Süddeutsche Zeitung

Boeing:Wenn der Profit über allem steht

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Der US-Flugzeugkonzern Boeing hat in der Affäre um die Abstürze des Prestigefliegers "737 Max" mit Hunderten Todesopfern alle Glaubwürdigkeit verspielt. Es wird Zeit für einen Kurswechsel.

Kommentar von Jens Flottau

Nach Tagen des Schweigens hat sich Boeing doch noch einmal zum Thema gemeldet. Was in den letzten Tagen zu lesen war, sei - dem Flugzeughersteller zufolge - nur missverstanden worden. Es geht um Text-Nachrichten, die sich zwei hochrangige Boeing-Piloten Ende 2016 hin- und hergeschickt haben, und in denen bereits davon die Rede war, dass eine Software, die wohl eine entscheidende Rolle bei zwei Abstürzen mit Hunderten Todesopfern gespielt hat, "ungeheuerlich" reagiere.

Boeing sieht die Sache so: Der eine Pilot habe sich nur darüber beklagt, dass die Software in einem Flugsimulator nicht richtig funktioniere, und nicht im echten Flugzeug, der Boeing 737 Max. Die Fehler seien längst korrigiert worden. Deswegen könne mitnichten davon die Rede sein, dass Boeing-Mitarbeiter von den Max-Problemen wussten und sie trotzdem durch die Zulassung mogelten. 346 Menschen sind bei den Abstürzen ums Leben gekommen.

Die Boeing-Verteidigungslinie entspricht rein zufällig (oder eben auch nicht) genau der Strategie, die einer der Piloten über seinen Anwalt vermitteln lässt. Es sei nur um den Simulator gegangen. Zwei Monate später hatte der Mann, Mark Forkner, erfolgreich jeden Hinweis auf die gefährliche Software und ihre Funktion aus den Schulungshandbüchern streichen lassen - die Fluggesellschaften sollten so Trainingskosten sparen können. Man möchte fast für ihn hoffen, dass seine Version der Wahrheit entspricht und nicht nur eine Behauptung ist, um ihn vor Strafverfolgung zu schützen.

Der Konzern versuchte, die Schuld auf andere zu lenken - schlimmer geht es nicht

Das Problem aber ist: Boeing hat in der Max-Affäre jede Glaubwürdigkeit verspielt. Die neue Version der 737 musste schnell auf den Markt, damit Airbus mit der erfolgreichen A320neo nicht noch mehr davonzieht. Dabei hat Boeing das eigene Prinzip verletzt, dass Sicherheit über allem steht: Die Software selbst war, weil sie stark eingreift, zu schlecht abgesichert. Und weil das praktisch niemand wusste, war sie gefährlich. Boeing hat nach einem Bericht internationaler Experten der amerikanischen Aufsichtsbehörde FAA Unterlagen vorenthalten. Und als die Abstürze passiert waren, versuchte der Konzern, die Schuld auf andere zu lenken. Auf Piloten und auf die Fluggesellschaften. Schlimmer geht es nicht.

Das Maneuvering Characteristics Augmentation System (MCAS), die Software, die wohl die entscheidende Rolle bei den Abstürzen spielte, ist nur ein Symptom für eine fehlgeleitete Firmenkultur, in der der Profit über allem steht. Die Max-Affäre ist der spektakulärste Fall des Versagens, aber nicht der einzige. Das neue Langstreckenflugzeug 777X wird wohl weit über ein Jahr verspätet sein, was zugegebenermaßen nur zum Teil Boeings Schuld ist. Die Militär-Tankflugzeuge vom Typ KC-46 sind schon seit Jahren eine Lachnummer, bei der 787 beklagen die Kunden Qualitätsmängel.

Für das Versagen gibt es Verantwortliche wie den Konzernchef Dennis Muilenburg, bei dem man sich nicht vorstellen kann, wie er glaubwürdig einen Kulturwandel hinbekommen will. Oder Kevin McAllister, den Verantwortlichen für die Zivilflugzeugsparte, der in der Krise komplett abgetaucht ist. Boeing braucht neue Leute an der Spitze, Leute von außen.

Die gesamten Folgen des Skandals wird man erst in einigen Jahren überblicken können. Boeing wird den milliardenschweren geplanten Bau eines Mittelstreckenjets wohl verschieben oder aufgeben. Schließlich kostet das Fiasko den Konzern nicht nur seinen guten Ruf, sondern wohl rund 20 Milliarden Dollar. Das ist fast so viel, wie Airbus für den Bau des gescheiterten Riesenflugzeuges A380 ausgegeben hat. Es kann sein, dass die Max so viel Marktanteile verliert, dass ein Nachfolger schnell kommen muss - das bedeutet noch einmal zehn bis 20 Milliarden Dollar an Investitionen. Selbst für einen Industriegiganten wie Boeing ist das sehr viel. Vielleicht wird US-Präsident Donald Trump bei den Strafzöllen für Airbus bald noch aggressiver auftreten als sowieso schon, um irgendwie den wichtigen amerikanischen Exporteur zu schützen.

Die Aufsichtsbehörden werden sehr genau hinschauen, bevor sie das Flugzeug wieder für kommerzielle Flüge freigeben. Das gilt für die FAA, ganz bestimmt aber für die Europäer und China. Selbst die treuen amerikanischen Kunden haben die Max bis Februar 2020 aus den Flugplänen gestrichen, in Europa könnte es leicht bis zum Sommer 2020 oder noch länger dauern. Die neueste Version der 737 über ein Jahr lang am Boden - eigentlich unvorstellbar. Wie so vieles, was die Branche zuletzt über Boeing lernen musste.

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Quelle:
SZ vom 22.10.2019
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