Süddeutsche Zeitung

"Death Stranding" im Test:Das wohl beste Spiel des Jahres

Lesezeit: 4 min

Von Caspar von Au

Sam schnauft und ächzt und wankt. Aber er hält sich auf den Beinen. Ohne anzuhalten, kraxelt er Stück für Stück den steilen Abhang auf dem kürzesten Weg empor. Auf seinem Rücken stapeln sich 13 Metallboxen. Darin unter anderem: 2,4 Kilo Beruhigungsmittel, 76 Kilo Bodenproben, 6 Kilo alte Zeitschriften, eine Leiter und ein Gewehr für Gummigeschosse.

In "Death Stranding", dem neuesten Computerspiel von Star-Entwickler Hideo Kojima, liefert der Spieler als Sam Porter Bridges alles aus - von der Pizza bis zur Wasserstoffbombe. Die Erwartungen an das Exklusivspiel für die Playstation 4 im Vorfeld waren riesig. Unter anderem, weil Kojima mit einer Reihe von gefeierten Live-Auftritten und Videotrailern geschickt Details über Death Stranding streute, ohne viel über die Handlung zu verraten.

Die folgt einem altbekannten Erzählmuster: Ein einsamer Held muss die Welt in einer dystopischen Zukunft retten. Nach einer Katastrophe unbekannten Ursprungs ist die Gesellschaft zersplittert. Die Überlebenden wohnen verstreut über den nordamerikanischen Kontinent in einer Handvoll Städte hinter hohen Mauern oder haben sich in unterirdische Bunker zurückgezogen. Paketzusteller Sams große Aufgabe ist es, die Übriggebliebenen mit dem Nötigsten zu beliefern, aber vor allem die isolierten Siedlungen über das sogenannte chirale Netzwerk (eine Art Internet) wieder miteinander zu verbinden. Dafür durchquert der Einzelgänger am Anfang zu Fuß, später auch motorisiert Amerika von der Ost- bis zur Westküste.

Mit Humor kommentiert der Entwickler gesellschaftspolitische Debatten

Eine Frage lässt Kojima dabei stets mitschwingen - mal mehr, mal weniger subtil: Vereinsamen wir dadurch, dass Technologie einen immer größeren Anteil unseres Lebens ausmacht?

Dass Sam in Death Stranding einem anderen Menschen persönlich begegnet, kommt nur selten vor. Wenn er ein Paket bei seinem Empfänger abliefert, schickt dieser nur ein Hologramm von sich an die Oberfläche, um Sam zu danken. Das Päckchen schiebt der Spieler auf ein Fließband oder stellt es in einen Aufzug. Von dort aus verschwindet es in den Tiefen irgendwelcher Lagerräume. Der Blick in die Wohnzimmer in den Bunkern oder hinter die Stadtmauern bleibt dem Spieler verwehrt. Sam, der unter Berührungsangst leidet und am liebsten alleine ist, scheint das wenig auszumachen. Die keinesfalls eintönige, aber mit Felsbrocken übersäte, beinahe pflanzenlose Landschaft und der graue Himmel - alles in brillanter Grafik - vervollständigen das Gesamtbild einer bejammernswerten Welt. Technologie gibt es im Überfluss, dafür aber wenig Zwischenmenschliches.

Danach aber sehnen sich die Menschen im Spiel offenbar. Deshalb verteilen sie Likes an ihre Mitmenschen, vor allem an Sam. Der Spieler liefert die angeforderten Medikamente in die Hauptstadt: 186 Likes. Teile für einen 3D-Drucker: 24 Likes. Eine andere Form der Bezahlung erhält Sam nicht. Die erhaltenen Likes verbessern seinen Ruf. Vom einfachen Boten wird er zum Frachthelfer befördert, später zum Transporteur und schließlich zum Kurier. Über solche Details kommentiert Kojima mit dem für ihn typischen Humor an vielen Stellen in Death Stranding aktuelle gesellschaftspolitische Knackpunkte, wie den Umgang mit Sozialen Medien oder die Liefer-Kultur.

