Süddeutsche Zeitung

Elektromobilität:Was Autofahrer über das neue Schnellladenetz wissen müssen

Lesezeit: 6 min

Von Max Hägler und Stefan Mayr

Spätestens 2020 soll sie in ganz Europa der Vergangenheit angehören, die vielzitierte Reichweitenangst der Autofahrer. Ein flächendeckendes Netz von Stromladepunkten an allen Fernstraßen soll Fahrern von Elektro-Autos auch sorglose Langstreckenreisen ermöglichen - und damit die Ära der E-Mobilität einläuten.

Zu diesem Zweck haben die Auto-Hersteller Daimler, Volkswagen, BMW und Ford schon vor einem Jahr ein gemeinsames Unternehmen angekündigt. Dieses hat jetzt endlich seinen Betrieb aufgenommen. Es heißt Ionity, sitzt in München und soll bald schon 50 Mitarbeiter haben.

Und das müssen die Besitzer von Stromautos und alle, die einen Kauf erwägen, jetzt wissen:

Was machen die Hersteller genau?

Ein Netz von 400 Ultraschnelllade-Tankstellen mit Tausenden Ladepunkten wollen die Hersteller bis ins Jahr 2020 in ganz Europa aufbauen. Das Ziel ist, auf Autobahnen und Hauptverkehrsachsen alle 120 Kilometer einen öffentlich zugänglichen Ladepunkt bereitzustellen. Städte sind explizit kein Thema, die Anbieter gehen davon aus, dass sich dort der Markt von alleine regelt, was allerdings nicht überall der Fall ist. Allerdings ist auch die Versorgung der Fernstraßen ein mühevolles Unterfangen: Im November 2016 kam die erste Ankündigung des Gemeinschaftsunternehmens. Erst jetzt, genau ein Jahr später, soll nun der Aufbau der ersten 20 Stationen starten. Bis Ende 2018 sollen dann "über hundert" Stationen stehen.

Wieso dauert das alles so lange?

Wenn vier Hersteller, mithin vier Konkurrenten, etwas gemeinsam ausdenken, birgt das stets Diskussionspotential: etwa bei der Frage, wie viel Geld soll genau fließen? Zumal es in den Unternehmen jeweils schon noch Kräfte gibt, die Elektromobilität bremsen wollen: Denn mit E-Autos lässt sich derzeit wenig bis kein Geld verdienen.

Dazu kamen noch Prüfungen durch Kartellbehörden. Herausfordernd ist schließlich die Suche nach "Kooperationspartnern", also den Plätzen für die Ladesäulen: Es kommen eigentlich nur Tankstellen und gut ausgestattete Rastanlagen in Betracht. Der E-Auto-Fahrer will während des Ladens Kaffee trinken, das WC aufsuchen und vielleicht noch eine Breze essen - in annehmbaren Umständen. Das lassen sich die Raststätten-Betreiber bezahlen, die in allen Ländern Europas unterschiedlich organisiert sind. Die einen wollen Platzmiete, die anderen Provisionen an den Umsätzen der Ladesäule. Herausfordernde Verhandlungen sind das mit ganz unterschiedlichen Gesprächspartnern, und es ist deshalb noch nicht sicher, ob letztlich überall in Europa wie geplant diese Ionity-Tankstellen stehen werden. Immerhin drei Partner stehen schon fest: Tank & Rast, OMV und Circle K.

Wieso machen das die Hersteller?

Von Henne und Ei ist oft die Rede bei Elektromobilität: Die Menschen kaufen sich keine E-Autos, weil sie Angst haben, dass sie gerade bei Überlandfahrten nicht genügend Ladesäulen finden und deshalb liegenbleiben. Von der anderen Seite betrachtet: Es gibt so wenige Ladesäulen, weil es so wenige Elektroautos gibt (etwa 45.000, im Vergleich dazu: 45,8 Millionen Pkw gibt es insgesamt in Deutschland) und sich der Aufbau von Säulen nicht rechnet. Derzeit sind Ladesäulen tatsächlich noch wenig ausgelastet: Der Energieversorger EnBW verzeichnet an einem Schnellladestandort heute im Schnitt 0,6 Ladevorgänge pro Tag.

