Süddeutsche Zeitung

Wirecard-Skandal:Theo Waigel soll Ruf von EY retten

Lesezeit: 3 min

Der Prüfkonzern EY setzt auf den Ex-Bundesfinanzminister, um Lehren aus dem Wirecard-Skandal zu ziehen. Deutschland-Chef Hubert Barth räumt seinen Posten - und auch anderweitig häufen sich im Fall Wirecard die Rücktritte.

Von Klaus Ott und Jan Willmroth, Frankfurt

Der frühere Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) soll den im Wirecard-Skandal angeschlagenen Ruf des Prüfkonzerns EY retten. Eine unabhängige Expertenkommission unter Waigels Vorsitz soll die Vorgänge rund um Wirecard aufarbeiten und die Umsetzung eine hausinternen Qualitätsprogramms überwachen. Seine Stellvertreterin wird die ehemalige Bundeswirtschafts- und Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD), die maßgeblich an der Reform des Berufsrechts und der Neustrukturierung der Abschlussprüferaufsicht beteiligt war. Das teilte der Prüfkonzern am Donnerstagnachmittag mit.

Der Prüfkonzern sei auf ihn zugekommen, sagte Waigel der SZ. "Unsere Expertenkommission ist unabhängig, wir haben die volle Unterstützung von EY zugesagt bekommen", sagte er und verwies auf seine Erfahrung in früheren Fällen. "Ich kann auf das zurückgreifen, was ich in sieben Jahren bei Siemens und Airbus erlebt und erfahren habe. Aber jeder Fall ist anders, kein Fall ist mit den anderen vergleichbar." Waigel war bei Siemens nach dem Schmiergeldskandal vier Jahre als Monitor eingesetzt; Airbus hatte wegen Schmiergeldermittlungen in Frankreich und Großbritannien seinen Rat gesucht. Jetzt folgt EY, nachdem deren Wirtschaftsprüfer den mutmaßlichen Betrug bei Wirecard jahrelang nicht entdeckt hatten.

Zuvor war am Donnerstag der Rücktritt des bisherigen EY-Deutschlandchefs Hubert Barth bekannt geworden. Künftig soll eine Doppelspitze aus dem Steuerrechtler Henrik Ahlers sowie dem Wirtschaftsprüfer Jean-Yves Jégourel die Geschäfte von EY in Deutschland führen. Jégourel gehört zur weltweiten Führungsriege von EY. Der langjährige EY-Manager Barth werde künftig eine andere Aufgabe auf europäischer Ebene wahrnehmen, hieß es weiter.

"EY ist sich des Vertrauensverlustes bewusst, der durch den Fall Wirecard entstanden ist", teilte das Unternehmen mit. Es sei "oberste Priorität", zur Aufklärung des Falles Wirecard beizutragen und verloren gegangenes Vertrauen wieder herzustellen. Dazu plant EY unter anderem "neue Ausbildungs- und Trainingsprogramme, die Stärkung digitaler Kompetenzen und die Etablierung von Prüfungstechnologien der Zukunft sowie die Einrichtung eines neuen Risiko-Komitees". Diese Maßnahmen und ihre Weiterentwicklung soll das Expertengremium Um Waigel und Zypries im Blick behalten.

Die Prüffirma zählt sich zur Gruppe der Betrogenen

EY, früher Ernst & Young, hat mehr als ein Jahrzehnt lang die Bilanzen des insolventen Zahlungsdienstleisters Wirecard geprüft und sie trotz regelmäßiger Konflikte mit dem Wirecard-Vorstand und -Aufsichtsrat bis zuletzt für uneingeschränkt in Ordnung erklärt. Nach eigenen Angaben habe EY trotz sorgfältiger Prüfung nichts von dem mutmaßlichen Milliardenbetrug gemerkt, der den Zahlungsabwickler im Juni 2020 in die Insolvenz trieb. Damals hatten die Wirtschaftsprüfer Wirecard das Testat für den Jahresabschluss 2019 verweigert, nachdem es keinen Nachweis für Konzernvermögen in Höhe von 1,9 Milliarden Euro auf Treuhandkonten in Asien gab. In der Folge sprach EY von einem einen "umfassenden Betrug", an dem "mehrere Parteien rund um die Welt und in verschiedenen Institutionen mit gezielter Täuschungsabsicht" beteiligt gewesen seien.

Die Prüffirma zählt sich also zu den mutmaßlich Betrogenen. Über eine Mitverantwortung der Prüfer für die etwaige Marktmanipulation und den mutmaßlichen Betrug von Banken werden dereinst Zivilgerichte entschieden; mehrere Gruppen von Investoren haben EY auf Schadenersatz verklagt. Zugleich hat die Staatsanwaltschaft München ein Ermittlungsverfahren gegen die zuständigen Wirecard-Prüfer aufgenommen, nachdem die Wirtschaftsprüferaufsicht Apas Strafanzeige wegen Verletzung der Berufspflichten gestellt hatte.

Banken entziehen EY das Prüfmandat

Schwerer wiegt für EY zumindest kurzfristig der Imageschaden. Zuletzt hatte die Commerzbank angekündigt, EY womöglich verklagen zu wollen. Die Bank hat den EY-Abschlussprüfern das Mandat entzogen, so wie zuvor unter anderem der Vermögensverwalter DWS und die Staatsbank KfW. Barth, der zwar operativ nicht für die Wirecard-Prüfung zuständig war, übernimmt jetzt die politische Verantwortung für das Debakel. Wie ein Minister, der zurücktreten muss.

Mit Edgar Ernst hat der Wirecard-Skandal außerdem einen weiteren prominenten Bilanzexperten den Job gekostet. Ernst, Präsident der Bilanzkontrollstelle DPR, werde zum Jahresende zurücktreten, teilte der privatwirtschaftlich organisierte Verein mit. Eine von der Bafin beauftragte Prüfung der Wirecard-Bücher hatte die DPR monatelang verschleppt. Ohne forensische Mittel habe man keine Chance gehabt, die Machenschaften bei dem Zahlungsanbieter aufzudecken, verteidigte sich Ernst vor zwei Wochen im Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestags.

Zum Verhängnis wurden Ernst nun allerdings seine Aufsichtsratsmandate bei Vonovia, TUI und beim Handelskonzern Metro, wo er im Kontrollgremium dem Prüfungsausschuss vorsitzt. Mit der Annahme des Metro-Mandats im Jahr 2017 könnte Ernst gegen interne Vorschriften des privatrechtlich organisierten Vereins DPR verstoßen haben. Der Rücktritt soll für die DPR nun einen "personellen Neuanfang" von 2022 an bedeuten. Die Bundesregierung hatte den Vertrag mit dem Verein zum Jahresende 2021 gekündigt, noch ist die Zukunft der DPR ungewiss.

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