Süddeutsche Zeitung

Deutsche Bahn:Nach der Baustelle ist vor der Baustelle

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Am Freitag wird die neue ICE-Strecke zwischen Berlin und München eingeweiht. Aber was kommt danach?

Von Markus Balser und Michael Bauchmüller, Berlin

Der kommende Freitag ist schon sorgfältig geplant. Die feierliche Einfahrt der ersten ICE, Festakte entlang der Strecke und schließlich im Berliner Hauptbahnhof, Reden über Reden. Was man halt so macht, wenn nach 25 Jahren Bau- und Planungszeit eine neue Strecke in Betrieb geht. 770 000 Dokumente und Pläne seien dafür aufgestellt worden, hat die Bahn erhoben. Es gab Baustopps und etliche Klagen. "Das wird ein großer Tag nach langer Bauzeit", sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Die Kanzlerin hat eigens ihre wöchentliche Videobotschaft der neuen Strecke gewidmet, denn sie hat noch eine Botschaft: Es muss schneller gebaut werden im Land. "Ein Vierteljahrhundert ist eine lange Zeit", sagt sie. "Aber gemessen an anderen Bauzeiten in Deutschland war das noch eine schnelle Realisierung der Projekte." Schließlich habe man bei dem Projekt eine Gerichtsinstanz eingespart. Das Thema Beschleunigung von Infrastrukturprojekten, sei es die Verlegung digitaler Verbindungen wie Glasfaserkabel oder aber von Verkehrsprojekten, bleibe "eine zentrale Aufgabe", auch für eine neue Bundesregierung. Auch bei anderen Projekten müsse sich eine Gerichtsinstanz einsparen lassen, um schneller bauen zu können - wie es im Ausland auch gehe. "Zumal wir im Augenblick Geld für Verkehrsinvestitionen haben und zum Teil einfach keine geplan-ten oder baureifen Strecken da sind", sagt Merkel.

Dabei mangelt es nicht an Projekten. Allein der neue Bundesverkehrswegeplan 2030, eine Art Masterplan für den Ausbau des deutschen Verkehrsnetzes, führt 1000 Straßen-, Schienen und Wasserstraßenprojekte für 270 Milliarden Euro auf. Nur kommt die Schiene dabei nach Ansicht von Verkehrspolitikern massiv zu kurz.

Rund 800 neuen Straßenprojekten des sogenannten "vordringlichen Bedarfs" - der ersten Liga der gewünschten Projekte also - standen gerade mal 27 neue bei der Bahn gegenüber. Und nur was auf den Listen des vordringlichen Bedarfs erscheint, hat wirklich eine Chance auf Realisierung. Dabei machen die aktuellen Probleme der Bahn deutlich, wie dringend die Erneuerung und der Ausbau des Netzes ist. Auch in Kilometern bemessen wird das Ungleichgewicht deutlich: Auf 1700 Kilometern sollen dem Plan zufolge Engpässe im Straßennetz, aber nur auf 700 Kilometern Engpässe bei der Bahn bekämpft werden. Das Bundesverkehrsministerium kam den Kritikern in der Folge entgegen und signalisierte, dass sich hinter den Kulissen noch etwas zu Gunsten der Bahn tun könne.

Denn die fast 50 Projekte der zweiten Bürokratie-Liga, des "potenziellen Bedarfs" also, würden bis Ende 2017 auf ihre Wirtschaftlichkeit geprüft. Wenigstens die Projekte, die gut abschneiden, sollen im Nachrückverfahren in die erste Liga aufsteigen. Doch inzwischen rumort es unter den Experten im Bundestag. Denn befördert werden zunächst nur vier weitere Bahn-Projekte in die Eil-Kategorie. Für alle anderen steht der Ausgang in den Sternen.

Auch Kanzlerin Merkel sieht "Lücken" im Eisenbahnverkehr

Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung soll demnach die Neubahntrasse Prag - Dresden für 1,2 Milliarden Euro nun mit höchster Priorität realisiert werden. Daneben sollen die Strecken Weimar - Gera - Gößnitz in Thüringen, die bayerische Strecke Nürnberg - Regensburg - Furth und die deutsch-niederländische Trasse bei Venlo ausgebaut werden. Für die drei Regionalstrecken werden insgesamt 700 Millionen Euro veranschlagt. So geht es aus einer aktuellen Antwort des Bundesverkehrsministeriums auf eine Kleine Anfrage der SPD-Fraktion hervor. Die Prüfung der anderen Vorhaben sei dagegen noch nicht abgeschlossen, heißt es in dem Schreiben von Staatssekretär Enak Ferlemann. Es seien noch "umfangreiche umwelt- und bautechnische, fahrplankonstruktive und eisenbahnbetriebliche Untersuchungen erforderlich". Das kann dauern.

Damit droht auch ein neuer Streit zwischen den alten und möglicherweise auch neuen Regierungsparteien. Denn in der SPD ist man verschnupft über die Verkehrspolitik der CSU, die vor allem den Straßenverkehr fördere. "Offenbar bleibt die Schiene gerade wieder auf der Strecke", kritisiert Sören Bartol, Vizechef der SPD-Bundestagsfraktion. "Dem Bundestag wurde vor einem Jahr zugesagt, dass bis Ende 2017 die Berechnungen des Bundesverkehrsministeriums vorliegen. Es ist schwierig, im Bundestag für mehr Geld für die Schiene zu kämpfen, wenn nicht klar ist, welche Projekte sinnvollerweise ausgebaut werden sollten." Denn endgültig beschließen muss über die geplanten Projekte das Parlament in Berlin.

Zumindest die Kanzlerin wäre weiteren Baustellen nicht abgeneigt. In den "Außenlagen" gebe es "noch eine ganze Reihe von Lücken", findet sie. Etwa in Ländern wie Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Pommern. Bei den Zügen Richtung Polen oder Tschechien, wo etwa auch die Regierung in Prag auf eine schnellere Verbindung zwischen den Hauptstädten setzt. Da seien die Erwartungen im Eisenbahnverkehr auf deutscher Seite noch nicht "vollkommen umgesetzt".

Die Autobahn dorthin ist schon fertig.

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SZ vom 04.12.2017
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