Süddeutsche Zeitung

Deutsche Börse:Kengeters Rücktritt war überfällig

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Ausgerechnet der Chef der Deutschen Börse soll beim Aktienhandel sein Insiderwissen genutzt haben. Gut, dass er weg ist.

Kommentar von Ulrich Schäfer

Das Drama um Carsten Kengeter und seine zweifelhaften Aktiengeschäfte ist endlich vorbei. Der Chef der Deutsche Börse AG wirft hin, er gibt seinen Posten auf - es ist die späte Einsicht eines Mannes, der längst hätte gehen müssen; eines Mannes, der seine Aufgabe als Chef der Deutschen Börse nicht so gewissenhaft, ehrenhaft und zuverlässig ausgeübt hat, wie man das vom Verantwortlichen eines solchen Handelsplatz-Betreibers hätte erwarten können.

Denn die Deutsche Börse ist ja nicht irgendein Unternehmen, sie handelt nicht mit Krimskrams, nicht mit Schnickschnack, sie ist kein Tante-Emma-Laden, der sich ein gewisses Chaos erlauben darf, weil das geordnete Durcheinander eben den Charme eines solchen Geschäfts ausmacht. Nein, die Deutsche Börse ordnet und steuert einen der wichtigsten Märkte der Republik: jenen für Aktien und Wertpapiere. Auf keinem Marktplatz der Republik wird auch nur annähernd so viel Geld umgesetzt wie dort, nirgends werden so viele Hoffnungen (und manchmal Ängste) gehandelt, nirgends ist der Kapitalismus in einer so ursprünglichen Form zu beobachten. Die Deutsche Börse übt dabei, wie Carsten Kengeter selbst im Mai auf der Hauptversammlung betonte, auch hoheitliche Aufgaben aus, sie ist also nicht bloß sich selbst verpflichtet, dem eigenen Gewinn, dem eigenen Aktienkurs, sondern dem Staat, der Öffentlichkeit. "Diese Aufgaben", so formulierte es Kengeter, "kann sie nur mit der Gesellschaft erfüllen und nicht gegen sie."

Die der Gesellschaft verpflichtete Deutsche Börse ist dabei ein seltsamer Zwitter: Sie ist selbst privatwirtschaftlich organisiert, als Aktiengesellschaft; man kann mit ihren Aktien handeln, mit ihnen spekulieren, und zwar just an jenem Handelsplatz in Frankfurt, den die Deutsche Börse AG selbst betreibt. Zugleich unterliegt die Börse - der hoheitlichen Aufgaben wegen - einer staatlichen Kontrolle und Aufsicht, festgeschrieben im Börsengesetz. Diese Kontrolle wird von Wiesbaden aus ausgeübt, sie obliegt dem Hessischen Wirtschaftsministerium. Den Wertpapierhandel überwacht zudem die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen, die Bafin; sie greift zum Beispiel ein, wenn jemand sein Insiderwissen nutzt, um daraus Vorteile zu schlagen, wenn er Aktien kauft oder verkauft.

Der Aktiendeal stank zum Himmel

Genau das hat Carsten Kengeter nach allem, was man zu dem Fall bisher weiß, mutmaßlich getan. Der Ex-Investmentbanker wechselte vor gut zwei Jahren nach einer Auszeit zur Deutschen Börse, schon bald danach soll er geheime Gespräche geführt haben, um einen Zusammenschluss mit der Londoner Börse LSE auszuloten. Ein paar Wochen später bot sein Arbeitgeber ihm dann einen lukrativen Deal an: ein Paket von Aktien der Deutschen Börse - diese waren schon damals ein paar Millionen Euro wert, und ihr Wert wäre wohl deutlich gestiegen, wenn die Fusion mit der Londoner Börse gelungen und nicht am Brexit gescheitert wäre.

Kengeter soll, so lautete der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, sein Insiderwissen über die bevorstehende Übernahme also genutzt haben, um sich persönlich zu bereichern. Der Aktiendeal müffelte also nicht bloß ein wenig, sondern er stank zum Himmel, Kengeter hätte sich niemals darauf einlassen dürfen, und der Aufsichtsrat der Börse hätte ihm den Deal niemals andienen dürfen.

Der Aufsichtsrat der Deutschen Börse hat versagt

Und selbst wenn man Kengeters Argumentation folgt, wonach die Fusionsgespräche erst kurz nach dem Kauf begannen: Er hätte, da die Börse eben kein Krimskrams-Laden ist und er kein Krimskrams-Vorstandschef, spätestens mit dem Beginn dieser Gespräche das Aktiengeschäft rückgängig machen müssen. Er hätte eingedenk der besonderen Rolle der Börse - hoheitliche Aufgaben, gesellschaftliche Verantwortung - den bloßen Anschein vermeiden müssen, dass hier etwas Anrüchiges geschieht oder geschehen ist. Dies gilt übrigens in gleicher Weise für den Aufsichtsrat der Börse und dessen Chef Joachim Faber. Er hätte sagen müssen: Halt! Kommando zurück!

Wenn also Kengeter sich nun, nach quälenden Monaten der Ermittlungen, endlich dem Druck der Börsenaufsicht und der Bafin beugt und zurücktritt, wenn also die Deutsche Börse nun die Chance zum Neuanfang hat, dann sollte sie nicht bloß den Vorstandsvorsitzenden austauschen. Sondern auch an der Spitze des Aufsichtsrats tut ein Wechsel not: Joachim Faber sollte Kengeter folgen und sein Amt ebenfalls niederlegen.

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Quelle:
SZ vom 27.10.2017
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