Süddeutsche Zeitung

Cum-Ex-Prozess:Amtshilfe

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Finanzjongleure konnten sich jahrelang Steuern mehrfach erstatten lassen. Ausgerechnet die zuständige Behörde soll nun eine Spezial­ein­heit bekommen.

Von Jan Willmroth und Nils Wischmeyer, Bonn

Wer jemals Elterngeld oder Bafög beantragt hat, kennt die Prüfer des Staates. Nachweise braucht es, Auskünfte über Einkommen und über jedes Konto. Alles muss auf den Tisch, und oft braucht es Monate, bis jemand die Unterlagen geprüft hat. Solche Akribie ist wichtig, um Betrug vorzubeugen. Bei professionellen Investoren, die hohe Millionenbeträge mit den Finanzämtern abrechnen, schaut der Staat aber mitunter nicht so genau hin. Und das, so legt der Cum-Ex-Prozess offen, hat groß angelegte Aktiengeschäfte zulasten der Staatskasse entscheidend erleichtert.

Über Jahre hinweg erstattete der Fiskus eine Steuer doppelt, die er nur einmal kassiert hatte - ohne dies eingehend zu prüfen. So berichteten es gleich zwei Beamte des Bundeszentralamts für Steuern (BZSt) im ersten Cum-Ex-Strafprozess vor dem Landgericht Bonn. Dort stehen derzeit zwei Aktienhändler wegen des Verdachts der schweren Steuerhinterziehung in 33 Fällen vor Gericht.

Was die Beamten an zwei Tagen vor Gericht aussagten, ergibt ein bedenkliches Bild: Ausgerechnet das BZSt machte es den mutmaßlichen Steuerbetrügern einfach, den Staat systematisch auszunehmen. Wollten die Cum-Ex-Investoren eine Rückerstattung ihrer Steuer, brauchte ihre Depotbank vereinfacht gesagt nur einen Knopf zu drücken, und wenige Tage später überwies der Fiskus Millionen. Eine Prüfung beim BZSt, ob die Antragssteller dazu auch berechtigt waren, weil sie vorher eine Steuer gezahlt hatten? Die hat es nach Aussage der beiden Zeugen nicht gegeben.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz, gerade im Wahlkampfmodus um den SPD-Parteivorsitz, plant nun, eine Art Bundessteuerfahndung einzurichten. Mehr als 40 Beamte sollen im BZSt künftig für den Kampf gegen Steuerbetrüger zuständig sein - etwas mehr als sieben Jahre nach Beginn der Aufarbeitung des Cum-Ex-Steuerskandals. Und ausgerechnet in jener Behörde, die bei den Steuertricksern von damals äußerst beliebt war. Das dürfte auch an der laschen Kontrolle von damals gelegen haben. Den Zeugen zufolge sei in den Jahren bis 2009 nur die Zuverlässigkeit der Depotbanken geprüft worden, nicht aber die Angaben in den Steuerbescheinigungen.

Möglich machte das ein Vertrauensvorschuss, den die Depotbanken vom Bundeszentralamt bekamen. Sie mussten einen Antrag auf Zulassung stellen, bei dem sie die Rechtmäßigkeit der Erstattung versicherten. War dieser Antrag einmal genehmigt, agierten sie fortan als Gehilfen des BZSt - und durften dafür auf rasante Erstattung hoffen. Die ausgelagerte Kontrolle bei den Depotbanken aber, so zeichnen es die Aussagen der Beamten, versagte; eine zusätzliche Kontrolle beim BZSt war bis 2009 in der Regel nicht vorgesehen. Die Anträge seien nur automatisiert per Computer auf Formalien geprüft worden, jeder zwanzigste Antrag wurde als Stichprobe händisch geprüft. Allerdings sei auch das nur ein Check der Formalien gewesen, ob die nötigen Papiere vorlagen oder die Antragssteller alles richtig ausgefüllt hätten. Einer der beiden Zeuge sagte auf Nachfrage des Richters: "Wir konnten zum Beispiel prüfen, ob die Kontoverbindung stimmte." Inhaltlich habe man bei diesem Verfahren im BZSt nichts geprüft.

