Süddeutsche Zeitung

Krise bei Audi:Rebellion unter den Ringen

Lesezeit: 5 min

Von Thomas Fromm und Max Hägler

Natürlich gibt es auch schöne Momente bei Audi, trotz allem. Vor ein paar Tagen durfte Vorstandschef Bram Schot vor der Villa Reitzenstein, dem Dienstsitz von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, das erste Elektroauto des Konzerns vorfahren. Ein paar schöne Fotos gab es, der Politiker lächelte routiniert neben dem Audi-Chef. Bilder wie solche erscheinen dann hinterher in Jahresberichten.

Ansonsten aber war dieses Jahr für Audi bislang eher unter Durchschnitt, und es wird wohl auch kein schönes mehr werden. Der Autobauer aus Ingolstadt - eines der wichtigsten Unternehmen in Bayern - hat gerade mehr als ein Problem. Vor allem, und das kratzt besonders am Ingolstädter Selbstbewusstsein: Die VW-Premiumtochter ist mit einem Absatz von 1,8 Millionen Autos im vergangenen Jahr hinter die Rivalen Mercedes und BMW zurückgefallen. Es ging zurück, und zuletzt zwar überall: in Europa, den USA und in China.

"Vorsprung durch Technik", das war der Slogan, der lange hielt. Es war das ewige Mantra, das bedeutete: Wir wollen besser sein als die anderen, wir haben Technik, die BMW und Daimler nicht haben. Und so dachte man in Ingolstadt lange Zeit, dass man die Konkurrenz für immer überholt hätte.

Technik außer Kontrolle

Welch ein Irrtum. Ausgerechnet der "Vorsprung durch Technik"-Konzern hatte seine Technik zuletzt nicht mehr im Griff. Die Autos sind oft nicht verfügbar, immer noch tun sich in den Showrooms der Audi-Autohäuser große Lücken auf. Audi müht sich sehr, seine Neuwagen gemäß den neuen Abgasregeln ("WLTP") zu zertifizieren. Autos, die gebaut sind, aber noch keine Zulassung haben - irgendwann füllten sie die Ingolstädter Großparkplätze und die Werks-Parkhäuser. So etwas schmerzt.

Und selbst wenn die Autos irgendwann beim Händler landen: Sind sie wirklich noch die sportlichen Limousinen mit den vier Ringen, die das Marketing verspricht? Auch in den Image-Rankings der Autofahrer liegt das Unternehmen hinten. Wofür steht Audi also heute, wenn sogar die Konzernmutter Volkswagen die Führung bei der Entwicklung selbstfahrender Autos von Ingolstadt in die Zentrale nach Wolfsburg verlagert? Lange Zeit war Ingolstadt der Ort im Konzern, an dem Innovationen stattfanden. Inzwischen aber liegen die Ingolstädter selbst bei der Produktivität in den Fabriken weit hinten.

Auf zwei Männer kommt es nun an. Der eine heißt Peter Mosch, ist seit 32 Jahren im Unternehmen und seit langem Betriebsratschef. Der andere ist neu hier, kommt aus den Niederlanden und heißt Bram Schot. Beide sind aufeinander angewiesen, der eine ein bisschen mehr als der andere. Denn Schot hat keine Hausmacht, das macht ihn auch nach zwei Monaten noch verletzlich. Schot konnte kein eigenes Vorstandsteam aufbauen, er arbeitet mit Leuten, die bereits vor seiner Berufung da waren - also Leute aus der Ära seines Vorgängers Rupert Stadler.

Audi war nie irgendeine VW-Tochter

Und die Arbeitnehmerseite erhöht den Druck auf den Neuen. Mosch verliert jedenfalls seine sonst übliche große Zurückhaltung: "Statt Management-Spielchen erwarten wir offenes und transparentes Teamwork im Sinne der Belegschaft", sagte er der Süddeutschen Zeitung. "Vor allem erwarten wir das von Herrn Schot." Die Belegschaft habe ihn unterstützt, als er im Dezember Vorstandsvorsitzender wurde. "Jetzt heißt es für ihn, dieses Vertrauen zurückzuzahlen".

Es werde "ein sehr schweres Jahr mit sehr schwierigen Verhandlungen", sagt Mosch. "Wir fordern eine zielgenaue Strategie von Herrn Schot und seinem Team." Nun sitzt Schot tatsächlich an einem "Transformationsplan", möchte bis zur Hauptversammlung im Frühjahr auch das Markenbild schärfen. Aber Mosch will, dass die Arbeitnehmer mehr mitreden bei dieser neuen Grundordnung. "Diese Strategie muss unseren Kolleginnen und Kollegen Orientierung und vor allem ein Ziel geben, wieder ganz vorne mitzumischen." Strategie, Orientierung, Ziele - eigentlich Dinge, die selbstverständlich sein sollten.

