Digitalwährungen:Wie Start-ups mit dem Bitcoin-Hype Millionen scheffeln
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Willkommen im Wilden Westen der Krypto-Enthusiasten: Anstatt Banken Businesspläne erklären zu müssen, erfinden Start-ups einfach neue Digitalwährungen.
Von Victor Gojdka
Der Schlag, der Floyd Joy Mayweather junior am ersten November ereilte, kam unerwartet und traf ihn bei der Ehre. Es war ausgerechnet die amerikanische Finanzaufsicht, die in einer Pressemitteilung zu Protokoll gab, Sportfiguren und anderen Ikonen mangele es an Finanzexpertise. Gemeint - das wusste jeder in den USA - war niemand anderes als Ex-Boxer Mayweather. Ohne seinen Namen auch nur auszusprechen, hatte die Behörde den Sportler öffentlich demontiert. Ihn geschlagen.
Mayweather, Spitzname "Money", hatte seine Fans im Juli für neues Digitalgeld begeistern wollen, das Start-ups derzeit im Internet verkaufen. Für ein Foto hatte der Boxer vor sich stapelweise Dollarscheine drapiert. 25 Geldbündel, um genau zu sein. "Ich werde eine Scheiß-Tonne voll Geld damit machen", schrieb der Boxer neben das Foto. Mayweather nährte damit, was Experten inzwischen eine dubiose Jagd nach den digitalen Münzen nennen.
Alle hoffen auf den nächsten Bitcoin
Mehr als 220 sogenannte Kryptowährungen haben Start-ups in diesem Jahr bereits geschaffen, diese an Kunden verkauft - und sich so mit mehr als 3,5 Milliarden Dollar aufgepumpt. Manchmal brauchen die Start-ups nur wenige Augenblicke, um Millionen zu scheffeln: Dem Unternehmen Brave warfen Investoren innerhalb einer halben Minute 35 Millionen Dollar zu.
Experten fassen dieses Phänomen in drei Worte: Initial Coin Offering (ICO). Klar, dass immer mehr Start-ups auf diese wundersame Geldschöpfung im Netz setzen. Statt eine Ochsentour bei Banken zu absolvieren oder sich von Wagniskapitalgebern in die Mangel nehmen zu lassen, verkaufen die Start-ups einfach ihre Digitalmünzen. Doch statt eines konkreten Businessplans besitzen viele Start-ups bloß eine vage Ideensammlung. Die Anleger wiederum hoffen, dass der Wert der Digitalwährungen explodiert, dass sie den neuen Bitcoin finden.
Geld aus dem Nichts, es ist diese Verheißung, die Unternehmer wie Anleger gerade verrückt macht - und inzwischen Betrüger lockt. Willkommen im Wilden Westen der Krypto-Enthusiasten.
Anleger zocken auf Online-Börsen und hoffen auf den ganz großen Gewinn
Es war am 16. Oktober um Punkt 20 Uhr, als der Österreicher Paul Polterauer wusste, dass sein Unternehmen um rund zwei Millionen Dollar reicher ist. Im Internet hatte der Jung-Unternehmer zuvor eigene Cyber-Münzen entwickelt, einen Monat lang konnten Interessierte dem Unternehmen seine "Herocoins" abkaufen, die "Heldenmünzen". Bald sollen sie die "Coins" auf einer Plattform nutzen können, mit deren Hilfe Sportfreunde direkt miteinander wetten können. Ohne Buchmacher.
Polterauer hat seine Digitalwährung akribisch geplant. Unternehmensanteile im Tausch gegen Krypto-Münzen herausgeben? Da landet man sofort im Wertpapierrecht, viel zu kompliziert. Gar keine Gegenleistung? Dann würden Investoren gewissermaßen Geld schenken oder spenden, riecht schnell nach Betrug. Für die Digitalmünzen Nutzungsrechte gewähren, die Nutzer also auf der eigenen Plattform wetten lassen? Das klang für Polterauer nach einer passenden Version für sein Unternehmen, es ist die zurzeit wohl populärste Form der digitalen Münzen.
Anleger wiederum hoffen auf gigantische Gewinnaussichten. Auf speziellen Online-Börsen können sie die Münzen handeln, damit zocken. Denn die Zahl der digitalen Münzen je Währung ist gedeckelt, interessieren sich mehr und mehr Krypto-Enthusiasten für eine Währung, steigt der Preis automatisch. Inzwischen investieren selbst professionelle Risikokapitalgeber wie Sequoia oder Union Square Ventures in die Cybermünzen. Es ist ein Spiel mit der Hoffnung, dass ausgerechnet der Wert ihrer Münzen explodieren wird. Doch statt des Preises könnte etwas anderes explodieren, sagen Experten: der ganze ICO-Hype.
