Süddeutsche Zeitung

Volkskongress:Chinas neuer Ministerpräsident umwirbt die Wirtschaft

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Li Qiang steht vor einer schwierigen Mission: die kriselnde Konjunktur ankurbeln und das Land gleichzeitig auf weitere Konflikte mit den USA vorbereiten. Bei seiner ersten Pressekonferenz schlug der neue Regierungschef versöhnliche Töne an.

Von Florian Müller, Peking

Bei seinem ersten großen Auftritt als neuer chinesischer Ministerpräsident bemüht Li Qiang die Legende von Yu Gong, um seine Landsleute auf die Zukunft einzuschwören. Die Sage geht so: Ein "närrischer Alter" beschließt eines Tages, zwei Berge abzutragen, die ihm den Weg abschneiden. Unbeirrt vom Spott seiner Zeitgenossen macht er sich ans Werk. Denn auch wenn er stirbt, seine Söhne und deren Nachkommen würden die Arbeit fortsetzen, sagt er, und irgendwann würden die Berge weg sein. Beeindruckt vom starken Willen des Alten schickt der Himmelskaiser zwei Götter, die die riesigen Hindernisse aus dem Weg räumen.

Staatsgründer Mao Zedong interpretierte die beiden Berge einst als Imperialismus und Feudalismus, die es aus dem Weg zu räumen gelte, und nahm den Mythos in sein Rotes Büchlein auf. Als Li Qiang die Geschichte bei der Pressekonferenz nach dem Ende des Volkskongresses am Montag wieder aufgreift, stehen die Berge vermutlich für die wachsende Rivalität mit den USA und die schwächelnde Wirtschaft in China, die es durch "Kampf" und "Entbehrung" zu überwinden gilt. Die Botschaft: Egal wie groß die aktuellen Probleme zu sein scheinen, China wird sie meistern.

Als Ministerpräsident ist Li Qiang traditionell für die Wirtschaftspolitik zuständig. Als ehemaligem Parteichef der Wirtschaftsmetropole Shanghai wird dem 63-Jährigen durchaus ökonomischer Sachverstand nachgesagt. Als Ex-Stabschef von Präsident Xi Jinping könnte er zudem die Unterstützung für notwendige Reformen haben - so hoffen zumindest Optimisten. Und Optimismus kann Li gebrauchen, denn seine Mission ist keine leichte: Er muss das verlorene Vertrauen der Verbraucher, Unternehmer und ausländischen Investoren in Chinas Staatsführung zurückgewinnen, um die Konjunktur anzukurbeln. Dies mit dem Ziel unter einen Hut zu bringen, die Wirtschaft auf weitere Konflikte mit den USA vorzubereiten, wird seine große Herausforderung für die nächsten Jahre sein.

Dabei bemühte der neue Ministerpräsident sich darum, die Politik der Vorgängerregierung als Erfolg darzustellen. So sagte er über das plötzliche Ende der Corona-Maßnahmen, China habe "nur zwei Monate gebraucht, um einen reibungslosen Umschwung in der Covid-Reaktion zu erreichen und die normale wirtschaftliche und soziale Ordnung in relativ kurzer Zeit wiederherzustellen". Angesichts des Chaos der vergangenen Monate ist dies eine Bilanz, die getrost als geschönt bezeichnet werden kann.

Wegen Covid wuchs Chinas Wirtschaft 2022 nur um drei Prozent

Wegen der vielen Lockdowns war Chinas Wirtschaft im vergangenen Jahr nur um drei Prozent gewachsen. Für dieses Jahr hatte Ex-Ministerpräsident Li Keqiang zu Beginn des Volkskongresses ein relativ schwaches Ziel von fünf Prozent vorgegeben, weniger als viele Ökonomen für machbar halten. Wichtiger als die absolute Zahl sei jedoch, so Li Qiang nun, dass sich der Alltag der Menschen beständig verbessere. Dabei erwähnte er allerdings nicht die anhaltende Krise im Immobiliensektor, die die Ersparnisse der Mittelschicht, die Stabilität des Finanzsystems und die Regierungsfinanzen in Gefahr bringen könnte. Auch in der schrumpfenden Bevölkerung sieht Li kein Problem für die wirtschaftliche Entwicklung, da gleichzeitig die Qualifikation der Arbeitskräfte weiter zunehme. Dass viele der knapp zwölf Millionen Universitätsabsolventen dieses Jahr nur schwer Jobs finden werden, stritt Li nicht ab, nannte aber keine konkreten Maßnahmen zur Stabilisierung des Arbeitsmarkts. Und wann die schon oft angekündigte Erhöhung des Rentenalters kommen soll, wollte er auch nicht genau sagen.