Hintergrund all dessen sind Cum-Ex-Geschäfte von Banken, Börsenhändlern, Beratern und reichen Investoren. Sie handelten bis 2012 Aktien mit (cum) und ohne (ex) Dividende rund um den Dividendenstichtag dergestalt, dass sie am Ende die Steuer auf die Dividende nur einmal zahlten, sich diese aber zwei- oder sogar mehrfach vom Staat zurückholten. Die Beute teilten sie anschließend unter sich auf.

Besonders wichtig in diesem Rahmen ist ein sperriger Begriff: das elektronische Sammelverfahren. Mit ihm konnten Depotbanken beim Bundeszentralamt für Steuern Dutzende oder Hunderte Anträge in teils dreistelliger Millionenhöhe einreichen und bekamen das Geld nur wenige Tage später erstattet. Das Verfahren lief über Jahrzehnte. Erst mit dem Jahreswechsel 2009 auf 2010 war das BzST nicht mehr zuständig und für Cum-Ex-Akteure wohl ab diesem Moment uninteressant.

Das Ende des Sammelverfahrens war aber laut der Aussage des ersten Kronzeugen der Staatsanwaltschaft Köln nicht das Ende der einfachen Erstattung. Das Bundeszentralamt für Steuern hatte nach seinen Angaben mit dem sogenannten "Datenträgerverfahren" (DTV) ein zweites Verfahren im Angebot. Das sei, anders als das Sammelverfahren, besonders für ausländische Fonds oder Steuerausländer interessant gewesen. Diese hätten das Verfahren seit 2009 gekannt. "Wir haben Informationen über die Banken gewonnen, die belegten, dass das ein Computervorgang ist, Menschen also nicht mit Prüfungshandlungen involviert sind. Erfahrungsgemäß ging es über das DTV und das im Hand umdrehen", sagte Kronzeuge S.

Dieses Datenträgerverfahren ist bis heute im Einsatz. Zwischen 2007 und 2018 wurden darüber insgesamt 6,5 Milliarden Euro an Steuern erstattet. Seit die Cum-Ex-Geschäfte im Jahr 2012 bekannt wurden, waren es immerhin noch vier Milliarden und im vergangenen Jahr erstattete das BZSt darüber immer noch mehr als 400 Millionen Euro.

Das Bundesfinanzministerium bestreitet allerdings auf Anfrage, dass über das Verfahren in den vergangenen Jahren Steuern erstattet worden seien, die zuvor nicht abgeführt wurden, so wie es bei Cum-Ex der Fall gewesen sei. Neben der automatisierten Prüfung würden auch Sachbearbeiter auf entsprechende Anträge schauen. Und sobald ein Antrag "risikobehaftet" gewesen sei, sei dieser einer "intensiven Prüfung" unterzogen worden. "Das Datenträgerverfahren ist nicht ursächlich für den Cum-Ex-Betrug. Bei allen größeren Erstattungsbeträgen wird die Vorlage einer Steuerbescheinigung verlangt", heißt es aus dem Ministerium.

Diese Ausführungen bestätigt auch ein hochrangiger Finanzbeamter, der ebenfalls vor Gericht geladen war. Er nannte die beiden Verfahren "fundamental" unterschiedlich und sagte, dass der Kronzeuge zwar glauben könnte, dass da nichts geprüft worden sei. Diese Annahme sei aber grundlegend falsch. So seien andere Programme und neuartige Routinen eingesetzt worden. Auch habe es nicht nur eine formale, sondern auch eine inhaltliche Prüfung gegeben. Das BZSt habe zudem laufend dazugelernt.

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Quelle:
SZ vom 20.11.2019
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