Aber nicht so sehr in diesen Tagen bei Audi. Was ist da schiefgelaufen? Audi war ja nie irgendeine VW-Konzerntochter. Audi war nicht Seat, nicht die Hausmarke VW, nicht Škoda. Audi, das war die Elite aus Oberbayern, der Technologielieferant für den gesamten Konzern, und der Gewinnbringer. Auch deshalb dürfte der langjährige Chef Stadler ebenso stolz wie selbstbewusst gewesen sein: Wie hätte die VW-Bilanz in all den Jahren denn ausgesehen ohne Audi?

In guten Zeiten steuerte Stadler fast die Hälfte des gesamten Wolfsburger Konzerngewinns bei. Wenn man heute in Ingolstadt mit Aufsichtsräten spricht, mit Managern oder mit Arbeitnehmervertretern, dann sagen viele: Der große Erfolg gerade um den Jahrtausendwechsel habe Audi nachlässig werden lassen. Vom "Feuerwehrmodus" spricht einer. Immer alles auf den letzten Drücker. Irgendwann habe kaum noch ein Modellanlauf mehr richtig funktioniert. Fast immer sei man zu spät dran gewesen, gegenüber den Kunden, aber vor allem bei der internen Zusammenarbeit. Aber Selbstkritik war nicht en vogue in jenen Jahren. Lieber feierte man sich selbst. Vorstände und Entwickler kamen und gingen wie bei einem Fußballverein, der in jeder Saison wieder nach dem richtigen Weg sucht. Sie hießen Michael Dick, Wolfgang Dürheimer, Ulrich Hackenberg oder Stefan Knirsch und Peter Mertens. Dann kam der September 2015, die Dieselaffäre schlug ein, und irgendwann landete dann auch noch der damalige Chef Stadler in Untersuchungshaft.

"Über die Stränge geschlagen"

Während die Wettbewerber aus Stuttgart und München Zeit für die Zukunft hatten, war man in Ingolstadt vor allem mit sich selbst beschäftigt. Immer mehr Gremien, immer mehr Führungspersonal, aber kein klares Ziel. Betriebsratschef Mosch stellt klare Forderungen an den Stadler-Nachfolger Schot: "Auch im Management müssen Strukturen gestrafft werden - und zwar konsequent."

In den vergangenen Jahren habe Audi hier "über die Stränge geschlagen". Eigentlich sieht Schot das auch so. Aber kann sich der Mann ohne Hausmacht gegen seine Kollegen aus dem höheren Management durchsetzen? Mosch fordert von Schot daher - ganz konkret - "weniger Führungsebenen".

Viele Ebenen, wenig Führung: Seit im Dieselskandal immer deutlicher geworden ist, dass Audi so etwas wie "die Mutter des Betruges" gewesen ist, sei die Kultur endgültig verfallen, sagen Audianer. Eine endlose Geschichte, die Audi noch lange verfolgt. Im Frühjahr wird die Staatsanwaltschaft München II wohl die Entscheidung fällen über eine Anklage. Dann wird Audi wieder ständig in den Schlagzeilen sein, sie sind es gewohnt in Ingolstadt. Und doch kostet das Energie beim Weg in die Zukunft. Seit Beginn der Dieselaffäre steht aber auch der Markenclaim "Vorsprung durch Technik" infrage.

Was sollen denn nun für Autos gebaut werden? Bei der Kernfrage jedes Autounternehmens gab es keine Klarheit, keine Linie. Stattdessen, berichten Insider, wolle sich jeder selbst verwirklichen: Hier ein besonderes Panoramadach, dort ein spezielles Blechlein in der Karosserie - was die Konstruktionskosten nach oben trieb. Derivate, wie veränderte Versionen eines A4 oder Q3 heißen, schlagen da schon mal mit bis zu einer Milliarde Euro zu Buche, beinahe so viel wie die Entwicklung eines neuen Wagens.

"Es kostet uns so viel Energie und Geld, etwas auf die Straße zu bringen", das ist ein Satz, den man oft hört. Der Betriebsrat aus Bayern und der Manager aus Holland haben viel zu besprechen. Bei einem Thema sind sie sich aber einig: bei den Motoren der Zukunft. "Klar setzen wir bei Audi verstärkt auf Elektroautos. Alleine unser E-tron zeigt bereits, wie E-Mobilität richtig geht", sagt Mosch. Der baden-württembergische Ministerpräsident Kretschmann fährt ihn Probe. Endlich, heißt es aus seinem Haus. Das will für einen schwäbischen Grünen immerhin etwas heißen, normalerweise fährt man in Stuttgart andere Autos als die mit den vier Ringen aus Ingolstadt.

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SZ vom 16.02.2019
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