Süddeutsche Zeitung

Boeing:Drama im 737-Cockpit

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Ein Untersuchungsbericht verdeutlicht den Ablauf des Ethiopian-Absturzes der Boeing "737 Max". Danach haben die Piloten alles richtig gemacht.

Von Jens Flottau, Frankfurt

In den vergangenen Tagen hat die Flugbranche auf nichts so sehr hingefiebert wie auf den vorläufigen Unfallbericht zum Absturz der Ethiopian Airlines-Boeing. Endlich, so hofften viele, würde Klarheit herrschen, was passiert ist und wer nun verantwortlich sei für den zweiten Absturz vom 10. März, dem zweiten einer 737 Max innerhalb von weniger als fünf Monaten.

Das Papier wurde am Donnerstagabend veröffentlicht, fast acht Stunden nachdem die äthiopische Verkehrsministerin Dagmawit Moges ihre Sicht der Dinge bei einer Pressekonferenz erläutert hatte. Ihre Sicht der Dinge ist: Die Piloten haben alles richtig gemacht, die von Boeing empfohlenen Verfahren verfolgt und sind damit völlig ohne Verantwortung dafür, dass die Maschine an jenem Sonntagmorgen sechs Minuten nach dem Start nahe Addis Abeba abgestürzt war.

Die Piloten versuchten mit voller Kraft die Steuersäulen nach hinten zu ziehen

Doch in Wirklichkeit ist die Lage nicht ganz so eindeutig. Fest steht: Boeing hat nun nach der Veröffentlichung des Zwischenberichtes erstmals auch offiziell eingeräumt, dass es einen Zusammenhang zwischen dem unseligen Maneuvering Characteristics Augmentation System (MCAS) und dem Ethiopian-Crash gibt. Damit bekennt das Unternehmen, das MCAS ein Glied in der Kette von Faktoren ist, die zu den beiden Katastrophen führten. Die fehlerhafte Aktivierung von MCAS, das in extremen Fluglagen die Nase automatisch nach unten drücken soll, könne eine Stress-Situation für die Piloten noch komplexer machen, so Konzernchef Dennis Muilenburg in einer Stellungnahme. "Wir sind dafür verantwortlich, dieses Risiko zu beseitigen." Unklar ist, wie gravierend ein zweites Software-Problem ist, über das die Washington Post am Freitag berichtete. Boeing bezeichnet es als "relativ unbedeutend."

Der Unfallbericht erlaubt Rückschlüsse auf das Drama, das sich im Cockpit während der sechs Minuten zugetragen haben muss, in denen die Piloten versuchten, die Kontrolle über das Flugzeug wiederzuerlangen. Sie versuchten mit voller Kraft, zeitweise gleichzeitig, die beiden Steuersäulen nach hinten zu ziehen, um wieder an Höhe zu gewinnen. Allen Indizien zufolge scheiterten sie daran, manuell das Leitwerk zu verstellen, sie hatten nicht genug Kraft, um die Räder, die zwischen ihnen an der Mittelkonsole installiert sind, zu drehen. Und all dies im Lärm der automatischen Warnsignale, die sich zum Teil gegenseitig widersprachen.

Und doch ist die Rolle von MCAS nicht der einzige Faktor, der weiter untersucht werden muss. Der wichtigste andere ist Geschwindigkeit. Die Ethiopian-Maschine flog immer mit nahezu maximalem Schub und war deswegen viel zu schnell. Ein kaputter Sensor warnte irrtümlich, dass sie zu langsam waren, diesen Umstand erkannten die beiden Piloten nicht. Aber auch die Verfahren, um bei falschen Geschwindigkeitsangaben sicher weiterzufliegen, sehen weniger Schub vor. Die Piloten stellten zwar die Stromversorgung für das Höhenleitwerk nach etwa zwei Minuten wie vorgesehen ab, aber sie hatten zuvor nur minimal gegengesteuert, mutmaßlich auch, weil sie so schnell unterwegs waren. Am Ende deuten die Daten darauf hin, dass sie entgegen der Empfehlung die Elektrik wieder einschalteten, MCAS drückte die Nase erneut nach unten.

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Quelle:
SZ vom 06.04.2019
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