Süddeutsche Zeitung

"737 Max 8" von Boeing:Zwei Abstürze in fünf Monaten

Lesezeit: 3 min

Von Jens Flottau, Frankfurt

Es war das erste Bild, das zum Absturz der Boeing 737 Max 8 um die Welt ging. Es zeigt einen dunklen Krater voller Trümmer und einen Mann, der ein Wrackteil in den Händen hält. Es ist Tewolde Gebremariam, Chef von Ethiopian Airlines, Stunden nach der Katastrophe. Er hat hier eigentlich nichts zu suchen, die Absturzstelle sollte gemäß internationalen Regeln den Unfallermittlern vorbehalten sein.

Der Schock über den Absturz sitzt tief, bei den Betroffenen, aber auch in der Branche. Zum zweiten Mal in fünf Monaten ist eine Maschine des Typs abgestürzt, ein Modell, das erst vor zwei Jahren zum ersten Mal ausgeliefert worden ist. Ethiopian Airlines will, bis mehr Klarheit herrscht, die vier übrigen Maschinen nicht mehr einsetzen. China hat den heimischen Fluggesellschaften bis auf Weiteres Flüge mit dem auch 737 Max 8 genannten Jet untersagt. 96 Maschinen sind betroffen. Auch Indonesien, Schauplatz des ersten Absturzes im Oktober 2018, schloss sich am Montag dem Schritt an. Boeing verschob die für den kommenden Mittwoch geplante Präsentation des neuen Langstreckenflugzeuges 777X. Die Boeing-Aktie verlor am Montag zunächst 13,5 Prozent ihres Wertes, der stärkste Rückgang seit 2001, zum Börsenschluss lag das Minus bei 5,3 Prozent.

Die große Frage ist nun, ob es zwischen dem Absturz der Lion-Air-Maschine vom 29. Oktober und dem des Ethiopian-Jets vom 10. März einen inhaltlichen Zusammenhang jenseits des Umstandes gibt, dass es sich um den gleichen Flugzeugtyp handelt und um jeweils ungewöhnlich neue, nur wenige Monate alte Maschinen. Möglicherweise gibt es bald erste Aufschlüsse dazu, denn am Montag bargen die lokalen Ermittler den Flugschreiber und den Stimmenrekorder der Ethiopian-Maschine. Der Flugschreiber sammelt wichtige Daten: zur Fluglage, Geschwindigkeit, Höhe und Richtung. Der Stimmenrekorder zeichnet die Gespräche der Piloten auf.

Der Ethiopian-Flug 302 war am Sonntagmorgen um 8.38 Uhr mit 149 Passagieren und acht Besatzungsmitgliedern an Bord von Addis Abeba nach Nairobi gestartet. Der Pilot meldete kurz nach dem Start der Flugsicherung technische Probleme und bat darum, zum Ausgangsflughafen zurückkehren zu dürfen. Die Boeing befand sich auf einer Flughöhe von etwa 9000 Fuß (etwa 3000 Metern), das Gelände ist in der Gegend circa 8000 Fuß (2600 Meter) hoch, die Maschine flog also nur wenige Hundert Meter über dem Boden. Um 8.44 Uhr brach der Kontakt mit der Flugsicherung ab, auch vom Radar verschwand die Maschine. Die Unglücksstelle liegt nahe dem Ort Bishoftu, südöstlich der äthiopischen Hauptstadt. Erste Aufzeichnungen zeigen, dass die Maschine mehrmals unmittelbar stieg und dann wieder sank.

Die Flughöhe des Ethiopian-Jets begann unmittelbar nach dem Start zu schwanken

Flug JT610 der indonesischen Fluggesellschaft Lion Air war 13 Minuten nach dem Start ins Meer vor Jakarta gestürzt. Bei diesem Flug meldeten die Piloten, dass sie Schwierigkeiten hätten, das Flugzeug zu kontrollieren. Der vorläufige Unfallbericht legt dar, dass in den Vortagen Sensoren, die den Anstellwinkel messen sollen, unzuverlässige Daten lieferten. Lion Air ließ die Maschine dennoch weiterfliegen. Boeing hatte bei der 2017 erstmals ausgelieferten Max eine neue Funktion der Flugsteuerung eingeführt: Das sogenannte Maneuvering Characteristics Augmentation System (MCAS) soll automatisch eingreifen, wenn es einen zu großen Anstellwinkel erkennt, um einen Strömungsabriss zu verhindern. Im Fall von Flug JT610 versuchte das System mutmaßlich, die Nase des Flugzeuges aufgrund der falschen Daten nach unten zu drücken. Die Piloten wiederum wussten offenbar - anders als die Kollegen in den Vortagen - nicht, wie sie MCAS abstellen können.

Die Tatsache, dass die Flughöhe des Ethiopian-Jets praktisch unmittelbar nach dem Start zu schwanken begann, könnte darauf hindeuten, dass MCAS hier keine Rolle gespielt hat. Denn die Funktion greift erst ein, wenn die Flügelklappen vollständig eingefahren sind. Beim Start sind sie aber teilweise ausgefahren, um die Fläche der Flügel zu vergrößern und den Auftrieb bei niedriger Geschwindigkeit zu erhöhen.

Boeing sah bis zum Montagnachmittag keinen Anlass, den Kunden der 737 Max 8 Anweisungen für den Flugbetrieb zu geben. Dies ist üblich, sobald sich bei Unfalluntersuchungen Erkenntnisse ergeben, die für die Flugsicherheit relevant sind. Nach dem Absturz des Lion-Air-Jets hatte Boeing die Fluggesellschaften darauf hingewiesen, dass bei fehlerhaftem Eingreifen der Flugsteuerung die bereits zuvor definierten Verfahren anzuwenden seien. MCAS kann über Schalter außer Betrieb genommen werden.

Allerdings hatten mehrere Fluggesellschaften und Pilotengewerkschaften darauf hingewiesen, dass ihnen das neue System gar nicht bekannt gewesen sei. Andere Betreiber des Flugzeuges hingegen wussten von der Existenz der neuen Software, die brasilianische Luftfahrtbehörde schrieb anders als die amerikanische Federal Aviation Administration sogar vor, Hinweise dazu in die Schulung der Piloten zu integrieren.

Bis zum Montag hatten die beiden von den zwei Unfällen direkt betroffenen Airlines Ethiopian und Lion Air sowie Cayman Airways die 737 Max 8 außer Betrieb genommen. Dass China die Flotte ebenfalls aus dem Verkehr zog, hängt damit zusammen, dass die Regierung traditionell mit drastischen Entscheidungen einschreitet, um sich später auf keinen Fall dem Vorwurf auszusetzen, etwas versäumt zu haben. Denn unter den Opfern des Fluges ET302 waren auch acht Chinesen.

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SZ vom 12.03.2019
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