Süddeutsche Zeitung

Europäische Zentralbank:Deutschland, deine Notenbanker

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Mit Sabine Lautenschläger tritt bereits zum dritten Mal ein deutsches EZB-Direktoriumsmitglied vorzeitig ab. Die Bundesregierung ist genervt und sucht Ersatz.

Von Cerstin Gammelin und Markus Zydra, Berlin/Frankfurt

Keine 24 Stunden nach dem überraschenden Rückzug von Sabine Lautenschläger aus dem Direktorium der Europäischen Zentralbank werden in Berlin bereits Kandidatinnen für ihre Nachfolge gehandelt. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung ist die Liste der Namen eher kurz als lang. Als besonders aussichtsreich gelten Isabel Schnabel und Claudia Buch. Schnabel ist Professorin für Finanzmarktökonomie und eine der Wirtschaftsweisen der Bundesregierung. Die Volkswirtin Buch ist Vizepräsidentin der Deutschen Bundesbank. Die Ökonominnen gelten als ausgewiesene Expertinnen; eine Vorentscheidung sei noch nicht gefallen, hieß es in Berlin.

Am Donnerstag hatte es erste Kontakte zwischen Kanzleramt und Bundesfinanzministerium zur Regelung der Nachfolge gegeben. Die Koalition wolle zeitnah über geeignete Kandidaten beraten, hieß es. Der Zeitpunkt des Rückzugs Lautenschlägers sei alles andere als günstig. Offen blieb zunächst, ob die SPD einen besonderen Anspruch auf die Besetzung des wichtigen EZB-Postens geltend machen will. Das legt jedenfalls die Koalitionsarithmetik nahe, nachdem mit Ursula von der Leyen eine Unionspolitikerin Chefin der Europäischen Kommission geworden war. Man geht in Berlin davon aus, dass Schnabel dann die besseren Chancen hätte.

Der Auswahlprozess wird voraussichtlich einige Wochen dauern. In der Europäischen Zentralbank rechnet man damit, dass der Bewerbungsprozess auf dem Eurogruppentreffen im Oktober formal beginnt; im November könnte die Entscheidung fallen. Zu diesem Zeitpunkt soll Christine Lagarde bereits zur Präsidentin der Europäischen Zentralbank ernannt worden sein; es gilt als sicher, dass sie das Amt am 1. November von Mario Draghi übernimmt, dessen Amtszeit nach acht Jahren ausläuft. Lagarde war bislang geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds.

Wegen des Wechsels an der Spitze der Europäischen Zentralbank gehen Experten davon aus, dass die Nachfolgerin von Lautenschläger womöglich erst zu Jahresbeginn 2020 ihre Arbeit im Direktorium aufnimmt. Das wäre zeitgleich mit Fabio Panetta. Der Italiener rückt für den Franzosen Benoît Coeuré nach, dessen Amtszeit nach acht Jahren ausläuft. Lagarde hätte damit einen unerwartet großen Spielraum, um die Aufgaben im Direktorium neu zu verteilen.

Auch die Namen von zwei männlichen Kandidaten machen die Runde

Obwohl Deutschland keinen rechtlich verankerten Anspruch auf einen Posten im sechsköpfigen EZB-Direktorium geltend machen kann, gibt es kaum Zweifel, dass Berlin die Stelle wieder besetzen kann. Lautenschläger gibt ihr Amt gut zwei Jahre vor dem regulären Ablauf auf. Der Rückzug kam überraschend; auch für den scheidenden EZB-Chef Draghi. Lautenschläger hatte ihn am Mittwochabend informiert.

Doch die Juristin machte sich dem Vernehmen nach schon länger Gedanken über ihre berufliche Zukunft. Anfang des Jahres endete ihr Mandat als Vize-Chefin der Europäischen Bankenaufsicht, die bei der EZB angesiedelt ist. Draghi hatte ihr danach den Arbeitsbereich Statistik gegeben - ein Thema für Feinschmecker. Das fand Lautenschläger nicht so passend, hat sie doch zeitlebens als Bankenkontrolleurin gearbeitet, zunächst bei der deutschen Finanzaufsicht Bafin, später als Vizepräsidentin der Bundesbank. Lautenschläger äußerte zudem öffentlich Kritik an der Entscheidung Draghis, die Geldpolitik erneut zu lockern. So kam eines zum anderen, was die Deutsche zu ihrer Entscheidung bewogen haben könnte.

Für Deutschland ist ihr plötzliches Ausscheiden peinlich, denn Lautenschläger ist nicht die erste, die bei der EZB vorzeitig hinwirft. Der frühere Chefvolkswirt Jürgen Stark gab 2011 entnervt auf, weil er seine Vorschläge nicht ausreichend von Draghi gewürdigt und umgesetzt sah; Stark war erbitterter Gegner der lockeren Geldpolitik des Italieners. Der frühere Bundesbankchef Axel Weber räumte seinen Posten, nachdem er keine Chance mehr gesehen hatte, an die Spitze der EZB zu rücken. Der einstige Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen schmiss nach nur knapp zwei von eigentlich acht Jahren Amtszeit hin, aus privaten Gründen. Die deutschen Notenbanker und Ökonomen müssen nun den Spott ertragen, die EZB oft zu kritisieren und sogar den Anspruch auf den Chefposten zu erheben, aber nur selten die ganze Mandatsperiode in der mächtigen Notenbank zu erfüllen. Nur der erste EZB-Chefvolkswirt, Otmar Issing, hielt durch.

Für die Bundesregierung ist das nicht besonders erfreulich; auch, weil insbesondere Asmussen und auch Lautenschläger jede denkbare Unterstützung für ihren Karrieresprung ins Führungsgremium der EZB erhalten hatten. Entsprechend schmallippig fällt der Dank an die scheidende Notenbankerin Lautenschläger aus; man nehme das Ausscheiden mit Bedauern zur Kenntnis, sie habe sich um die Bankenaufsicht verdient gemacht. Auch Draghi fand nur die nötigsten Worte.

Natürlich ist es nicht so, dass die deutschen Ökonomen den Platz im EZB-Direktorium kampflos einer Frau überlassen würden. In Berlin und Frankfurt machten am Donnerstag Informationen die Runde, wonach auf der Kandidatenliste der Bundesregierung auch der Ökonomie-Professor und Wirtschaftsweise Volker Wieland sowie der Europa-Staatssekretär Jörg Kukies stehen sollen - letzterer ein ehemaliger Goldman Sachs-Banker.

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SZ vom 27.09.2019
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