Die Autohersteller wollen nun helfen, das Henne-Ei-Problem aufzulösen. Sie müssen Elektroautos absetzen, weil sie sonst mit ihrer verkauften Flotte die Abgasgrenzwerte reißen, die ab dem Jahr 2020 noch schärfer werden. Und sie wollen Elektroautos verkaufen, weil das dem Image gut tut, das so ramponiert ist seit dem Dieselskandal. Offiziell heißt es dazu von Geschäftsführer Michael Hajesch: "Die Verfügbarkeit eines flächendeckenden High-Power-Charging-Netzwerks ist für die Marktdurchdringung der Elektromobilität unabdingbar." Die Gründung der neuen Firma sei ein wichtiger Meilenstein, der zeige, "dass die Automobilhersteller ihre Kräfte dazu bündeln".

Wer zahlt das alles?

Die vier Unternehmen sind zu je einem Viertel beteiligt an der neuen Firma. Über die Kosten schweigen sich die Konzerne aus. Sie werden auf einen hohen dreistelligen Millionenbereich geschätzt. Allerdings ist das nicht nur Geld der Automobilbauer: In die Tankanlagen fließen Subventionen, etwa von der Europäischen Union ("Connecting Europe") und der Bundesregierung, die bis zu 300 Millionen Euro Fördergelder an E-Tankstellen-Betreiber vergibt. Die vier Hersteller setzen auch darauf, die Kosten weiter zu teilen: Weitere Partner seien willkommen, heißt es. Erste vertrauliche Gespräche wurden bereits geführt.

Wieso dieser Name?

Das bleibt bislang das Geheimnis der vier Konzerne. Zunächst trug ihr Gemeinschafts-Unternehmen die sperrige Platzhalter-Bezeichnung "European High Power Charging Beteiligungsgesellschaft mbH". Jetzt wurde das Projekt in Ionity umgetauft. Das Kunstwort ist eine Mischung aus dem englischen Begriff Unity (Einigkeit) und dem Wörtchen Ion, das für ein elektrisch geladenes Atom steht und als Bestandteil in den wiederaufladbaren Lithium-Ionen-Batterien auftaucht.

Der Kunstbegriff Ionity ist nicht neu und alles andere als unverbraucht. So verkauft der Elektronikkonzern Panasonic unter dem Modellnamen Ionity mehr oder wenige innovative Haartrockner. Und die Ionity AG war eine Firma, die einst in Kamenz Batteriezellen herstellte und 2004 krachend gegen die Wand fuhr. Nur zwei Jahre nach seiner Gründung - kräftig angeschoben von einer 20-Millionen-Subvention aus Sachsen - ging die AG in Insolvenz. 2005 wurde sie aufgelöst. Ihren Namen nochmal hervorzukramen, zeugt von Selbstbewusstsein.

Wie lange dauert das Stromladen?

Das hängt von den einzelnen Fahrzeug-Modellen ab. Das Joint Venture will den Ladevorgang zwar massiv beschleunigen - denn welcher Sportwagenfahrer will schon regelmäßig eine stundenlange Pause machen? "Schnelle, komfortable und digital bezahlbare Ladevorgänge sind unser Ziel", sagt Ionity-Chef Michael Hajesch. Dennoch wird auf absehbare Zeit das Laden noch länger dauern als das Tanken von Benzin oder Diesel.

Das Konsortium will zwar 350-Kilowatt-Ladestationen anbieten. Das ist ein enormer Fortschritt, die derzeit üblichen Säulen leisten meist elf oder 22 Kilowatt. Aber beileibe nicht jedes E-Auto schafft diese Druckbetankung: Ein i3 von BMW verkraftet nur 50 Kilowatt. Die Elektronik regelt alles andere herunter, weil die Zellen sonst überhitzen und die Chemie sonst verrückt spielt. Das Ultraschnellladen wird also den Fahrzeuggenerationen der Zukunft vorbehalten sein - und wohl auch da nur den Premium-Modellen.

Was kostet das Tanken?

Auch das ist noch unklar und überhaupt eine der großen Ungewissheiten in der Elektromobilität. Es gibt derzeit zwei unterschiedliche Abrechnungsmethoden an bestehenden deutschen Ladestationen. Einmal wird über die Zeit abgerechnet, die das Kabel am Fahrzeug hängt. Bei dem Betreiber EnBW werden da 21 Euro pro Stunde Schnellladen fällig, wer mit geringerer Leistung tankt, zahlt sechs Euro - dabei ist zu beachten: Unterschiedliche Autos und Batterien laden unterschiedlich schnell auf.

