Süddeutsche Zeitung

Finanzgeschäfte:Staatsanwaltschaft untersucht Rolle der Deutschen Bank bei "Phantom-Aktien"

Lesezeit: 4 min

Von Jan Willmroth, Frankfurt, Frederik Obermaier und Klaus Ott

Die Deutsche Bank hat zunehmenden Ärger mit der Strafjustiz. Nach Recherchen von WDR und Süddeutscher Zeitung untersucht die Staatsanwaltschaft Köln die Rolle der Bank im Zusammenhang mit möglicherweise illegalen Börsendeals. Im Rahmen eines bereits seit 2017 laufenden Ermittlungsverfahrens wegen sogenannter Cum-Ex-Geschäfte wollen die Strafverfolger offenbar auch herausfinden, ob das Geldinstitut beim Handel mit "Phantom-Aktien" dazu beigetragen haben könnte, die Staatskasse zu plündern.

Banken und Börsen-Manager, so die Vermutung, sollen in den USA mit Schein-Aktien gehandelt haben, um auch in Deutschland Steuererstattungen zu kassieren, die ihnen eigentlich nicht zugestanden hätten. Die lange Zeit unentdeckte Masche wurde erst vor wenigen Wochen bekannt; als neue Variante im Cum-Ex-Skandal.

Beim An- und Verkauf von Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividende hatten Banken, Börsenhändler und deren Partner den Fiskus in mehreren Staaten um insgesamt mehrere zehn Milliarden Euro erleichtert. Die Akteure hatten sich eine nur einmal auf Dividenden gezahlte Steuer von den trickreich getäuschten Finanzbehörden mehrmals erstatten lassen. Die Staatsanwaltschaft Köln und andere Ermittlungsbehörden betrachten das als kriminell und wollen zahlreiche Bank-Manager und Börsenhändler vor Gericht und ins Gefängnis bringen.

Eines der vielen Verfahren in Köln richtet sich seit dem vergangenen Jahr gegen zwei ehemalige Beschäftigte der Deutschen Bank in London, die dort bis Ende vergangenen Jahrzehnts im Handelsbereich gearbeitet hatten. Diese Ermittlungen betreffen jene Cum-Ex-Geschäfte, denen die Bundesregierung 2012 einen Riegel vorgeschoben hatte, indem gravierende Gesetzes- und Kontroll-Lücken geschlossen worden waren.

Inzwischen sind die Kölner Strafverfolger die neue Variante mit den "Phantom-Aktien" gestoßen, mit denen der Fiskus in mehreren Staaten ab 2012 weiter ausgenommen worden sein soll. Auch wegen dieser neuen Variante hat die Staatsanwaltschaft dem Vernehmen nach auch die Deutsche Bank im Fokus. Offen ist, ob es sich bereits um ein gesondertes formelles Verfahren handelt; oder um eine Untersuchung. Bei großen Fällen gehen Staatsanwaltschaften allen Verdachtsmomenten nach, ohne dass bei neuen Vorwürfen sofort neue Ermittlungen gegen neue Beschuldigte aufgenommen werden.

Die bis vor wenigen Wochen öffentlich nicht bekannte Masche mit "Phantom-Aktien" gilt im Vergleich zu Cum-Ex als noch perfider: Offenbar ging es darum, sich Kapitalertragsteuern auf Dividenden erstatten zu lassen, die nie gezahlt worden waren. Ein Finanzexperte, der früher an Cum-Ex-Geschäften beteiligt war, bezeichnet diese Methode als "Weiterentwicklung der Teufelsmaschine Cum-Ex".

Sie betrifft den Handel mit sogenannten American Depositary Receipts (ADRs). Das sind Papiere, die von Banken in den USA als Ersatz für echte Aktien ausgestellt werden. Sie erleichtern es US-Investoren, Aktien ausländischer Gesellschaften in Dollar zu handeln. Jedes ADR-Papier steht dabei für eine Aktie oder einen Bruchteil einer Aktie; die Aktien müssen jeweils tatsächlich bei einer Depotbank hinterlegt werden. Weil es bei internationalen Geschäften oftmals Tage dauert, bis beispielsweise Aktien aus Europa in den USA vorliegen, gibt es die ADRs auch als vorläufige Papiere. Solange bis die echten Aktien da sind.

