Süddeutsche Zeitung

Hauptversammlung:Chefaufseher der Deutschen Bank droht eine Schmach

Lesezeit: 2 min

Von Meike Schreiber, Frankfurt

Paul Achleitner ergeht sich gerne in Film-Analogien. In kleiner Runde fragte neulich jemand den Aufsichtsratschef der Deutschen Bank, ob es ihm nicht ein wenig graue vor der Hauptversammlung des größten deutschen Geldhauses. Angesichts der desolaten Lage der Bank stehen ihm dort an diesem Donnerstag nicht nur wütende Reden von Aktionären bevor, sondern auch ein historisch schlechtes Abstimmungsergebnis.

Mit gequältem Lächeln verwies Achleitner dann auf eine Filmszene aus dem Agententhriller "Der Unterhändler". Scheinbar ungerührt sitzt dort ein Spion vor Gericht, in Erwartung jahrzehntelanger Haft oder der Todesstrafe. Ob er sich eigentlich nie Sorgen mache, fragt ihn sein Anwalt. "Würde es denn helfen?", fragt der Angeklagte zurück. So ähnlich fühle er sich auch. Seine dunklen Augenbrauen zuckten dabei wie so oft hinter seiner runden Brille, voller Freude über die Pointe.

Freilich droht dem 62-jährigen Österreicher auf der Hauptversammlung in der Frankfurter Festhalle weder Todesstrafe noch Haft - und doch eine für Topmanager große Schmach. Erstmals in der Geschichte der Bank empfehlen einflussreiche Aktionärsberater, Vorstand und Aufsichtsrat die Entlastung zu verweigern. Es sei Zeit für die Aktionäre, die Führung für den Kapital- und Reputationsverlust "verantwortlich zu machen", schreiben die Stimmrechtsberater ISS, die großen Einfluss auf professionelle Anleger haben. Außerdem signalisieren Großaktionäre aus Katar, China und den USA - vorerst inoffiziell, aber vernehmbar -, Achleitner müsse sein Amt womöglich vor Ablauf des Vertrags 2022 zur Verfügung stellen. Die Geduld sei aufgebraucht.

Die Geduld? Aufgebraucht? Als Achleitner 2012 Aufsichtsratschef des stolzen Instituts wurde, hatte er sich die Sache sicherlich anders vorgestellt. Der Job sollte eine Art Krönung seiner Karriere sein, einer Laufbahn als Multi-Aufsichtsrat, als Doyen der deutschen Wirtschaft - nach zwölf Jahren als Vorstand des Versicherers Allianz und davor fünf Jahren als Deutschland-Chef von Goldman Sachs. Sein Münchner Büro sollte seine Unabhängigkeit von der Bank unterstreichen. Die Räume unter dem Dachstuhl eines Palais in der Münchner Innenstadt teilt er sich mit Ex-Siemens-Chef Peter Löscher, Allianz-Chefaufseher Michael Dieckmann und Deutsche-Börse-Aufsichtsratschef Joachim Faber sowie seiner Frau Ann-Kristin, ebenfalls Multi-Aufsichtsrätin. Als Aufräumer wollte er das Geldhaus nach der getrübten Ära Josef Ackermann zum Erfolg führen.

Die Bank ist nur noch ein Schatten ihrer selbst

Weit gekommen ist er nicht, im Gegenteil. Seit sieben Jahren versucht Achleitner, das Institut aus der Krise zu führen. Seit sieben Jahren tauscht er alle paar Jahre die Vorstandschefs aus, seit sieben Jahren verwaltet er den Zickzackkurs, hält zugleich die Hand über das Investmentbanking, das in seiner aufgeblähten Form längst nicht mehr wettbewerbsfähig ist. Nach der gescheiterten Fusion mit der Commerzbank, deren Befürworter er war, schwankt der Aktienkurs wieder zwischen Tief und Rekordtief. Das Institut ist ein Schatten seiner selbst. Zeit für die Familie in München oder für die anderen Aufsichtsratsmandate bei Bayer und Daimler bleibt ihm kaum.

Achleitner jedoch wäre nicht Achleitner, würde er die Verantwortung bei sich suchen. Wird er auf den Niedergang der Bank angesprochen, verweist er wahlweise auf die Verantwortung des Vorstands, die Regulierung oder die aus seiner Sicht ungerechten Ressentiments gegen die Bank. In seinem Umfeld wird sein Pflichtgefühl als Grund genannt, warum er sein Amt nicht längst zur Verfügung gestellt hat. Vermutlich geht es ihm aber längst darum, nicht als Gescheiterter zu gehen. Ob er der Hauptversammlung wirklich so gelassen entgegensieht wie jener Spion seinem Urteil? Der Aktionärsversammlung bei Daimler am Mittwoch blieb er fern. Vielleicht, weil er länger an seiner Rede feilte.

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Quelle:
SZ vom 23.05.2019
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