Wie erwartet richtete Li aufmunternde Worte an die Privatunternehmer. Diese seien im vergangenen Jahr durch "unangemessene Diskussionen" verunsichert worden. Doch dafür gebe es keinen Grund: "China wird sich dieses Jahr weiter für die Welt öffnen." Ausländische Investoren seien nach wie vor willkommen, China wegen der Größe seines Marktes und der starken industriellen Basis weiterhin attraktiv. Parteikader sollten sich zudem "mit privaten Unternehmern anfreunden", deren Eigentum schützen und sie nicht anders behandeln als Staatskonzerne.

Es sind Aussagen, die angesichts des harten Vorgehens der Behörden gegen Milliardäre wie den Banker Bao Fan oder Alibaba-Gründer Jack Ma doch etwas erstaunen. Aktuelle Umfragen unter ausländischen Unternehmen wie die der US-Handelskammer in China zeigen, wie stark die Attraktivität des Landes unter der zunehmend unvorhersehbaren Regierungsführung und dem Konflikt mit den USA leidet. Dort schaffte es China zum ersten Mal seit 25 Jahren nicht mehr unter die Top drei der Investitionsstandorte.

Der Ökonom Max Zenglein von der auf China spezialisierten Denkfabrik Merics in Berlin glaubt, dass Li Qiang trotz seiner schönen Worte wenig am Kurs seines Parteichefs Xi ändern kann: "Die Korridore, in denen sich die chinesische Wirtschaft entwickeln kann, sind wesentlich enger geworden und stärker politisiert." Zur Verunsicherung internationaler Investoren beigetragen hatte die nun beschlossene Reform der Finanzaufsicht. Mithilfe einer neuen Kommission will die Zentralregierung ihre Kontrolle über den Bankensektor stärken, um "systemische Risiken" zu bekämpfen. Durch die Neuordnung "werden die Freiräume der Zentralbank beschränkt", sagt Zenglein. Dies zeichne den Weg für weitere Reformen des Finanzmarktes vor.

Die deutsche Wirtschaft äußert sich positiv

Auf Zustimmung in der deutschen Wirtschaft stieß indes die Nachricht, dass wichtige wirtschaftspolitische Entscheidungsträger wie Zentralbankchef Yi Gang, Finanzminister Liu Kun sowie Handelsminister Wang Wentao ihre Posten behalten dürfen. "In turbulenten Zeiten und nach drei Jahren Unsicherheit endlich ein Zeichen für mehr Planbarkeit", kommentierte Jens Hildebrandt, Vorstandsmitglied der deutschen Außenhandelskammer in Peking. Zenglein sieht darin jedoch nur eine Zwischenlösung zur Beruhigung der Unternehmen: "Personelle Änderungen kann die Regierung in den kommenden Monaten immer noch vornehmen."

An die USA schickte Li indes ein Signal der Deeskalation: "Es gibt viel, was die zwei Länder durch Zusammenarbeit erreichen können." Damit milderte Li die Worte von Staatschef Xi ab, der Washington vergangene Woche vorgeworfen hatte, Peking "einkreisen" und "eindämmen" zu wollen. Ob Lis Worte in Washington Gehör finden, ist indes fraglich. Um die zerrütteten Beziehungen zwischen den beiden Supermächten zu reparieren, bedürfte es vermutlich tatsächlich himmlischer Hilfe, so wie in der Legende von Yu Gong.

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