Süddeutsche Zeitung

Steuertricks:Justiz knöpft sich im Cum-Ex-Skandal Banken vor

Lesezeit: 4 min

Von Klaus Ott, Bonn

Der weitgehend neu formulierte Paragraf 73 des Strafgesetzbuches, der die Haftung für kriminelle Delikte regelt, ist in seiner heutigen Fassung gerade mal zwei Jahre alt. Jetzt könnte diese Regel sehr schnell sehr berühmt werden; und viele Banken das Fürchten lehren. Es sieht so aus, als sei dieser Paragraf, vor allem mit seinen Ergänzungen 73a und 73b, genau die richtige Vorschrift für Deutschlands größten Steuerskandal mit Namen Cum-Ex. Für den Skandal, bei dem Banken und Börsenhändler den Staat um mehr als zehn Milliarden Euro betrogen haben sollen.

Nach Informationen von SZ, NDR und WDR beabsichtigt das Landgericht Bonn, einen dort anstehenden Musterprozess um mutmaßlich kriminelle Aktiengeschäfte zu Lasten des Fiskus zu erweitern. Angeklagt in Bonn sind zwei britische Börsenhändler. Nun wollen die Richter auch mehrere Geldinstitute vorladen. Es säßen dann zwar keine Bankmanager auf der Anklagebank.

Aber die betroffenen Banken stünden als sogenannte Nebenbeteiligte vor Gericht, in der Regel vertreten durch Anwälte. Das Landgericht hat entsprechende Schreiben unter anderem an die Hamburger Privatbank Warburg verschickt. Warburg und andere Geldinstitute sollen Stellung nehmen zu der Absicht der 12. großen Strafkammer des Landgerichts, in dem geplanten Musterprozess sogleich auch die Rolle der Banken zu untersuchen. Warburg bestreitet sämtliche Vorwürfe.

Die Bonner Strafkammer will offenbar gleich den ersten Cum-Ex-Prozess nutzen, um zu entscheiden, wer am Ende alles haften müsste für den Griff in die Staatskasse. Die Basis dafür liefern die Abschnitte 73a und 73b des Strafgesetzbuches. Darin ist festgelegt, dass und wie Täter, Teilnehmer und andere Profiteure von illegalen Geschäften haftbar gemacht werden können. Das geschähe dann im Wege der "Einziehung" von Vermögen; als Ausgleich für den angerichteten Schaden. Der Paragraf 73 und seine Nebenbestimmungen machen das leichter möglich, als es früher der Fall war. Mit diesen sehr weit gefassten Vorschriften könnte der Staat wieder zu seinem Geld kommen. Deshalb könnte es nun ernst werden für die Finanzbranche.

Dass viele Banken und Börsenhändler sich an Steuergeldern bereichert haben, ist aus Sicht der Strafverfolger längst erwiesen. Sechs Kronzeugen haben bei der Staatsanwaltschaft Köln Geschäfte auf Kosten des Fiskus zugegeben und im Detail geschildert, wie das gelaufen sei. Es geht um den Handel von Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividende. Bei diesen Börsendeals ließen sich zahlreiche Geldinstitute, Firmen von Aktienhändlern und Kapitalanlagefonds eine auf die Dividendenerlöse einmal fällige Steuer mehrmals erstatten. Die Finanzbehörden waren trickreich getäuscht worden.

Auf den Listen der Steuerfahnder stehen viele international bekannte Banken

Zu klären ist nunmehr noch: Wer hat an welcher Stelle mitgemacht, und war das alles überhaupt kriminell? Etliche Cum-Ex-Profiteure berufen sich auf eine vermeintliche Gesetzeslücke, die den Griff in die Staatskasse erlaubt habe. Weil Bundestag und Bundesregierung bis 2012 die mehrmalige Erstattung einer nur einmal gezahlter Kapitalertragsteuer auf Dividenden durch diese Lücke in den Handelsregeln gewissermaßen erlaubt habe. Regierung und Parlament weisen diese Gesetzesauslegung zurück, und die Ermittlungsbehörden gehen jedem Verdacht nach. In der von der Staatsanwaltschaft Köln verfassten Anklage gegen die beiden britischen Börsenhändler sind 33 einzelne Fälle beschrieben, in denen der Fiskus um 440 Millionen Euro betrogen worden sei. In all diesen Fällen sollen Banken wie Warburg geholfen und an dem mutmaßlichen Steuerraubzug mitgewirkt haben.

In der Anklage sind neben Warburg noch drei weitere Geldinstitute genannt, darunter eine ausländische Großbank. Ein Urteil, das sich gegen diese Banken richten würde, hätte Signalwirkung. Die in Paragraf 73 geregelte "Einziehung" von Vermögen könnte dann bei Dutzenden anderen Geldinstituten folgen, darunter Großbanken aus Frankreich, Großbritannien, den USA und sogar Australien. Auf den Listen der Steuerfahnder stehen viele prominente Namen: BNP Paribas und Crédit Agricole aus Paris; Barclays und HSBC aus London; Morgan Stanley und JP Morgan von der Wall Street in New York; Macquarie aus Sidney. Teils bestreiten diese Institute die Vorwürfe, teils schweigen sie.

Das Landgericht Bonn äußerte sich auf Anfrage nicht zum Stand des dort anhängigen Verfahrens, da noch nichts entschieden sei. Das Landgericht hat noch keinen Prozess angesetzt. Es gilt aber als sicher, dass die Richter die Anklage zulassen und dann auch prüfen werden, ob die betroffenen Banken sich mitschuldig gemacht haben und zahlen müssen, oder eben nicht. Warburg erklärte auf Anfrage, das Gericht sei "von Amts wegen verpflichtet, eine Einziehung zu prüfen, da hierüber zwingend im Urteil zu entscheiden ist". Die Hamburger Privatbank verwies darauf, dass man bislang alle Vorwürfe bestritten, also mitnichten in die Staatskasse gegriffen habe. Dabei bleibe es. "Wir sind davon überzeugt, dass das Landgericht Bonn unsere Position angemessen würdigen wird, und vertrauen auf den Rechtsstaat."

Kämen Warburg und andere Banken als Nebenbeteiligte mit vor Gericht, dann würde das den Musterprozess stark in die Länge ziehen. Warburg & Co. würden sich heftig verteidigen. Anders als die Angeklagten, die beiden britischen Börsenhändler. Die haben ausgepackt; haben in mehr als 40 Vernehmungen im Detail und mit vielen Namen von Banken und deren Managern geschildert, wer sich mit wem heimlich abgesprochen habe. Und wie man den Gewinn aufgeteilt habe. Die Banken hätten an vielen Stellen profitiert. Die beiden Angeklagten, die angeblich von einer Gesetzeslücke ausgingen, hoffen darauf, glimpflich davonzukommen. Auf Steuerhinterziehung in besonders schweren Fällen, das ist der juristische Vorwurf bei Cum-Ex, stehen bis zu zehn Jahre Gefängnis.

Die Staatsanwaltschaft Köln hatte ein erstes, schnelles Urteil gegen die zwei Aktienhändler erreichen und mit diesem Richterspruch in der Hand erst später gegen Banken vorgehen wollen. Diese Strategie wird vom Landgericht Bonn nunmehr voraussichtlich durchkreuzt. Mehrere Beteiligte von Cum-Ex-Ermittlungsverfahren sagen übereinstimmend, das Gericht wolle lieber im ersten Prozess gleich alles klären.

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Quelle:
SZ vom 01.07.2019
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