Süddeutsche Zeitung

Europäische Union:Wie die EU die Industrie stärken will

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Die Kommission präsentiert mal wieder eine neue Industriestrategie: Die Abhängigkeit von Asien und den USA soll verringert werden. Doch es gibt Streit.

Von Björn Finke, Brüssel

Genug zu tun gäbe es, aber es fehlen wichtige Bauteile: Computerchips für Autos. Deshalb stellen die Ford-Werke in Köln ihre Produktion bis Anfang August fast komplett ein, wie der Konzern am Montag berichtete. Rivalen wie Audi und Daimler müssen die Fertigung ebenfalls herunterfahren. Die knappen Halbleiter kommen überwiegend aus Asien, doch die Hersteller dort haben Probleme. Das ist ein Beispiel dafür, wie abhängig manche europäische Branche von Zulieferern auf anderen Kontinenten ist. Ähnliche Abhängigkeiten hat die Pandemie bei medizinischer Schutzausrüstung oder Vakzin-Rohstoffen offenbart.

Die EU-Kommission führt den Mangel an Auto-Halbleitern in ihrer neuen Industriestrategie als einen Beleg dafür an, dass Europas Wirtschaft seine Abhängigkeiten besser verstehen und verringern müsse. Die Brüsseler Behörde wird das Dokument an diesem Mittwoch präsentieren; der Süddeutschen Zeitung liegt ein 18-seitiger Entwurf vor. Allerdings hat die Kommission erst vor 14 Monaten eine Industriestrategie verabschiedet. Dass jetzt schon eine Aktualisierung fällig sein soll, begründet die Behörde mit den Erfahrungen der Pandemie. Es gehe darum, "Lehren aus der Krise zu ziehen, die Widerstandskraft unserer Wirtschaft zu stärken und den doppelten Übergang zu beschleunigen", heißt es in dem Entwurf. Der doppelte Übergang meint die Digitalisierung und den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft.

Der Schritt stößt aber auf Kritik, etwa beim CSU-Europaabgeordneten Markus Ferber: "Anscheinend war die letzte Ausgabe der Industriestrategie ein Schönwetterprodukt", sagt der wirtschaftspolitische Sprecher der europäischen Christdemokraten. "Trotz Covid-Krise muss sich die Kommission die Frage gefallen lassen, welchen strategischen Mehrwert ein Dokument bietet, das nach einem Jahr überarbeitet werden muss." Er beklagt zudem, dass die Behörde zuletzt Gesetze vorgeschlagen habe, die der Wirtschaft Bürokratie aufbürdeten. Das Handeln passe nicht zu den hehren Absichtserklärungen.

In ihrer neuen Strategie gibt die Kommission als Ziel aus, den EU-Binnenmarkt sowie die Autonomie Europas gegenüber Handelspartnern in aller Welt zu stärken. Die Behörde beklagt, dass gerade zu Anfang der Pandemie Unternehmen unter unkoordinierten Grenzschließungen zwischen EU-Staaten gelitten hätten. Deshalb wird die Kommission Anfang 2022 ein Binnenmarkt-Notinstrument vorschlagen. Diese Regelung soll sicherstellen, dass sich EU-Regierungen bei künftigen Krisenmaßnahmen besser abstimmen und so Nachteile für den gemeinsamen europäischen Markt verringern.

Wie viel Markt, wie viel Staat muss sein?

Außerdem will Brüssel verbleibende Hürden für grenzüberschreitende Geschäfte in Europa schleifen, vor allem im Dienstleistungsbereich. Die Kommission möchte prüfen, ob einheitliche Standards für bestimmte Dienstleistungen dem Binnenmarkt helfen würden. Daneben will die Behörde bis Jahresende ein gemeinsames digitales Formular entwickeln, mit dem Firmen einfacher als bisher melden können, dass sie Beschäftigte für Arbeiten ins EU-Ausland entsenden.

Heftig umstritten innerhalb der Kommission ist die Frage, wie Abhängigkeiten von Zulieferern und Technologieanbietern in Asien oder den USA verringert werden können. Der französische Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton setzt auf eine starke Rolle des Staates, doch die Kommissions-Vizepräsidenten Valdis Dombrovskis - zuständig für Handel - und Margrethe Vestager - für Wettbewerb - mahnen zur Zurückhaltung und betonen die Bedeutung offener Märkte. Die Mitgliedstaaten sind sich ebenfalls uneins: Frankreich steht hier gegen traditionell wirtschaftsliberale Länder wie die Niederlande, Irland und die Skandinavier. Wegen des Disputs wurde die Veröffentlichung der Strategie um eine Woche verschoben.

Das Kapitel zur "offenen strategischen Autonomie" - so lautet das Schlagwort - schlägt nun einen Kompromisskurs ein. Die Kommission präsentiert Ergebnisse einer Analyse, der zufolge bei 137 Produkten heikle Abhängigkeiten bestünden, darunter Rohstoffe und Pharmawirkstoffe. Die Aufgabe, diese Abhängigkeiten zu verringern, sei "in den meisten Fällen" bei den Unternehmen am besten aufgehoben, heißt es. Allerdings werde die Kommission "in strategisch wichtigen Bereichen" überlegen, wie die Politik den Firmen helfen könne. Als ein Beispiel wird der Aufbau von Lagerbeständen durch den Staat genannt.

Zudem sollen die Regierungen innovative Industrieprojekte mit Subventionen fördern, damit Europa bei Spitzentechnologie nicht abgehängt und damit abhängig von anderen wird. Instrumente der Wahl seien sogenannte "wichtige Vorhaben von gemeinsamem europäischen Interesse", abgekürzt IPCEI. Bei solchen grenzüberschreitenden Initiativen von Staaten und Konzernen erlaubt die EU großzügige Subventionen. Und die Kommission wünscht sich mehr davon.

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