Süddeutsche Zeitung

Buchhandel:Streit bei Thalia

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Die Buchkette organisiert sich neu und steigt aus dem Tarif aus. Nun muss auch noch der Berliner Betriebsratschef gehen - nachdem er sich gegen die Auslagerung seiner Filiale gewehrt hatte.

Von Dieter Sürig, München

Als Thalia-Chef Michael Busch vor einer Woche in der Bundespressekonferenz saß, um in Pandemiezeiten für eine Wiederöffnung der Buchhandlungen zu werben, sprach er auch von der Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern. Zur selben Zeit flatterte bei Thomas Sielemann die Kündigung in den Briefkasten - "aus den Ihnen bekannten Gründen (...) fristgerecht zum 30. September 2021", heißt es in dem Schreiben. "Dann sind gut 30 Jahre bei Thalia vorbei", sagt Sielemann bitter. Dabei hat er lediglich einem Betriebsübergang an einen Franchisepartner widersprochen, weil er im Hauptbetrieb bleiben wollte und eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen fürchtete.

Thalia hatte Anfang Januar angekündigt, die Vertriebsstrukturen und das Vergütungssystem anzupassen. In diesem Zuge hat das Unternehmen zwölf Berliner Filialen an die Vertriebsgesellschaft Nord verlagert sowie die Filiale Spandau an einen früheren Thalia-Manager übertragen. "Thalia braucht mehr Flexibilität und eine schnelle durchgängige Steuerbarkeit, um auf marktseitige Veränderungen, wie zum Beispiel Corona oder die Digitalisierung, besser antworten zu können", hieß es dazu in einer Pressemitteilung.

Das Erstaunliche: Der Spandauer Filiale war Thomas Sielemann, 57, zugeordnet - der Betriebsratschef der 13 Berliner Thalia-Niederlassungen, der auch noch als Vorsitzender der Verdi-Tarifkommission Einzelhandel aktiv ist. Besteht da ein Zusammenhang? "Bei Thalia verfolgen wir immer das Ziel, ein konstruktives wie vertrauensvolles Verhältnis mit unseren Betriebsräten herzustellen. Das gilt auch für Berlin. Und natürlich gibt es in Berlin weiter Betriebsräte", antwortet das Unternehmen. Warum Thalia der Bitte nach Versetzung nicht nachgekommen ist, will die Firma nicht sagen, weil "wir uns zu einzelnen Personen grundsätzlich nicht äußern". Das hätte sich angeboten, da Sielemann als Betriebsratschef sowieso freigestellt war und nie in der Filiale Spandau gearbeitet hat.

Für einen Interessenausgleich war es zu spät

Sielemann bereitet sich auf ein Kündigungsschutzverfahren vor. "Ich stehe nach wie vor auf dem Standpunkt, dass ich als freigestellter Betriebsrat zum Hauptbetrieb gehöre", sagt Sielemann. Zuvor hatte er noch versucht, für die Spandauer Mitarbeiter gerichtlich einen Interessenausgleich zu erzielen. Den gebe es regulär nämlich nur, wenn der Vorgang noch nicht abgeschlossen sei. Und da der Betriebsrat erst nach Vollzug informiert worden sei, war es dafür zu spät. "Das war eine planmäßige Missachtung der Betriebsratsbeteiligung, wir hätten wegen der Abspaltung involviert werden müssen, um einen Interessenausgleich vereinbaren zu können", sagt er. Selbst der Gesamtbetriebsrat Nord war nicht darüber informiert, dass die Berliner zu ihnen stoßen werden: "Die Zusammenlegung der Vertriebsgebiete war für uns nicht absehbar", heißt es dort.

Der Arbeitsrichter der Einigungsstelle habe das Vorgehen Thalias mit deutlichen Worte missbilligt, was den Buchhändlern aber letztlich nichts brachte. "Thalia hat es offenkundig geschafft, das so geheim zu halten, dass niemand etwas wusste", kritisiert Sielemann, "und das ist offenbar konform mit der Rechtssprechung".

Dass Betriebsratschef Sielemann sozusagen auf diese Weise aus dem Betrieb gekegelt wurde, ist jedoch nur ein Aspekt der neuen Strukturen. Und dass die etwa 220 Berliner Beschäftigten mit ihrem erzwungenen Wechsel zu Thalia Nord, von denen laut Verdi bisher nur einige Bereiche tarifgebunden waren, um ihre tarifgerechte Entlohnung fürchten, wird angesichts des künftigen Vergütungssystems bei Thalia bekräftigt.

Tariferhöhungen werden nicht mehr automatisch umgesetzt

Dass die Buchkette mit Jahresbeginn beim Handelsverband in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung gewechselt ist, war Voraussetzung für das neue Leistungs- und Vergütungssystem, das Thalia entwickeln will. Das bisherige Gehalt bleibe zwar unverändert und es gebe ein 13. Gehalt, so Thalia in einem Mitarbeiterbrief, aber: "aufgrund des Tarifausstiegs werden zukünftige Tariferhöhungen nicht mehr automatisch umgesetzt", so die Pressemitteilung. Gehaltssteigerungen und Boni sollen "an den jeweilig aktuellen Unternehmenserfolg gekoppelt werden". Dies gilt auch umgekehrt: Mitarbeiter sollen "bei einem wirtschaftlichen Verlust des Unternehmens maximal auf das gesamte 13. Gehalt verzichten", heißt es in dem Mitarbeiterbrief.

Die Pläne stoßen bei der Gewerkschaft Verdi auf heftige Kritik: "Das heißt nichts anderes, als dass es weniger gibt, wenn sich der Erfolg nicht einstellt", sagt Erika Ritter, Verdi-Landesfachbereichsleiterin in Berlin-Brandenburg. "Das Unternehmen nutzte in infamer Weise die Widrigkeiten der Corona-Pandemie und den Jahreswechsel, um eine derart gravierende Betriebsänderung zum Nachteil der Beschäftigten durch die Hintertür durchzuziehen". Auch Sielemann fürchtet unter anderem mittelfristig weniger Gehalt und mehr Samstagsarbeit. Allerdings will Thalia Details noch mit den Mitarbeitern besprechen und argumentiert: "Unsere Arbeitswelt hat sich in den letzten Jahren massiv verändert, und wir sind der Auffassung, dass diese Veränderungen im Rahmen von starren Tarifverträgen nicht mehr adäquat abgebildet werden." Die Beschäftigten streben nun zumindest einen Haustarifvertrag an, der sich nach dem normalen Tarifvertrag richtet.

Gut möglich, dass es weiteren Thalia-Filialen so ergehen könnte wie der Spandauer. "Im Rahmen der Thalia-Plattform sind zukünftig weitere Franchise-Standorte denkbar", so das Unternehmen. Was Sielemann wiederum verwundert: "Das Franchise-Modell hat uns völlig überrascht, weil es nicht Sinn und Zweck sein kann, auf diese Weise eigene Filialen zu überführen."

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