Kurioserweise ermutigt der Entwickler den Spieler selbst dazu, die Einsamkeit im Spiel durch weitere virtuelle Brücken zu bekämpfen. Zwar trifft man online nicht auf andere Spieler, dafür aber auf Pakete, die diese verloren haben und die Sam für sie ausliefern kann. Außerdem kann der Spieler die abgestellten Leitern und Fahrzeuge anderer nutzen. Und lässt er Sam per Knopfdruck aufs Touchpad etwas in die karge Wildnis rufen, antwortet manchmal ein anderer Sam aus einer parallelen Spielwelt. An anderen Stellen durchbricht Kojima die Barriere zwischen Spiel- und echter Welt, indem er die Figur die Aktionen des Spielers kommentieren oder ihm zuzwinkern lässt.

Großartige Momente kreiert Kojima vor allem immer dann, wenn der Spieler in kurzen Episoden von den Einzelschicksalen der Überlebenden erfährt. Da ist zum Beispiel das junge Liebespaar, das den jeweils anderen Partner für tot hält, aber nur wenige Kilometer voneinander entfernt wohnt. Da ist der Mann, der Frau und Kind in der Katastrophe verlor und nun seit Jahren daran forscht, ihre Seelen im Jenseits wiederzufinden.

Leider - und das ist die größte Schwäche von Death Stranding - ist aber ausgerechnet die Hauptstory wenig überzeugend erzählt. Um eine Stadt an das Netzwerk anzuschließen, muss der Spieler meist nur etwas dorthin liefern; dann zückt Sam etwas, das optisch an einen Bund mit USB-Sticks erinnert, und fertig. Das wirkt lapidar vor dem Hintergrund, dass der Protagonist als einziger dazu fähig sein soll, die Wiedervereinigung der Menschheit durchzuführen. Es wirkt außerdem wie eine Behelfskonstruktion, um der in der Tiefe sehr verworrenen Handlung einen roten Faden zu geben.

Die gefährlichsten Gegner: spitze Steine und reißende Bäche

Denn die Apokalypse in Death Stranding hat nicht nur weite Teile der Erde zerstört, sondern auch einiges nachhaltig durcheinander gebracht. Seitdem müssen Verstorbene nach ihrem Tod verbrannt werden, weil die Leichen sonst vernichtende Explosionen auslösen können. Wenn es regnet oder schneit, lassen die Tropfen alles und jeden rasant altern. Dazu bringt der Regen die Geister von Toten auf die Erde. Tritt ein Lebender zu nah an diese heran, ziehen sie ihn in eine Unterwelt aus Teer hinab. Dem Spieler hilft daher ein ungeborenes Baby, das Sam in einer künstlichen Fruchtblase mit sich herumschleppt. Weil es weder tot noch lebendig ist, spürt es die Geister aus der Distanz und schlägt Alarm. Das bleibt so bizarr, wie es klingt - auch nachdem der Spieler erfährt, was es mit den sogenannten Bridge-Babys auf sich hat.

Während Sam die Menschheit vereint, soll er gleichzeitig helfen, die Ursachen der Katastrophe und ihre Folgen zu verstehen. Allzu überraschend kommt die verwirrende Handlung nicht, Kojima hatte vor der Veröffentlichung öfter betont, dass die Handlung sehr komplex sei und das Spiel erst ab der Hälfte Spaß mache. Dafür braucht der Spieler aber 15 bis 20 Stunden und muss sich und zahllose Pakete mehr als hundert Kilometer durch die Ödnis schleppen. Ein krasser Gegensatz zum sonstigen Versuch von Online-Videos, -Musik und auch Spielen, den Konsumenten in den ersten Augenblicken zu überzeugen.

Dennoch ist Death Stranding ohne Frage das bisher beste Computerspiel des Jahres - und auch eines der besten Spiele der vergangenen Jahre. Die lange vor Veröffentlichung gehegte Befürchtung vieler Fans, das Spiel könne eine Art Walking-Simulator sein (eine eher abfällige Bezeichnung für Spiele, in denen es im Kern darum geht, mit seiner Spielfigur von A nach B zu kommen) hat sich bewahrheitet. Doch genau das hebt Kojimas jüngstes Spiel erst recht von anderen ab. Das Bekämpfen von Gegnern, das sonst so oft im Zentrum von Computerspielen steht, wird zur Nebensache. Zu den ärgsten Feinden zählen stattdessen spitze Steine und Gebirgsbäche. Ein falscher Schritt reicht und Sam stürzt. Werden die Pakete dabei beschädigt und ihr Inhalt zerstört, scheitert im schlimmsten Fall die Auslieferung - und damit die Rettung der Welt.

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