Süddeutsche Zeitung

EU-Austritt von Großbritannien:Noch keine Spur von Brexit-Blues

Lesezeit: 2 min

Die britische Wirtschaft hängt die deutsche ab. Doch Schatzkanzler Hammond, genannt "Tabellen-Phil", warnt vor dem Ende des britischen Wachstumsmärchens.

Von Björn Finke, London

Der Schatzkanzler war gut gelaunt und ließ sich ungewöhnlicherweise sogar zu Scherzen hinreißen. Im vorigen Jahr habe das Haushaltsdefizit des britischen Staates die drei Prozent unterschritten, welche die EU vorschreibt, sagte Philip Hammond, "das erste Mal seit fast zehn Jahren". Aber er rechne nicht damit, dass EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ein Gratulationsschreiben schicke. Großes Gelächter im britischen Parlament, wo der konservative Politiker am Mittwoch seinen Haushaltsplan vorstellte.

Ein Grund für die aufgeräumte Stimmung waren die erfreulichen Zahlen des Office for Budget Responsibility (OBR), die er präsentierte. Das ist eine unabhängige Behörde, die der Regierung Prognosen zu Konjunktur und Staatsfinanzen liefert. Hammond leitete seine Ausführungen damit ein, dass nun der Tabellen-Teil folge - und kassierte wieder viel Gejohle, denn der eher dröge auftretende 61-Jährige trägt in Westminster den Spitznamen "Tabellen-Phil".

Die britische Wirtschaft wuchs im vergangenen Jahr überraschend stark, trotz der Unsicherheit, die das Brexit-Referendum im Juni erzeugte. Daher erhöhten die Volkswirte der Behörde ihre Schätzung für 2017 deutlich, von 1,4 auf 2,0 Prozent. Die Wirtschaft im Königreich würde also schneller wachsen als die deutsche. Für die Bundesrepublik sagt die EU-Kommission ein Plus von 1,6 Prozent voraus.

Hammond weist "waghalsige" Forderungen zurück

Dem Finanzminister beschert die unerwartet robuste Konjunktur höhere Einnahmen und weniger Ausgaben, etwa für Arbeitslosenhilfe. Das Haushaltsdefizit im Königreich betrug 2015 noch 3,8 Prozent der Wirtschaftsleistung; im vergangenen Jahr sank es auf 2,6 Prozent - und damit unter die Drei-Prozent-Marke, die Brüssel vorgibt. Im laufenden Jahr soll der Fehlbetrag wieder leicht auf 2,9 Prozent steigen, bevor er danach stetig fällt. Allerdings hat sich Hammond vom Ziel seines Vorgängers George Osborne verabschiedet, bis zum Ende des Jahrzehnts einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen.

Der Schatzkanzler wies "waghalsige" Forderungen zurück, wegen der guten Wirtschaftsdaten den Sparkurs zu lockern. Er versprach mehr Geld für Schulen, Infrastruktur und Altenpflege, will diese Ausgaben aber woanders wieder einsparen. Die Verschuldung sei immer noch zu hoch, sagte er. Außerdem gehen Regierung und OBR davon aus, dass der Austritt aus der EU die Konjunktur in den kommenden Jahren durchaus belasten wird. Sie verringerten darum ihre Wachstumsprognosen für die Jahre 2018 bis 2020. Die Folge: Bis 2021 wird die Regierung 115 Milliarden Euro mehr Schulden aufnehmen müssen, verglichen mit Schätzungen aus der Zeit vor dem EU-Referendum.

Wegen des schwachen Pfunds ist Butter 15 Prozent und Tee sechs Prozent teurer

Premierministerin Theresa May, die den damaligen Außenminister Hammond im Sommer zum Schatzkanzler kürte, wird Brüssel bis Ende des Monats über den Scheidungswunsch unterrichten. Dann beginnen zweijährige Verhandlungen über die Details der Trennung und die künftigen Beziehungen. 2019 sind die Briten raus aus der EU. Unternehmer im Königreich wissen nicht, ob nach 2019 Zölle oder andere Hindernisse Geschäfte mit dem Festland erschweren werden. May möchte ein Freihandelsabkommen abschließen und damit Zölle verhindern. Aber es wird schwierig, sich in nur zwei Jahren auf einen solchen Vertrag zu einigen.

Volkswirte erwarten, dass die Manager Ihrer Majestät wegen dieser Ungewissheit Investitionen aufschieben. Das wird die Konjunktur bremsen. Dass sich die Wirtschaft bisher so robust zeigt, liegt vor allem an den Verbrauchern. Die lassen sich von Brexit-Sorgen nicht die Lust am Einkaufen nehmen, gerne auch auf Pump. Allerdings verteuert der Absturz des Pfundkurses seit dem Referendum Einfuhren, etwa von Lebensmitteln.

Das zeigt sich langsam auf den Preisschildern an den Supermarkt-Regalen. Im Februar verlangten Einzelhändler im Durchschnitt 1,4 Prozent mehr für ihre Waren als im Vorjahresmonat, wie die Marktforscher von Kantar Worldpanel ermittelten. Butter war sogar gut 15 Prozent teurer, das Nationalgetränk Tee sechs Prozent.

Schatzkanzler Hammond rechnet damit, dass die Inflation in diesem Jahr auf 2,4 Prozent steigt. Höhere Preise führen dazu, dass manche Verbraucher größere und nicht so wichtige Anschaffungen verschieben - sie werden anders als bislang die Konjunktur nicht mehr stützen. Dann ist es schnell vorbei mit dem britischen Wachstumsmärchen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3410171
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 09.03.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.