Süddeutsche Zeitung

Tarifkonflikt:Am Bau droht der erste große Streik seit 20 Jahren

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Gewerkschaft und Arbeitgeber haben monatelang ergebnislos verhandelt und stehen sich nun vor der Schlichtung unversöhnlich gegenüber. Streit gibt es vor allem um die oft weiten Wege.

Von Alexander Hagelüken und Stephan Radomsky

Auf dem Bau geht es früh los, meistens schon um sieben Uhr morgens. Und viele der Arbeiter sind um diese Zeit schon eine ganze Weile unterwegs: 64 Kilometer legen sie im Schnitt von daheim bis zur Baustelle zurück, ergab zuletzt eine Studie im Auftrag der IG Bau. Nun fordert die Gewerkschaft für die Zeit auf der Straße einen besseren Ausgleich von den Arbeitgebern - notfalls per Arbeitskampf: "Ein bundesweiter Streik am Bau ist so wahrscheinlich wie seit 20 Jahren nicht mehr", sagte IG-Bau-Chef Robert Feiger der SZ.

Am Mittwoch beginnt im Tarifstreit für die knapp 900 000 Beschäftigten des Bauhauptgewerbes die Schlichtung. Seit Mai haben die IG Bau auf der einen und die beiden Arbeitgeberverbände, der Zentralverband Deutsches Baugewerbe (ZDB) und Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB), auf der anderen Seite verhandelt - ohne Ergebnis. Nun soll, wie bereits im vergangenen Jahr, der Präsident des Bundessozialgerichts, Rainer Schlegel, als Schlichter eine Lösung finden. Scheitert er, könnte es zum ersten Mal seit 2002 zu einem bundesweiten Arbeitskampf am Bau kommen. "Und wir wissen, wie Streik geht", warnte Feiger vor Beginn der Schlichtung.

Die Forderung nach einem Ausgleich für die Wegezeiten liege bereits seit 2018 auf dem Tisch - und sie sei noch immer der "größte Haken in den Verhandlungen", so der Gewerkschafter. Darüber hinaus fordert die IG Bau ein Lohnplus von 5,3 Prozent sowie die Angleichung der Tarife in Ost und West. "Ohne ein echtes Einlenken der Arbeitgeber wird es dieses Mal keine Einigung mit uns geben."

Ähnlich konfrontativ gehen die Bauunternehmer in die Schlichtung: Die Gewerkschaft verbreite "Fake News", hieß es am Dienstag von Verhandlungsführer Uwe Nostitz, der zugleich Vizepräsident des ZDB ist. Es sei unwahr, dass die Pendelzeiten zur Baustelle bisher ignoriert würden. Arbeitnehmer erhielten über den sogenannten Bauzuschlag im Schnitt bereits jährlich rund 1000 Euro pauschal für Wegezeiten. Die geforderten Neuregelungen fielen zudem in den Bereich der Rahmentarifverträge - und könnten deshalb gar nicht Teil der laufenden Lohn- und Gehaltsverhandlungen sein.

Im vergangenen Jahr hatten sich beide Seiten ebenfalls erst in der Schlichtung auf einen neuen Tarifvertrag geeinigt. Damals standen am Ende Lohnsteigerungen von gut zwei Prozent, ein Corona-Bonus von 500 Euro sowie eine Pauschale von 0,5 Prozent des Monatslohns als Entschädigung für die Wegezeiten. Genau hier fordert die IG Bau nun deutliche Verbesserungen: Künftig solle, nach Entfernung gestaffelt, eine bestimmte Zeit zusätzlich zur Arbeit mit dem Tarif-Stundenlohn bezahlt werden. Die Arbeitgeber lehnen das ab, schon weil es zu kompliziert sei, die sich ständig ändernden Wegstrecken richtig zu erfassen. "Die Unternehmen müssen das ja auch organisieren können", sagte eine Sprecherin.

Die Nachfrage ist hoch, die Materialpreise auch - und Fachkräfte sind knapp

Gebaut wird derweil weiterhin viel: So legte beispielsweise der Auftragseingang zwischen Januar und Juli um 4,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zu, meldete jüngst das Statistische Bundesamt. Damit setzte sich ein langfristiger positiver Trend fort: Seit 2013 wuchs der Jahresumsatz der Branche in jedem Jahr, zuletzt 2020 um 4,9 Prozent. Allerdings stiegen auch die Kosten für Baustoffe rasant: Holz zum Beispiel verteuerte sich teils um mehr als 80 Prozent, Stahl in bestimmten Bereichen um mehr als 40 Prozent - innerhalb nur eines Jahres. Es waren die insgesamt größten Preissprünge bei Baumaterial seit 2008.

Weil trotzdem weiterhin viel gebaut werden dürfte, ist die Nachfrage nach Arbeitskräften groß. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung rechnet damit, dass allein in diesem und im nächsten Jahr insgesamt knapp 100 000 Jobs entstehen. Zugleich hat der Bau ein Nachwuchsproblem: Nach Daten des Bundesinstituts für Berufsbildung bekamen die Betriebe im vergangenen Jahr 30 Prozent der Ausbildungsplätze für Betonbauer, Bodenleger und Gerüstbauer nicht besetzt. Zwar stiegen die Ausbildungszahlen wieder leicht, sagt Feiger, "aber das reicht längst nicht aus, um den Bedarf zu decken" - auch weil etwa die Hälfte der Fachkräfte binnen fünf Jahren nach der Ausbildung die Branche verließen und in andere Berufe wechselten. Hinzu komme, dass viele wegen der schweren körperlichen Arbeit früher in Rente gehen.

Dass ein hoher Tarifabschluss nun die Kosten für Bauherren weiter in die Höhe treiben könnte, will Feiger nicht gelten lassen: "Die Löhne spielen bei den Gesamtkosten am Bau eine relativ geringe Rolle", sagte er. "Ich akzeptiere auch nicht, dass der Bauarbeiter, der täglich die Knochen hinhält, jetzt auch noch durch Lohnverzicht die Kosten niedrig halten soll."

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