Zum anderen gibt es Abrechnungen nach getankter Energie, das bewegt sich zwischen 30 und 50 Cent je Kilowattstunde - zum Vergleich: Der Hausstrom daheim kostet etwa 20 bis 25 Cent. Tesla dagegen hat seinen ersten Kunden lange Zeit kostenloses Aufladen an seinen sogenannten "Superchargern" angeboten. Damit ist inzwischen Schluss: Wer jetzt einen Tesla kauft, muss den Strom ebenfalls bezahlen. Wenigstens bei der Abrechnung will Ionity den bisherigen Ladekarten-Salat der einzelnen Säulenanbieter beenden. "Plug & Charge" heißt das System, das den Betrag automatisch nach dem Ein- und Ausstecken des Ladekabels am Fahrzeug vom Konto abbuchen soll.

Wer darf tanken?

Jeder, heißt es bei dem Unternehmen - andernfalls wären wohl auch keine Subventionen drin. Auch der größte E-Auto-Wettbewerber Tesla "wäre willkommen", sagen sie in der Ionity-Zentrale in München. Nicht verwunderlich: Es geht um Umsatz, da zählt jeder Ladevorgang. Allerdings sind Tesla-Fahrzeuge mit einer eigenen Steckertechnik ausgestattet, die nicht kompatibel ist mit dem CCS-System. Und Adapter gibt es da nur begrenzt. "Bei mehr als 50 KW Ladeleistung verglüht da jeder Adapter", heißt es.

Wie ist das Ultraschnell-Laden überhaupt technisch möglich?

Wer mit 350 Kilowatt Leistung aufladen will, braucht dicke Leitungen mit dicker Isolierung und Wasserkühlung. Eine Tankstelle mit mehreren solchen Anschlüssen braucht noch dickere Leitungen: Statt 150 Quadratmillimeter Querschnitt haben die Stränge dann 300 Quadratmillimeter.

Das Niederspannungsnetz, das gewöhnliche Haushalte versorgt, ist hierfür viel zu schwach. Deshalb muss in der Regel ein Anschluss ans Mittelspannungsnetz her. An der Tankstelle sind dann Transformator-Häuschen nötig, die den Strom herunter regeln.

Wer koordiniert auf EU-Ebene den Ausbau des Ladenetzes?

Niemand. Oder anders: Der Markt soll's richten. Das zeigt sich auch daran, dass es keine allgemein gültige Landkarte mit Ladesäulen gibt. Der neue Ladesäulenanbieter Ionity verspricht "die intelligente Verknüpfung mit bestehenden Ladelösungen". Man stehe deshalb in intensivem Austausch mit bestehenden Infrastrukturinitiativen - unter anderem unterstützt von den Gründungsunternehmen und der Politik. Es geht also wohl besonders ums Lückenfüllen.

Wer baut sonst noch?

Vor allem Stadtwerke und Stromversorger bauen Ladesäulen - und der E-Auto-Pionier Tesla, der Fernstraßen in Europa bereits mit seinen "Superchargern" versorgt hat. Der drittgrößte deutsche Energieversorger EnBW will etwa Marktführer beim Betrieb von Schnellladesäulen werden und bis 2020 an 1000 Standorten Schnellladesäulen betreiben, also mindestens 2000 Ladepunkte, alleine in Deutschland.

Das wäre die Hälfte des Gesamtbedarfs, schätzt der Versorger, der bereits jetzt in Baden-Württemberg zahlreiche Ladesäulen errichtet und auch mit dem Autokonsortium zusammenarbeitet. Und Audi, BMW, Renault und die Siemens-Tochter Smatrics bauen derzeit zwischen Amsterdam und Wien zwei Dutzend Ultraschnell-Ladestationen auf.

Und wann sind die Kraftwerke überlastet mit all den E-Autos?

Der Punkt ist noch lange nicht erreicht: Selbst wenn einmal eine Million E-Autos fahren werden, steigt der Stromverbrauch in Deutschland dadurch nur um rund ein halbes Prozent. Allerdings wird es schwierig, wenn künftig auf einmal ein ganzer Pulk an einem Rasthof gleichzeitig schnell viel Strom zieht - diese Spitzen gilt es abzufangen. Auch deshalb muss jede neue Ladesäule der Bundesnetzagentur gemeldet werden.

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