In zahlreichen Fällen ist es aber nach Erkenntnissen der US-Börsenaufsicht SEC vorgekommen, dass Geldinstitute ADRs ausgestellt haben, ohne dass später tatsächlich Aktien geliefert worden seien. Mit diesen Phantom-Aktien sollen dann Finanzbehörden in Deutschland und anderen Staaten in die Irre geführt und dazu veranlasst worden sein, Steuern zu erstatten, die zuvor gar nicht gezahlt worden waren.

Die Deutsche Bank erklärte auf Anfrage zu dem seit 2017 laufenden Verfahren gegen zwei Ex-Beschäftigte wegen der alten Cum-Ex-Variante auch hinsichtlich der neuen Variante: "Natürlich kooperieren wir mit den Behörden und haben auch zu dem Thema schon Auskunftsersuchen beantwortet." Da es sich um riesige Datenmengen handelt, dauere die Auswertung durch die Ermittlungsbehörden immer noch an. Die Deutsche Bank gibt an, man habe selbst keine Aktienpakete ge- oder verkauft. "Als große Teilnehmerin am Markt war die Deutsche Bank jedoch teilweise in Cum-Ex -Geschäfte von Kunden eingebunden." Man stelle "sämtliche angefragten Informationen zur Verfügung und unterstützt die Behörden soweit möglich und zulässig bei der Aufarbeitung des Sachverhalts", hieß es.

Die US-Börsenaufsicht ist bereits gegen mehrere Banken vorgegangen

Die Deutsche Bank hat auffällige Geschäfte mit den missbrauchsanfälligen Vorab-ADRs um den Dividendenstichtag nach eigenen Angaben bereits im Jahr 2014 beendet. 2016 habe man sich ganz aus diesem Geschäft zurückgezogen. Dem Finanzamt Frankfurt hat der Konzern nach Angaben aus Finanzkreisen zweifelhafte Geschäfte mit Phantom-Aktien freiwillig gemeldet und angeboten, einen etwaigen Schaden für den Fiskus zu begleichen. Anfang der Woche hatte die Financial Times berichtet, bei einer internen Prüfung eventuell verdächtiger Transaktionen sei eine Summe von etwa 25 Millionen Euro an deutscher Kapitalertragsteuer aufgefallen. Etwa fünf Prozent der Transaktionen mit Vorab-ADRs in den Jahren 2010 bis 2015 seien demnach anfällig für Missbrauch mit Blick auf die deutsche Kapitalertragsteuer gewesen.

Die US-Börsenaufsicht ist wegen des Handels mit ADRs bereits gegen mehrere Geldinstitute vorgegangen. Bislang haben Banken mehr als 173 Millionen Dollar an Rückzahlungen und Bußgeldern für Scheingeschäfte geleistet. Die Deutsche Bank stimmte im Juli einem Vergleich mit der SEC zu und überwies 75 Millionen Dollar wegen unsauberer Handhabung von ADR-Papieren. Die Kritik der SEC sei im Jahr 2016 Anlass für die Bank gewesen, sich aus Geschäften mit vorab ausgestellten ADRs ganz zurückzuziehen, hieß es vor drei Wochen.

In einer nicht-öffentlichen Sitzung des Finanzausschusses im Bundestag an diesem Mittwoch soll Finanzminister Olaf Scholz (SPD) Informationen von WDR und SZ zufolge abermals Stellung bezogen haben. Unter anderem habe sein Ministerium eine Prüfung von zahlreichen beteiligten Banken in Deutschland durch die Bundesanstalt für Finanzaufsicht (Bafin) angeordnet. Die Bafin solle künftig zudem verstärkt auf steuerliche Themen achten, damit sich solche Fälle nicht wiederholten; die Zusammenarbeit zwischen Steuerbehörden und Finanzaufsicht solle verbessert werden. Auf die Frage, ob dem Finanzministerium Details zur Rolle der Deutschen Bank vorlägen, soll Scholz vage geblieben sein. Zu laufenden Verfahren könne er sich grundsätzlich nicht äußern.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4249822
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.