Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Verloren zwischen Paragrafen

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Viele Unternehmen haben eine Corona-Sonderregelung falsch verstanden und ihre Pleite verborgen. Das wird sich rächen.

Von Kathrin Werner

Man könnte fast meinen, Horst Seehofer habe seine Hände im Spiel gehabt. Der Bundesinnenminister hatte in einer Rede vor knapp zwei Jahren ausgeplaudert, wie er umstrittene Gesetze durch den Bundestag schleust, ohne dass die Abgeordneten deren Sprengkraft erkennen und mit Nachfragen nerven: "Man muss Gesetze kompliziert machen." Dann lachte er selbstzufrieden und ergänzte: "Dann fällt es nicht so auf."

Das Covid-19-Insolvenzaussetzungsgesetz, kurz COVInsAG, ist ein so kompliziertes Gesetz, dass es fast schon Seehofer-verdächtig ist. Es soll von der Pandemie bedrohte Unternehmen vor der Pleite schützen, weshalb es hilfreich gewesen wäre, wenn Geschäftsführer oder Chefinnen ebenjener Unternehmen in der Lage wären, die gerade einmal sieben Paragrafen auch zu verstehen. Doch das COVInsAG wimmelt von komplexen Formulierungen, Querverweisen auf andere Gesetze, doppelten Verneinungen und Ausnahmen von den Ausnahmeregeln, die im einen oder anderen Zeitraum gelten und dann auch wieder nur unter gewissen Umständen. Das Gesetz ist die Hölle sogar für rechtswissenschaftlich vorgebildete Menschen - auch wenn dahinter wohl keine politische Trickserei steckt, sondern schlicht die Unfähigkeit vieler Juristen, einfach zu schreiben.

Es fängt schon beim Namen des Gesetzes an, der suggeriert, dass Insolvenzen während der Pandemie nicht stattfinden. Dabei gibt es strenge Vorgaben, die Unternehmen erfüllen müssen, um vom COVInsAG zu profitieren: Die Krise muss wirklich an der Pandemie liegen, die Firmen müssen noch mit einer Finanzhilfe aus einem der staatlichen Rettungsprogramme rechnen dürfen und diese Zahlung muss ausreichen, um die Finanzlücke zu schließen. Laut Expertenschätzungen müssten eigentlich gut 80 Prozent der von der Pleite bedrohten Unternehmen auch während der Corona-Krise Konkurs anmelden. Doch weil die Einschränkungen versteckt und verklausuliert sind, teils im letzten Satz eines dritten Absatzes, wähnen sich Unternehmenslenker und -beraterinnen vor der Insolvenz vorerst sicher und machen sich dadurch unter Umständen sogar strafbar wegen Insolvenzverschleppung oder Eingehungsbetrug. Obwohl in deutschen Schaufenstern die Auslagen verstauben, ist die Zahl der Insolvenzen im Jahr 2020 sogar gesunken.

Das Ganze ist äußerst gefährlich. Wenn die Ausnahmeregeln des COVInsAG auslaufen - bislang vorgesehen ist Ende April, aber es ist auch möglich, dass sie noch einmal verlängert werden -, wird eine Pleitewelle kommen. Bis dahin taumeln die Konkurskandidaten als Zombie-Unternehmen durch die Volkswirtschaft, gehen weiter Verpflichtungen ein, die sie vielleicht nie erfüllen werden und reißen so andere Unternehmen mit. Das Ziel des Insolvenzrechts ist eigentlich, Vertrauen zu schaffen: Wer mit einem anderen Betrieb Geschäfte macht, muss sich darauf verlassen können, dass der seine Finanzen im Griff hat. Ohne Vertrauen funktioniert die Marktwirtschaft nicht.

Ein Konkurs kann eine Chance sein

Wie immer in Corona-Zeiten ist die Abwägung schwierig. Einerseits ist der Gedanke, der hinter dem COVInsAG steckt, natürlich ein guter: Unternehmen, die ein eigentlich funktionierendes Geschäftsmodell haben, bekommen eine Überlebenschance. Dass sie zwischenzeitlich knapp bei Kasse waren, ist nach der Pandemie schnell vergessen. Ihnen zu helfen, ist auch politisch gut zu verkaufen, was gerade jetzt wichtig ist, da die Bundestagswahl ansteht. Es würde der Stimmung im Land nicht helfen, wenn Tausende Arbeitgeber pleitegehen. Andererseits haben wegen der Missverständnisse um das COVInsAG sehr wahrscheinlich auch viele Unternehmen ihr Scheitern verborgen, die schon länger in der Krise stecken und denen Corona nur den letzten Rest gegeben hat. Es ist nicht die Aufgabe des Staates, Pleiten zu vermeiden. Sie sind wichtig, damit neue Produkte und neue Geschäftsmodelle entstehen können. Sobald etwas mehr Normalität in die Wirtschaft einkehrt, müssen die Sonderregelungen des COVInsAG auslaufen und die Wahrheit ans Licht.

Hinter dem Hinauszögern der Pleite steckt oft auch eine typisch deutsche Scham zu scheitern und eine falsche Angst vor der Insolvenz. Je länger Chefs oder Chefinnen warten, den Antrag zu stellen, desto schwieriger ist es, Firmen zu sanieren oder zu verkaufen. In Insolvenzverfahren können manche Sanierungs- und Restrukturierungsmaßnahmen einfacher umgesetzt werden. Ein Konkurs kann eine Chance sein. Der deutsche Gesetzgeber sollte diese Krise nutzen, um das Insolvenzrecht noch besser zu machen. Dazu gehört auch die zügige Umsetzung der EU-Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz, die eine frühzeitige Sanierung von Unternehmen ermöglichen soll. Und das dann bitte in klarer Sprache.

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