Geschäft mit Hotelbewertungen verabschiedet zu haben. Davor zahlten die Hotels aber offenbar 19,95 Euro an Fivestar für sechs Sonnen, die Top-Bewertung.

Der Fall zeigt, wie schwierig es ist, dem Betrug rechtlich beizukommen. "Die Agenturen entziehen sich dem deutschen Rechtssystem, indem sie ihren Sitz auf den Seychellen, Malta oder Gibraltar haben", sagt Halm. Wie viele es davon gibt, weiß niemand. Oft handelt es sich um den Kurzzeitjob einer einzelnen Person. Im Moment ist es so, dass es an Portalen wie Holidaycheck ist, sie zu finden. Rechtsprofessor Hofmann nennt das "die Privatisierung der Rechtsdurchsetzung". Aber liegt das im Interesse des Verbrauchers?

Reine Vergleichsportale wie Holidaycheck, Jameda oder Kununu versichern, alles zu tun, um Fälschungen aufzudecken. Verbraucherschützerin Halm sagt, sie glaube ihnen insofern, als die Glaubwürdigkeit ihres Geschäftsmodells davon abhänge. Auf Plattformen wie Amazon, Otto oder H&M, wo Bewertungen eine Nebenrolle spielen, mag das anders sein. Ein Ziel des Kartellamts ist daher auch, herauszufinden, welche Portale für Fälschungen besonders anfällig sind.

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Quelle:
SZ vom 29.07.2019
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