Süddeutsche Zeitung

Kommentar :Zu spät, zu schwach

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Die höchsten deutschen Richter machen ein paar gute Punkte. Aber ihre Entscheidung zu den Anleihekäufen kommt zu spät - und sie ist schwach begründet.

Kommentar von Marc Beise

In ersten Reaktionen auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Krisenpolitik der EZB hieß es, das höchste deutsche Gericht habe europäische Institutionen "überraschend heftig" in ihre Schranken gewiesen. Überrascht aber konnte eigentlich niemand sein, der die jahrzehntelange Debatte um den Euro verfolgt hat. Die Karlsruher Richter haben sich kluge Gedanken gemacht, und vieles ist juristisch folgerichtig - nur leider kommt ihr Spruch erstens zu spät und zweitens ist er schwach begründet.

Zu spät: An der konkreten Konstruktion der Währungsunion kann man mit guten Gründen Kritik üben; das Projekt fällt aus heutiger Sicht in die Rubrik gut gemeint, schlecht gemacht. Die Akzeptanz des Euro in Deutschland leidet an der vergleichsweise knappen öffentlichen Diskussion vor der Einführung Ende der Neunzigerjahre und an der Art und Weise, wie seitdem europäische Geldpolitik als Thema von Experten für Experten betrieben wird. Was sich die deutsche Öffentlichkeit in guten wirtschaftlichen Zeiten auch gerne gefallen ließ: Wer will sich schon freiwillig mit dieser komplizierten Materie beschäftigen?

Erst in der Eurokrise begriffen viele Bürger, dass der gemeinsame Markt mit einer gemeinsamen Währung, der den deutschen Wohlstand so angenehm befördert hat, auch unbequem sein kann. Erst wenn es nicht mehr so gut läuft, fällt auf, dass europäische Institutionen nicht notwendig das machen, was in Deutschland so üblich ist, potzblitz.

Dem Verfassungsgericht ist damit schon lange unwohl. Über viele Jahre fanden die Richter zu blutleeren Entscheidungen, die von Unbehagen über die Gesamtsituation zeugten, ohne aber die große Konfrontation zu wagen. Es ist ja auch vertrackt: Karlsruhe muss den Kern deutscher Staatlichkeit sichern, aber der EuGH ist für die europäischen Institutionen zuständig, an die Deutschland Kompetenzen abgegeben hat.

So hätte man schon viel früher und mit mehr Berechtigung als heute der finanziell ausgreifend operierenden EZB einen Schuss vor den Bug geben können, damit sie klar innerhalb ihres Mandats bleibt. Jetzt kommt das zu einem falschen Zeitpunkt, weil die Rettungspolitik der Notenbank aus der Corona-Wirklichkeit nicht mehr wegzudenken ist. Will man sie in Frage stellen, würde nicht nur die Gemeinschaftswährung gefährdet, sondern - verkürzt formuliert - auch die europäische Integration, die Wirtschaftskraft Europas und am Ende womöglich der Frieden auf dem Kontinent.

Gerade die Corona-Krise zeigt (ungeachtet von Grenzschließungen und anderen vorübergehenden Hemmnissen), dass es nun nur noch gemeinsam gehen kann, und es war verräterisch, dass das Gericht betont hat, mit der aktuellen Rettungspolitik habe der Spruch natürlich nichts zu tun.

Zu schwach: Das Urteil kommt nicht nur zu spät, es ist auch nicht wirklich überzeugend - weil die Spitzenjuristen ökonomisch dilettieren. Traditionell haben es Juristerei und Wirtschaft schwer miteinander, ungeachtet mancher interdisziplinärer Projekte. Erkennbar haben beide Professionen ein unterschiedliches Grundverständnis. Wer über viele Jahre mit beiden verbandelt ist, weiß, wie schwer sich selbst wohlmeinende Akteure mit der jeweils anderen Seite tun. Die einen fragen eben zuerst nach Recht und Gesetz, die anderen nach Wirkzusammenhängen: Was passiert, wenn . . .? Im besten Fall kommen beide Welten zusammen, aber häufig ist das nicht.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist durch und durch rechtlich determiniert, und wo es ökonomisch argumentiert, bildet es nicht die Breite der Diskussion ab. Ja, die Richter sind sich nicht zu schade, aus Verlautbarungen deutscher Lobbyverbände zu zitieren, so als sei nichts besseres zu haben gewesen. Man kann sagen: Die Richter pflügen durch den ökonomischen Acker, ohne ihn sich wirklich fruchtbar zu machen. Sie wissen, wogegen sie sind, aber sie zeigen keinen wirklichen Ausweg. Damit machen sie es der EZB leicht, die Kritik zu ignorieren.

Dabei ist die Forderung des Gerichts nach mehr Transparenz berechtigt, nach besserer Begründung, warum nur so gehandelt werden kann und nicht anders und wie die unterschiedlichen Interessen gegeneinander abgewogen wurden. Aber mit seinen starken Worten nährt Karlsruhe den Eindruck, Deutschland könne das Heft des Handelns zurückgewinnen und weckt womöglich Erwartungen zu Lasten Europas, die sich hoffentlich nicht erfüllen werden. Im besten Fall wird das Urteil keine große Wirkung entfalten - und das ist eigentlich das Unfreundlichste, was man Richtern wünschen kann.

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SZ vom 07.05.2020
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