Aus diesen Sorgen macht Markus Kaulartz, 31, sein Geschäft. Einst war er Softwareentwickler, heute arbeitet er als Anwalt der Münchner Wirtschaftskanzlei CMS Hasche Sigle. Kaulartz hat Kapuzenpullis gegen weiße Hemden getauscht, Programmierzeilen gegen das Bürgerliche Gesetzbuch. Knapp zehn ICOs betreut er zurzeit juristisch. Der Anwalt soll den Start-ups ein Gütesiegel verpassen: "Hier geht es mit rechten Dingen zu." Denn inzwischen wurden Fälle bekannt, in denen Firmen ihre Geschäftstätigkeit wohl nur vortäuschten und Geld für nichts einwarben.
Man könnte Kaulartz einen Übersetzer zwischen zwei Welten nennen: Er muss Start-ups Begriffe wie Kaufrecht und Kreditwesengesetz verständlich machen und erklären, wieso sie statt der unter Krypto-Anarchisten beliebten Phrase "Der Code ist das Gesetz" doch lieber deutsche Geschäftsbedingungen und einen ordentlichen Risikohinweis veröffentlichen sollten. So will der Anwalt die ICOs aus dem Schatten holen.
Die Arbeit ist schwierig, eine klare Regulierung für ICOs existiert in Deutschland genauso wenig wie in vielen anderen Ländern. China und Südkorea haben den digitalen Goldrausch zwar vollständig verboten. Die meisten anderen Behörden bieten jedoch nur eine Prüfung der Projekte "im Einzelfall", beschränken sich öffentlich bislang auf Verbraucherwarnungen.
Die abgedrehte Idee eines Farmers könnte viele Nachahmer finden
Weit weg von diesen Debatten sitzt Bauer Michail Schljapnikow vor seinem Haus im russischen Kolionowo. Man muss von Moskau drei Stunden fahren, dann noch einmal 30 Kilometer von Jegorjewsk. Irgendwo hinter einem verrosteten Ortsschild liegt der Weiler Kolionowo. "Ich wollte beweisen, dass man einen ICO auch außerhalb der Kryptoszene machen kann", sagt Schljapnikow.
Ein ICO für Landwirte? Das klingt nach der abgedrehten Idee eines Farmers, eines überzeugten Anarchisten noch dazu. Doch sein Modell könnte die Blaupause dafür sein, das Phänomen ICO über die Grenzen der kleinen Szene der Kryptonerds herauszukatapultieren. In die Realwirtschaft. Schljapnikow pflanzt auf seinem Hof Setzlinge, hat ein paar Hühner und einen Teich mit Fischen. Mit seiner Kryptowährung Kolion hat der Landwirt nach heutigem Stand mehr als zwei Millionen Dollar eingeworben. Als Gegenleistung können seine Investoren Fresskörbe bekommen und Rabatte von bis zu zehn Prozent. Vor allem aber stieg der Wert der Münzen bereits um 380 Prozent.
Die meisten Anrufer hoffen auf kostenloses Geld
Bereits ein gutes Dutzend Landwirte in Russland planen derzeit ICOs, andere Start-ups wollen Mittelständlern eine Rundumbetreuung für ICOs anbieten. Und in Deutschland will das Magazin Welt der Wunder eine Digitalwährung ausgeben. Sie alle dürften Schljapnikows Beispiel genau beobachten. Täglich bekommt er Anrufe von Krypto-Laien, die verstehen wollen: Wie hat dieser Landwirt das gemacht?
Meistens, sagt Schljapnikow, hofften die Anrufer nur auf kostenloses Geld. Schljapnikow brummt, den Sinn der Cybermünzen würden die meisten nicht verstehen: Dass es für den Handel der Digitalwährungen keine Zentralbanken brauche, keine Banken und nicht einmal Geldpolitiker. Dass Nutzer die Münzen von Person zu Person handeln, ganz direkt.
Das, sagt Anarchist Schljapnikow, sei sein Traum. Sein Unternehmen unabhängig zu machen von Politik, Behörden und Großhändlern. Geld sei ihm völlig egal, er könne schließlich vom Feld leben. "Ich habe Fische im Teich, hier Obst und da drüben Gemüse." Dazu noch ein bisschen Brot und Alkohol. Das reicht.