Süddeutsche Zeitung

Augmented Reality:Spieglein, Spieglein

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Passt das grüne Sofa eigentlich in mein Wohnzimmer? Hersteller und Händler halten Augmented Reality für das "nächste große Ding".

Von Michael Kläsgen, München

Dieser Spiegel hat es in sich. Er soll beispielsweise in den Friseursalons von Wella eingesetzt werden und den Kundinnen zeigen, wie es ausschaut, wenn sie sich die Haare färben oder einen ganz neuen Schnitt verpassen lassen. Der Spiegel kann dank Augmented Reality, computeranimierter, "erweiteter" Realität, auch Gesichter erkennen und nachverfolgen, wie sich das Aussehen einer Person über Monate oder Jahre verändert. Wer will, kann sein neues Erscheinungsbild per Social Media jedem zeigen, und zwar nicht nur die Vorderansicht, sondern von hinten und der Seite, einmal ringsherum, dank einer 360-Grad-Aufnahme. Auch die beherrscht der Spiegel. Ihm kann man auch seine E-Mail-Adresse mitteilen, und dann Kommentare über den Service im Salon hinterlassen oder mit dem Friseur mailen. Wer keine Probleme mit Einblicken in seine Privatsphäre hat, ist hier genau richtig aufgehoben.

Künstliche Intelligenz, das Internet der Dinge und besonders Augmented Reality faszinieren besonders Markenhersteller, in dem Fall Coty, den US-Parfüm- und -Kosmetikkonzern, der 2015 die deutsche Haarpflegemarke Wella übernommen hat. Das smarte Spieglein, Spieglein an der Wand weckt, wen wundert's, besonders Firmen aus der Schönheitsbranche, aber nicht nur. Auch Telekonferenzen mit Ärzten sind dank des Spiegels denkbar. Man soll ihn auch nutzen können, um im Hotel ohne Umweg über die Rezeption ausschecken zu können. Ein vielleicht willkommener Gedanke für alle, die genervt sind, wenn man dort mal warten muss. Meist kooperieren die Betreiber, die Markenhersteller, Hoteliers oder Händler direkt mit einem der vielen Tech-Unternehmen, die an Augmented Reality basteln, um sich eine maßgeschneiderte Lösung für ihren Zweck fertigen zu lassen.

Der Kosmetikkonzern L'Oréal hat sogar mit Facebook einen Vertrag über eine langfristige Kooperation in Sachen virtueller Realität geschlossen. Kundinnen mit Facebook-Konto will der französische Konzern so beispielsweise am Bildschirm zeigen, wie das Make-up in ihrem Gesicht aussieht. L'Oréal hält die Technik eigenen Angaben zufolge für den Schlüssel, um Kundinnen die vielen Marken des Konzerns näherzubringen und sie zum Kauf ihrer Produkte zu animieren. Viele Konzerne halten Augmented Reality für das "nächste große Ding".

Nicht alles, was künstliche Intelligenz ermöglicht, wird aber sichtbar sein für die Verbraucher. Das Sortiment im Supermarkt wird sich anpassen, einzelne Standorte und Filialen werden sich individuell den Kundenvorlieben am jeweiligen Ort angleichen, prophezeit Stephan Rüschen, Professor für Lebensmittelhandel an der Dualen Hochschule in Heilbronn. Möglicherweise werden sich auch die Preise individualisieren.

Vieles wird der Kunde aber auch im Laden erleben oder zu Hause vor dem Bildschirm nutzen können. Fielmann etwa will Brillen dank Augmented Reality verstärkt im Internet verkaufen, was bisher so nicht möglich war. Jeder Brillenträger kennt die bisweilen aufwendige Suche nach dem passenden Modell im Laden. Dank einer dreidimensionalen Anprobe sollen Kunden Brillen künftig virtuell anziehen und sehen können, wie sie ihnen steht. Um das ihren Kunden zu ermöglichen, kooperiert Deutschlands größte Optikerkette nicht nur mit einem Software-Unternehmen wie viele andere. Über die Tochtergesellschaft Fielmann Ventures ist die Firma mit etwa 20 Prozent bei dem französischen Tech-Start-up Fittingbox eingestiegen.

Die Otto Group vertraut lieber auf die Großen und setzt auf die Technik von Google und Apple. Der Handelskonzern aus Hamburg nutzt Augmented Reality, um Kunden über eine App zum Beispiel auf dem Smartphone zu zeigen, wie das online angeklickte Sofa im eigenen Wohnzimmer aussieht. Das Sofa wird virtuell in das auf dem Bildschirm zu sehende Zimmer projiziert. In der App lässt sich das Möbelstück auch verrücken oder mit verschiedenen Stoffen in unterschiedlichen Farben beziehen. Man kann auch virtuell um das Sofa herumgehen und es aus verschiedenen Perspektiven anschauen.

Otto erhofft sich viel von der Technik. Vor allem, dass mehr Kunden Möbel online kaufen, und zwar nicht mehr so oft bei Ikea, sondern häufiger bei Otto. Allerdings beschleunigt auch das schwedische Einrichtungshaus gerade das Tempo bei der technischen Modernisierung. Jetzt muss das alles nur noch dem Kunden gefallen. Bislang sind die meisten noch zögerlich. Sie wollen die Möbelstücke ausprobieren und anfassen.

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Quelle:
SZ vom 04.04.2019
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