Süddeutsche Zeitung

Autoindustrie:Sieg für die Zulieferer, Niederlage für VW

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Prevent hat gegen VW aufbegehrt wie noch kein Lieferant zuvor. Der Konflikt ist zwar fürs Erste gelöst - er könnte die Verhältnisse aber langfristig verändert haben.

Kommentar von Thomas Fromm

Es ist schwer zu sagen, wer an dem bizarren Streit zwischen VW und seinem Zulieferer Prevent die Hauptschuld trägt. Es ist - auch nach der mühsamen Einigung der beiden vom Dienstag - ebenfalls schwer zu sagen, wer auf Dauer als Sieger aus dem Clinch hervorgeht. VW, so viel steht indes fest, muss große Zugeständnisse machen, um ein Ende des Lieferstopps zu bewirken und vor allem wieder mit wichtigen Getriebeteilen versorgt zu werden. Verloren haben bei diesem Machtpoker beide. Der eine, VW, aber weit mehr als der andere.

VW, der vorgeführte Gigant, musste in diesen Chaostagen zwei Lektionen lernen. Die erste: Mache dich nicht von einem Zulieferer abhängig, wenn es um die Beschaffung spezieller Teile geht. Die zweite: Unterschätze nie deinen Verhandlungspartner, mag er auch noch so klein sein. Dass ein relativ unbekannter Zulieferer in der Lage ist, die Produktion des VW Golf zu stoppen, dürfte die Manager des mächtigen Konzerns noch lange beschäftigen.

Prevent gilt nun bei vielen als Robin Hood der Zulieferindustrie

Aber auch der Zulieferer Prevent dürfte nicht ohne Blessuren aus dem Kampf herausgehen. Das bosnisch-deutsche Unternehmen gilt zwar bei nicht wenigen inzwischen als der Robin Hood der Zulieferindustrie; als eine Art Rächer der zu kurz Gekommenen in einer Milliardenbranche. Bei anderen dagegen gilt das Unternehmen aber nun erst recht als unberechenbar. Das könnte unangenehme Folgen für die künftige Auftragslage der Firma haben. Daimler hat schon vor drei Jahren die Zusammenarbeit weitgehend beendet.

Vor allem aber müssen sich beide Firmen nun fragen: War es das alles wirklich wert? Und: Warum haben hoch bezahlte Manager die fatale Entwicklung nicht rechtzeitig gestoppt?

Die milliardenschweren Autokonzerne sind doch angreifbar

Unfassbar, wie diese Auseinandersetzung eskaliert ist. Am Anfang soll eine - in der Branche im Grunde nicht unübliche - Auftragsstornierung gestanden haben. Es folgten der Streit über Ausgleichszahlungen, schließlich der Liefer-, dann der Produktionsstopp. Über Nacht stand auf einmal nicht nur ein 200-Milliarden-Konzern Kopf, sondern mit ihm auch viele andere kleine Zulieferbetriebe, die mit in den Streikstrudel hineingerissen wurden. Die Politik stritt über Kurzarbeitergeld, die Finanzaufsicht Bafin prüft nun, ob VW eine ad-hoc-Mitteilung für die Börse hätte herausgeben müssen, und die ersten Volkswirtschaftler spekulieren schon darüber, wie sehr der Zoff zwischen VW und seinen Lieferanten die deutsche Konjunktur abwürgen könnte.

Die vergangenen Tage waren ein Lehrstück darüber, wie aus einem kleinen Streit unter Geschäftspartnern ein bedrohlicher Wirtschaftskrimi werden kann. Und sie könnten ein Vorzeichen sein für das, was auf die Autokonzerne zukommt. Denn es hat sich einiges verschoben in der Beziehung der Hersteller zu ihren Zulieferern. Zum ersten Mal hat nun ein Lieferant aufbegehrt, die ganz große Karte gespielt und der Branche gezeigt: Die mächtigen Milliardenkonzerne sind angreifbar. Man muss sie nur an der richtigen Stelle packen.

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SZ vom 24.08.2016
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