Süddeutsche Zeitung

Elektromobilität:Angriff aus Wolfsburg

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VW-Chef Herbert Diess fährt voll auf Stromer ab und geht damit auf Konfrontation. Vielen in der Branche ist diese Strategie zu einseitig.

Von Joachim Becker und Max Hägler, München

Es war ein Satz, der schon für die Arbeiter bei Volkswagen viel bedeutet. Aber mittlerweile versetzt er die gesamte Automobilindustrie in Aufruhr. "Jetzt gilt es, alle Kräfte auf ein Ziel auszurichten", erklärte Volkswagen-Konzernchef Herbert Diess in der vergangenen Woche in Wolfsburg. Das Ziel: Elektroautos, und zwar ganz schnell. "Technologieoffenheit" sei die falsche Parole. Kein Gasantrieb, kein Diesel, kein Benzin, kein Hybrid, keine Brennstoffzelle - nein, nur noch Strom lautet seitdem zugespitzt die Parole in der VW-Zentrale Wolfsburg. Es ist für Volkswagen tatsächlich der Beginn eines Systemwechsels - immer deutlicher werden dabei die Reibungspunkte: Die anderen Autohersteller und ihre Zulieferer wollen diese hohe Beschleunigung nicht mitgehen.

Am Wochenende spitzte sich die Debatte erstmals zu: Während Diess in sozialen Medien seine neue Geschäftsstrategie mit Nachdruck wiederholte, bremsten andere Firmenchefs. Es ist ein Konflikt, an dem auch die einst so mächtige Autoindustrieinteressenvertretung, der VDA, zerbrechen könnte. "Wir stehen vor einer Branchenkrise", hörte man am Sonntag jedenfalls aus einem anderen deutschen Autokonzern.

Diess hatte zuvor auf dem Internetportal Linkedin nachgelegt: Die industriepolitische Festlegung auf eine Leittechnologie bei Antrieben sei bislang abgelehnt worden, auch von Volkswagen. "Aber diese Haltung ist von gestern." Denn es gelte, die Erderwärmung zu stoppen, also den Ausstoß von Kohlendioxid zu senken. Elektromobilität sei die einzige Technologie, mit der das machbar sei. Die Brennstofftechnologie etwa sei höchstens halb so effizient wie Stromautos und würde die Gesellschaft 60 Milliarden Euro Investitionen kosten. Deswegen brauche es jetzt einen "Masterplan Elektromobilität" von Politik und Wirtschaft, der etwa den Bau von Stromtankstellen organisiere. Auch die "zügige Energiewende", die Diess fordert, geht weit über den jüngst vereinbarten Kohlekompromiss hinaus. "Kohle- und CO₂-freier Strom ist ein Muss für E-Autos."

Ebenfalls am Wochenende hatte BMW-Chef Harald Krüger im SZ-Interview klar erklärt: "Ich glaube nicht daran, dass es überall mit der Elektromobilität gleich schnell funktionieren wird, deshalb sind wir weiter technologieoffen." Die meisten künftigen Wagen sollen deshalb in drei Antriebsvarianten angeboten werden: mit einem effizienten Verbrennungsmotor, als Hybrid sowie vollelektrisch. Untergeordnet wird auch noch an Brennstoffzellen geforscht. Ähnlich ist es in Stuttgart, beim Daimler-Konzern. Wolf-Henning Scheider, Chef von ZF, dem drittgrößten deutschen Autozulieferer, sagte im Tagesspiegel: "Man darf nicht die Strategie eines einzelnen Unternehmens mit der gesamten Branche gleichsetzen." Der Umstieg auf E-Mobilität werde nicht in 20 Jahren zu machen sein. Die Wolfsburger dagegen wollen 2040 das letzte Auto mit einem Verbrennungsmotor produzieren.

Dahinter steckt nicht nur der Wille zur Rettung des Klimas, den erklären alle Manager mittlerweile, sondern unterschiedliche Strategien und technische Entwicklungen: Nur VW hat eine komplett neue Elektroautoplattform entwickelt, die auch Tesla Konkurrenz machen könnte. Die anderen beiden deutschen Hersteller BMW und Daimler setzen dagegen auf das, was man in der Branche "Fächerstrategie" nennt. Sie haben auch nicht die Größe, um mal eben eine moderne Elektroautoplattform zu entwickeln und zu nutzen. Dazu sind bei den Managern die Sorgen vor den Konflikten mit Arbeitnehmern offenbar unterschiedlich ausgeprägt: Krüger warnt etwa sehr deutlich vor einem zu schnellen Wandel, da dieser viele Arbeitsplätze kosten könnte.

Tatsächlich demonstrierten dieser Tage mehrere Tausend Bosch-Mitarbeiter gegen drohende Stellenverluste durch den Wechsel zu E-Autos. Auch in Diess' Konzern drohen weitere Konflikte: Für den kommenden Mittwoch haben VW-Arbeitnehmervertreter zur Betriebsversammlung gerufen. Diess geht davon aus, dass langfristig etwa 100 000 Stellen in der Autobranche gefährdet sind, weil E-Autos ein Drittel weniger Herstellungsaufwand erfordern als bisherige Wagen.

Die unterschiedlichen Positionen der Unternehmen spürt indes der VDA besonders. Schon bislang sind sie im VW-Konzern unzufrieden über die ihrer Meinung nach ungenügende Imagearbeit des Interessenverbandes. In den vergangenen Tagen wandte sich VW abermals an den VDA, forderte eine viel stärkere Unterstützung der Elektromobilität. So solle der Verband - dem VW-Masterplan folgend - etwa in der Politik auf eine höhere Besteuerung von Benzin- und Dieselautos dringen, damit der Betrieb von Elektroautos wiederum günstiger werde.

Und man hört dazu aus Wolfsburg: Wenn der VDA weiter so unentschieden handle, dann brauche man ihn eigentlich nicht mehr: Man müsse auf VW hören, denn man sei mit Abstand der größte Hersteller.

Angesichts des großen Konflikts proklamiert der VDA unter Führung von Präsident Bernd Mattes nun eine Art neue Streitkultur: Man wisse um die "Reibungen", erklärt der Verband. Für die zukünftige Mobilität habe indes jedes der 600 Mitgliedsunternehmen seine eigene Priorisierung. Das Hauptaugenmerk liege bereits auf der Elektrifizierung und der Ausweitung des Produktangebotes, wofür die Mitgliedsunternehmen in den nächsten drei Jahren rund 40 Milliarden Euro investierten. Unter "optimalen Bedingungen" kann sich Mattes "einen Bestand von sieben Millionen E-Pkw bis 2030 in Deutschland" vorstellen. Aber: "Andere Antriebs- und Kraftstoffalternativen bleiben im Blickfeld." Ob Diess das gefällt? Man wolle jedenfalls einen gemeinsamen Weg finden, heißt es bei der Konkurrenz. Das Ziel sei ja ähnlich, die Geschwindigkeit eben verschieden. In den nächsten Tagen wollen sie reden.

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Quelle:
SZ vom 18.03.2019
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