Süddeutsche Zeitung

Davos:Mal eben die Welt retten

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Zum ersten Mal blickt ein Dokumentarfilm hinter die Kulissen des umstrittenen Weltwirtschaftsforums im Schweizer Ort Davos. Das Bild ist durchaus differenziert.

Von Caspar Busse, München

Wie ein Insektenschwarm bewegen sich die dunklen Punkte über den verschneiten Bergen von Graubünden, der Lärm der Rotorblätter der Hubschrauber wird immer lauter. Die sechs Maschinen fliegen jetzt ganz nah hintereinander und landen schließlich. So könnte auch ein Science-Fiction-Thriller anfangen. Aber es ist die Ankunft von US-Präsident Donald Trump im Januar 2018 beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Die Hubschrauber landen in der Nähe des Davosersees, Trump steigt aus der Maschine und geht mit seinen Lederschuhen vorsichtig über den Schnee. Drinnen wartet Klaus Schwab, Erfinder und Chef des Forums, nervös auf seine Gäste. Hannah Salem, eine Assistentin des US-Präsidenten, weist rüde Schaulustige zurecht, die sich nicht an die Absperrung halten.

"Es ist das erste Mal, dass jemand so ausführlich hinter die Kulissen des Weltwirtschaftsforums schauen durfte," sagt Marcus Vetter, der Macher dieses durchaus sehenswerten Dokumentarfilms über das Weltwirtschaftsforum, das alljährliche Treffen also der Großen und Mächtigen im Schweizer Skiort Davos. Fast drei Jahre habe das Projekt gedauert, sagt Vetter, 52, Dokumentarfilmer und Grimme-Preisträger ("Der Tunnel"), der Management und Medienwissenschaft studiert hat. Er hat bei den Treffen in Davos 2018 und 2019 gedreht, er war zu Gesprächen in der Zentrale der Organisation hoch über dem Genfer See, er ist um die Welt gereist und hat Projekte in Ruanda, Kalifornien und Indonesien besucht. Sein Film ist bereits auf einigen Festivals und in ausgewählten Kinos gelaufen. Nun wird die Dokumentation in leicht gekürzter Form und in 30 Sprachen übersetzt in ganz Europa ausgestrahlt, auch in Deutschland. Der Zeitpunkt ist ideal: In der kommenden Woche findet das Weltwirtschaftsforum in Davos zum 50. Mal statt.

Vetter ist durchaus nah an die Protagonisten herangekommen. In einer Szene zeigt er, wie der damals neue Präsident Brasiliens, Jair Bolsonaro, 2019 alleine mit einem Übersetzer auf einem Empfang steht. Der frühere amerikanische Vizepräsident Al Gore nutzt die Gelegenheit und mahnt Bolsonaro eindringlich zum Schutz des Amazonas. Doch der Präsident reagiert nicht. Wenig später geht Jennifer Morgan, Chefin von Greenpeace International, auf Bolsonaro zu und spricht mit ihm ein paar durchaus freundliche Worte. Von der Empörung, die Morgan kurz zuvor über das angeblich so elitäre Treffen in Davos geäußert hat, ist plötzlich nichts mehr zu spüren. Danach freut sie sich wie ein Teenager, dass sie den Präsidenten angesprochen hat. Vetters Film zeigt, wie normal, manchmal sogar banal, manche Mächtige aus der Nähe wirken.

"Der Film soll Zuschauer dazu animieren, Vorurteile über Bord zu werfen. Sie sollen sich die sogenannte Elite genau anschauen, die vielleicht gar nicht so schrecklich ist", sagt Vetter. Davos wird immer wieder als elitäres, eitles und allzu wirtschaftsnahes Treffen kritisiert. Die Mission des Forums lautet selbstherrlich "die Welt zu einem besseren Ort zu machen". Inzwischen ist aus der Organisation, die in der Schweiz den Status der Gemeinnützigkeit hat, eine richtige Geldmaschine geworden. Es gibt nun weltweit Veranstaltungen des Weltwirtschaftsforums, das rund 800 Mitarbeiter beschäftigt und über ein Budget von geschätzt 300 Millionen Euro verfügt. Finanziert wird es von rund 1000 Unternehmen, die als Sponsoren auftreten. Es gibt 120 strategische Partner, darunter deutsche Konzerne, der jährliche Mindestbeitrag liegt bei etwa 600 000 Franken. "Normale" Förderer zahlen etwa die Hälfte, daneben gibt es einfache Mitglieder, die mit deutlich weniger dabei sind. Die Sponsoren erhalten dafür Zugang zu den Treffen sowie Informationen. Trotz der hohen Preise gibt es eine Warteliste.

"Ich weiß auch, dass es ein schmaler Grat ist", sagt Vetter, der nicht mit dem Forum und seinem Gründer Schwab abrechnet, sondern ein durchaus differenziertes Bild zeigt. Er glaubt: "Der Film ist ein Zeichen der Zeit, weil er die Ära des Anti-Establishment zeigt." So treten unter anderem Trump und Bolsonaro auf, aber auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, die damalige britische Regierungschefin Theresa May und die Klimaschützerin Greta Thunberg, die im Januar 2019 noch lange nicht so prominent wie heute war. Schwab, inzwischen 81 Jahre alt, erzählt, wie er 1971 das erste Forum organisierte, was seine Beweggründe bis heute sind und wie er ein "globales Dorf" schaffen wollte, damit Politiker, Unternehmer und Wissenschaftler ins Gespräch kommen. Dabei lade er bewusst alle ein. "Wenn Sie Pfarrer einer Kirche wären, möchten Sie, dass die Sünder am Sonntag in Ihre Kirche kommen, und möchten sie nicht aussperren," so der gebürtige Ravensburger, der schon lange in der Schweiz lebt. Schwabs Nachfolge wird in dem Film allerdings überhaupt nicht thematisiert. Zuletzt wurden dem ehemaligen norwegischen Außenminister Børge Brende, 54, der schon für das Weltwirtschaftsforum arbeitet, gute Chancen eingeräumt. Aber Schwab lässt bislang nicht los.

Vetter sagte, er habe bewusst keinen Abgesang auf Klaus Schwab machen wollen: "Es ist nicht sein Abschiedsfilm." Die Dokumentation sei auch nicht autorisiert, es sei kein Geld geflossen. Es habe keinen Vertrag mit dem Weltwirtschaftsforum gegeben, das Forum haben den Film auch nicht finanziert, so Vetter: "Wir hätten keinen Euro akzeptiert." Die Mühe hat sich gelohnt. Wie sagte ein bekannter Filmproduzent vor Kurzem: "Ein guter Film fängt mit einem Hubschrauberflug an."

Das Forum - Rettet Davos die Welt? , Dokumentation, Arte, 14.1., 20.15 Uhr und Das Erste, Montag, 20.1., 22.45 Uhr sowie in der Mediathek.

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Quelle:
SZ vom 14.01.2020
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