Süddeutsche Zeitung

Energieversorgung:Russisches Roulette

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Die Machtspiele an der Ostsee-Pipeline legen die Defizite der EU-Politik offen: Die Versprechen einer gemeinsamen Energiestrategie sind das Papier nicht wert, auf dem sie stehen.

Markus Balser

Das Lächeln war staatsmännisch, die Geste gönnerhaft, als es galt, ein Jahrhundertereignis zu feiern: Im russischen Küstenstädtchen Wyborg begann am Freitag der Bau eines der größten Infrastrukturprojekte Europas. Kreml-Chef Dimitrij Medwedjew sagte beim Festakt in der Portowaja-Bucht an der Ostsee bei St. Petersburg, was Europa hören wollte: Die mehr als sieben Milliarden Euro teure Ostsee-Pipeline schaffe mehr Stabilität denn je für den Kontinent. "Viel Glück" schrieb er noch auf eine Röhre - und ließ die Botschaft tief im Meer versenken.

Schon mit der Verlegung der ersten Röhren sind wirtschaftlich wie politisch riesige Hoffnungen verbunden. Die mehr als 1200 Kilometer lange Trasse zwischen Russland und der deutschen Ostseeküste erhöhe die Energiesicherheit in Europa, sagte EU-Energiekommissar Günther Oettinger, sie berge großes ökonomisches Potential, versicherte Kanzlerin Angela Merkel. Die Erleichterung über den Start des Projekts ist riesig. Denn die Europäische Union, die größte Volkswirtschaft der Erde, hängt energiepolitisch am Tropf: Sie deckt mehr als die Hälfte ihres Energiebedarfs mit Einfuhren. Ein ganzer Kontinent wartet nun darauf, dass 2011 das erste Gas fließt.

Der Druck ist groß. Doch ob die Pipeline-Milliarden die prekäre Lage Europas wirklich entspannen, ob Europa sein Energieproblem in den Griff kriegt, daran gibt es berechtigte Zweifel. Denn die neuen Energieadern könnten den Kontinent nur noch verwundbarer machen. Und schuld daran sind nicht einmal die anderen. Denn der Traum vom geeinten Europa endet bislang am heimischen Gasherd. In der Energiepolitik herrscht seit Jahren gefährliche Kleinstaaterei zwischen Madrid und Berlin.

Nirgendwo wird das deutlicher als an den Pipelineplänen selbst. Während Deutschland die Ostseeroute vorantreibt, fördert die EU die Alternativtrasse Nabucco im Süden des Kontinents. Sie soll Russland umgehen und Europa einen direkten Zugang zu Gasvorkommen im kaspischen Raum ermöglichen. Das Ziel: Mehr Unabhängigkeit von Russland. Der Bau der 3000-Kilometer-Röhre soll eigentlich noch in diesem Jahr starten. Doch von Präsident Medwedjew angetrieben entwickelt der russische Staatskonzern Gazprom - ausgerechnet im Duett mit Frankreich - in Nabuccos direkter Nachbarschaft die dritte Großröhre: das Konkurrenzprojekt South Stream. Schon vor dem Start könnte Nabucco nun die Puste ausgehen.

Die Machtspiele an der Pipeline legen schonungslos die Defizite Brüsseler Politik offen: Zwar hat die EU ihre Mitgliedstaaten in Energiefragen zuletzt schleichend entmachtet. Sie zog den Emissionshandel an sich. Sie erzwang mehr Liberalisierung bei Strom und Gas. Doch noch immer sind die Versprechen einer gemeinsamen Energiestrategie das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. EU-Mitglieder werkeln am liebsten alleine vor sich hin. Der Nationalismus von Franzosen und Spaniern, die ihre Versorgung um keinen Preis aufgeben wollen, ist da nicht besser als der deutsche Alleingang in der Ostsee. Europa wirkt wie ein Mietshaus, in dem jede Partei ihren eigenen Öllaster bestellt.

Dabei hat in der Energiepolitik ein neues Zeitalter begonnen: jenes dramatischer Verteilungskämpfe um die immer knapper werdenden und gleichzeitig in immer größeren Mengen benötigten Ressourcen. Europa steht vor einem Jahrzehnt, in dem das Thema Energiesicherheit zunehmend die internationale Politik bestimmt und in dem die Karten für Gewinner und Verlierer im Ringen um Rohstoffe neu gemischt werden.

Während sich die Lieferanten in der Gas-Opec zusammenschließen, Energiekonzerne munter grenzüberschreitend fusionieren, zerbrechen sich Berliner Regierungsbeamte noch immer den Kopf über die erste nationale Energiestrategie seit Jahrzehnten, die im Herbst vorgestellt werden soll. De facto läuft das Geschäft aber auch auf dem deutschen Markt längst grenzüberschreitend. Wer als deutsches Unternehmen Windräder aufstellt oder konventionelle Kraftwerke betreibt, bedient den britischen genauso wie den deutschen Markt.

Statt weiter kostspieligen und riskanten Mammut-Pipelines Priorität einzuräumen, sollte sich die EU stärker auf den Umbau ihrer Energieversorgung konzentrieren und den Blick nach innen richten: auf mehr Energieeffizienz und die koordinierte Nutzung erneuerbarer Quellen. Neben dem Wüstenstromprojekt könnte auch Seatec, die Energie aus der von Wind und Wellen bewegten Nordsee, die Bindung an fragwürdige Regime lösen. Die Vollendung des EU-Binnenmarkts hätte auch für die Versorgungssicherheit einen wichtigen Effekt.

Europa darf nicht akzeptieren, dass es auf Gedeih und Verderb einem Land ausgeliefert ist, das zwar über die größten Gasreserven der Welt verfügt, seine Bodenschätze aber bei Bedarf als politische Waffe gegen unliebsame Nachbarn einsetzt. Und von einer Regierung, die versucht, all jene Projekte im Keim zu ersticken, mit denen sich Abnehmer vom östlichen Riesenreich lösen wollen.

Es wäre höchste Zeit für die Europäer, in Brüssel mit einer eigenen starken Stimme zu sprechen. Die Energiewelt könnte längst ein gutes Stück anders aussehen, wenn EU-Länder gemeinsam Großprojekte vorantrieben. Wenn sie auf dem globalen Markt zusammen für die sichere Versorgung mit Rohstoffen kämpften. Und die Preise könnten sinken, wenn viele Anbieter um ihre Kunden konkurrieren - und nicht, wie Gazprom es gerne hätte, umgekehrt.

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SZ vom 10./11.04.2010
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