Süddeutsche Zeitung

Europäische Zentralbank:"Der Euro gehört Ihnen"

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EZB-Präsidentin Christine Lagarde möchte wissen, was Europas Bürger über die Geldpolitik denken. Es könnte sein, dass die Zentralbanker dann etwa beantworten müssen, warum die Inflation zwar niedrig, Wohnkosten aber hoch sind.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Auffällige Ohrringe, sehr markante Brosche, gewinnendes Lächeln und den rechten Arm lässig über die Lehne des Sessels gelegt: In der Pose einer Moderatorin richtet die neue EZB-Präsidentin Christine Lagarde auf der Homepage der Institution das Wort an Europas Bevölkerung. Sie sagte: "Der Euro gehört Ihnen, bitte, teilen Sie uns ihre Ideen und Sorgen mit."

Die Menschen in Europa haben nun die Möglichkeit, zum Thema Geldpolitik ihre Meinung kundzutun. Auf der Homepage der EZB kann man sich dazu registrieren. Gleichzeitig lädt die Notenbank zivilgesellschaftliche Organisationen ein zur Veranstaltungsreihe "Das Eurosystem hört zu", erstmals am 26. März in Brüssel mit Christine Lagarde. Auch die nationalen Notenbanken der Eurozone, in Deutschland also die Bundesbank, helfen mit, die Meinungen der Bürger in der jeweiligen Landessprache einzuholen. Die EZB möchte bis spätestens zum Jahresende die Überprüfung ihrer geldpolitischen Strategie abgeschlossen haben.

Bislang sahen sich die Währungshüter vor allem als Sprachrohr für die Finanzmärkte

Die Bitte um Mithilfe der Bürger stellt eine grundlegende Wende in der Kommunikationspolitik der Notenbank dar. Ob Duisenberg, Trichet und Draghi - keiner von Lagardes Vorgängern hat sich jemals so direkt an die Menschen in Europa gewendet. Bislang sahen sich die Währungshüter vor allem als Sprachrohr für die Finanzmärkte. Doch die lockere Geldpolitik der letzten Jahre, in denen die EZB Billionen Euro in Staatsanleihen investierte und das Nullzinsregime einführte, hat eine Keil getrieben zwischen die Technokraten im Eurotower und großen Teilen der Gesellschaft, die diese Geldpolitik für falsch halten.

Lagarde möchte die Entfremdung auflösen, indem sie die Geldpolitik der EZB zur Debatte stellt: Zuvörderst natürlich in den Fachgremien der Notenbank, aber auch unter Wissenschaftlern, Politikern, Verbänden und bei der Bevölkerung. "Wir werden darüber reden, was wir unter Preisstabilität verstehen, und darüber hinaus diskutieren, inwieweit etwa Klimawandel und der Arbeitsmarkt unsere Tätigkeit beeinflussen", sagte Lagarde in dem Video weiter.

Die EZB hat seit Jahren ein Problem. Sie pumpt Geld in das Finanzsystem, um die Inflationsrate im Euroraum auf das im Jahr 2003 selbst gesteckte Ziel von nahe zwei Prozent zu hieven. Doch das gelingt seit Jahren nicht mehr. Die Teuerungsraten bleiben deutlich darunter, und viele Menschen fragen sich: Was ist daran so schlimm?

Die amerikanische Notenbank Federal Reserve hat die Konsultation mit den Bürgern schon hinter sich; auch in den USA folgt man dem Inflationsziel von zwei Prozent. Die Währungshüter reisten durchs Land unter dem Motto "Fed Listens" und mussten feststellen, dass den Menschen die Inflationsraten gar nicht niedrig genug sein konnten. Die Befragten an der Basis äußerten vielmehr Sorge über hohe Wohn- und Gesundheitskosten. Viele Menschen empfinden es ähnlich: Die durchschnittlichen Inflationsraten würden wenig aussagen über die wahren Lebenshaltungskosten - dazu gehören eben vor allem die Wohnkosten.

Ein Vorwurf: Die EZB begünstigt die Eigentümer von Aktien und Immobilien

Es ist gut möglich, dass Europas Bürger ähnlich antworten werden wie die Amerikaner - und was dann? Wird die EZB ihre Strategie an der Meinung der Bevölkerung ausrichten, oder haben die Experten am Ende das letzte Wort?

Fest steht: Geldpolitik ist eine komplizierte Materie, und auf die Frage, warum eine Zentralbank zwei Prozent Inflation erreichen möchte, gibt es nur komplizierte volkswirtschaftliche Antworten. Mit diesen Repliken schafft man wohl kaum mehr Volksnähe. Selbst die Experten sind sich bei dem Thema uneinig. Mancher möchte ein niedrigeres Inflationsziel, mancher ein höheres, mancher ein flexibleres. Aktuell lautet die offizielle Maßgabe, die EZB strebe eine Teuerungsrate von "unter aber nahe zwei Prozent" an. Diese Formulierung ist der breiten Bevölkerung kaum zu kommunizieren, selbst Notenbanker verwechseln manchmal die Reihenfolge und sagen "nahe aber unter zwei Prozent".

Ein Kommunikationsproblem für die Notenbank gibt es auch mit der Inflationsmessung: Die Kosten für selbst genutztes Wohneigentum fließen derzeit nicht in den Verbraucherpreisindex ein. Doch gerade die steigenden Immobilienkosten erzeugen in der Bevölkerung den Eindruck, dass die Preise sowieso schon stark genug steigen. Es gebe damit keinen Grund für die Nullzinspolitik. Die EZB plagt auch der Vorwurf, ihre Geldpolitik begünstige vermögende Menschen, deren Aktien- und Immobilienbesitz deutlich an Wert gewonnen hat. Arbeitnehmer würden erst in zweiter Linie profitieren, durch neue Jobs und zum Teil auch höhere Löhne.

Lagarde hat sich noch ein weiteres Ziel gesetzt: Sie möchte die Deutschen mit der EZB versöhnen. Deren Verhältnis hat unter der Ägide von Mario Draghi stark gelitten. Die Französin geht es mit Elan an. Zum einen lernt sie Deutsch und wendet bei ihren vielen öffentlichen Auftritten in Deutschland ihre ersten Kenntnisse auch gerne an. Beim Neujahrsempfang im Frankfurter Römer gab es stehende Ovationen, als sie ein paar Sätze auf Deutsch sagte. Außerdem fand sie dort die richtigen Worte: Lagarde lobte die hessische Spezialität "grüne Soße" und bekannte: "Ich habe mich in Frankfurt sofort zuhause gefühlt."

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SZ vom 26.02.2020
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