Süddeutsche Zeitung

Braunkohle:RWE versteigert Braunkohlebagger im Internet

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Jahrzehnte schaufelte der Koloss im rheinischen Braunkohlerevier. Nun kommen die 3454 Tonnen unter den Hammer. Die Anlage könnte so im Ausland weiterbuddeln.

Von Benedikt Müller-Arnold, Köln

Auf der Internet-Plattform des Auktionshauses Wilhelm Dechow mangelt es nicht an Kuriositäten: Eine Fleischerei bietet dort ihre Räucherkammer und Wurstfüllmaschinen per Online-Versteigerung feil. Eine Kaugummifirma bringt Hunderte Kilogramm Lagerware unter den Hammer, Geschmacksrichtung Zitrone-Basilikum, haltbar nur noch bis Ende des Jahres.

Doch ein Auktionsgut sticht hervor, allein seiner Ausmaße wegen: Der Energiekonzern RWE versucht dort erstmals, einen Schaufelradbagger seines Braunkohletagebaus zu versteigern - ohne Mindestgebot. Der Typ "Krupp 275" ist 38 Meter hoch und wiegt 3454 Tonnen. Vor 60 Jahren buddelte der Koloss erstmals Kohle aus der Erde zwischen Köln und Aachen. Doch ähnlich wie der Kaugummi nähert sich der Bagger seinem Ablaufdatum.

Bis spätestens 2038 will Deutschland aus der Kohleverstromung aussteigen, so hat es der Bund beschlossen. Neben der verheerenden CO₂-Bilanz spricht der krasse Eingriff in die Landschaft, die Umsiedlung ganzer Dörfer im Rheinland und in Ostdeutschland, gegen den heimischen Energieträger Braunkohle. Immer mal wieder versuchen Aktivisten daher, die ikonischen Schaufelradbagger zu besetzen, obwohl der Einstieg in den Tagebau lebensgefährlich und verboten ist.

Für RWE stellt sich derweil die Frage, was aus 22 Schaufelradbaggern im Rheinland werden soll, wenn der Konzern von Jahr zu Jahr weniger Kohle abbaut - und die Tagebaulöcher irgendwann zu Seen verwandelt sind. In der Vergangenheit hat RWE einzelne Bagger gesprengt, auseinandergebaut und das verschrottete Material verkauft - vor allem viel Stahl.

Oder aber, so der Gedanke der nun laufenden, ersten Versteigerung, ein anderes Unternehmen kann den Koloss von 1959 noch gebrauchen, um damit etwa Kies oder Erdreich, Ton oder andere lockere Sedimentgesteine abzubauen. Immerhin zähle der Bagger "zu den größten Landfahrzeugen der Welt", preist das Auktionshaus Dechow nun auf seiner Plattform Troostwijk, die etwa auch Traktoren und Baumaschinen kriselnder oder gar insolventer Firmen unter den Hammer bringt.

Dechow, gegründet 1904, habe zwar schon viel Equipment aus dem Kohlebergbau versteigert, erzählt Projektleiter Jens-Peter Franz am Telefon, zum Beispiel Bergbaumaschinen, die unter Tage demontiert werden mussten. "Doch einen Schaufelradbagger dieser Größe hatten wir bislang noch nicht in einer Ausschreibung." Die Interessenten, die sich bisher gemeldet hätten, seien internationaler Art gewesen, so Franz, alle aus der Tagebaubranche. "Ich gehe schon davon aus, dass das Gerät im Ganzen international noch Verwendung finden kann."

Industrie-Anlagen werden immer wieder mal demontiert und in einem anderen Erdteil wiederaufgebaut

Einen Besichtigungstermin vor Ort habe man bislang zwar noch nicht vereinbart. Doch die Ausschreibung läuft ja noch bis 30. September zur Mittagszeit. "Die Interessenten setzen sich jedenfalls intensiv mit dem Gerät auseinander", sagt Franz. "Das ist auch nötig, zum Beispiel muss der Schaufelradbagger entsprechend der Auflagen des Bergrechts demontiert werden." Abholung vor Ort also - anschließend könnte der Bagger dann in Teilen über Land und schließlich per Schiff transportiert werden. RWE würde jedenfalls den Versteigerungserlös erhalten, abzüglich einer Gebühr für das Auktionshaus.

Dass ganze Anlagen demontiert und in anderen Erdteilen wiederaufgebaut werden, ist im industriellen Westen Deutschland jedenfalls kein Unikum. Unvergessen ist etwa die Geschichte der Kokerei Kaiserstuhl in Dortmund, die Thyssenkrupp Anfang des Jahrtausends wegen der anhaltenden Stahlkrise stillgelegt, an einen chinesischen Bergwerkskonzern verkauft hat - und die wenige Jahre später im Osten Chinas wiedereröffnet wurde.

Was indes passieren kann, wenn Braunkohlesysteme keinen Käufer finden, zeigt das Beispiel Gräfenhainichen in Sachsen-Anhalt: Dort hatte das nahe Bauhaus Dessau die Idee, ein Freilichtmuseum um die alten Riesenbagger des Tagebaus Golpa-Nord entstehen zu lassen; das Projekt war Teil der Weltausstellung Expo 2000. Heute prangen die Stahlriesen auf einer Halbinsel im Gremminer See, den der Tagebau dort hinterlassen hat. Im Schatten der Kolosse finden seit Jahren Festivals und Konzerte, Firmenveranstaltungen und Sportturniere statt. Museumsbesucher dürfen einen der zur Attraktion umgebauten Großbagger heute tatsächlich begehen. Ganz legal.

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SZ vom 18.08.2020
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