Süddeutsche Zeitung

Pleite des Handelskonzerns:Arcandor-Insolvenzverwalter verklagt Wirtschaftsprüfer

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Von Uwe Ritzer und Georg Wellmann

MünchenSechs Stunden dauerte die Vernehmung, unterbrochen nur von einer kurzen Mittagspause. Ausführlich redete Thomas Middelhoff an jenem Junitag 2011 mit Kölner Ermittlern über seine Rolle beim Untergang von Karstadt-Quelle alias Arcandor. Middelhoffs Botschaft: Nicht er, sondern Karl-Gerhard Eick habe den Handelskonzern an die Wand gefahren, sein Nachfolger als Vorstandschef. Zu seiner Zeit jedenfalls, also zwischen Juni 2004 und Februar 2009, habe es keine Anzeichen für eine bevorstehende Pleite von Arcandor gegeben, sagte Middelhoff auch in zahlreichen Interviews.

Die Staatsanwaltschaft Bochum vermutet anderes. Sie ermittelt seit längerem gegen Middelhoff und sechs weitere ehemalige Arcandor-Topmanager wegen des Verdachts von Bankrottdelikten. Denn erst im Juni 2009, vier Monate nach Middelhoffs Ausscheiden, stellte Eick Insolvenzantrag. Nun wird Middelhoffs Version von dem zu seiner Zeit keineswegs zahlungsunfähigen Handelskonzern auch durch zwei Klagen in Frage gestellt, die Arcandor-Insolvenzverwalter Hans-Gerd Jauch bei den Landgerichten in Frankfurt und Düsseldorf eingereicht hat.

Darin verklagt er die beiden renommierten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften KPMG und BDO auf insgesamt 98 Millionen Euro Schadenersatz. Sie hätten es "pflichtwidrig unterlassen", den Konzern auf seine bereits im Oktober 2008 bestehende Zahlungsunfähigkeit hinzuweisen, heißt es in den Klageschriften, die Süddeutscher Zeitung, WDR und NDR vorliegen. Ein Vorwurf, den beide Wirtschaftsprüfungsgesellschaften zurückweisen.

Hätten die Prüfer die Insolvenzreife bemerken sollen?

KPMG bescheinigte noch Ende 2008 Arcandor die Sanierungsfähigkeit. BDO wiederum war als Wirtschaftsprüfer des Handelskonzerns seit Jahren an Bord und bestätigte dessen Bilanzen noch 2008 uneingeschränkt. Von einer Insolvenzreife der Arcandor AG bereits im September 2008 wollen die beiden Wirtschaftsprüfungsgesellschaften jedenfalls nichts bemerkt haben. Hätten sie aber müssen, meint Jauch.

Denn Ende September 2008 sei nicht nur die Finanzlage von Arcandor bereits desaströs gewesen, sondern zwei Konzerntöchter meldeten obendrein Verlustausgleichsansprüche in Höhe von 377 Millionen Euro an. Spätestens da hätte Arcandor ein Insolvenzverfahren beantragen müssen, argumentiert Jauch. Es habe keine "realistische Chance auf eine außergerichtliche Sanierung" mehr gegeben.

Während sich KPMG nicht äußern wollte, hieß es seitens BDO, man halte an den uneingeschränkten Testaten von damals fest. Im Übrigen habe man nicht den Geschäftsbericht des Konzerns, sondern nur die jeweiligen Jahresabschlüsse geprüft. Insolvenzverwalter Jauch erfährt jedoch Rückenwind von der Staatsanwaltschaft Bochum. Sie geht davon aus, dass die Arcandor-Bilanzen 2008 geschönt waren. Rechnungen seien absichtlich verspätet gezahlt worden, um mit dem zurückgehaltenen Geld Liquidität vorzugaukeln, wo keine mehr war.

Ende August 2008 seien mehr als elf Prozent der bestehenden Verbindlichkeiten weder gebucht noch bezahlt gewesen. Den KPMG-Prüfern werfen die Ermittler in einem Zwischenbericht vor, ihr Gutachten beruhe "grundsätzlich auf Annahmen und Planungen". Die Wirtschaftsprüfer hätten die Risiken nicht vollständig untersucht und beim Arcandor-Management zu wenig nachgehakt.

Waren all diese Gutachten Pfusch?

All das macht die Ursachenforschung bezüglich der Arcandor-Insolvenz nicht leichter. Die Informationen sind widersprüchlich. Im Herbst 2014 stellte die Bochumer Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen Eick wegen Insolvenzverschleppung ein. Wo es keine Insolvenz gegeben habe, könne auch keine verschleppt worden sein. Wie KPMG kamen zudem auch von der Bundesregierung beauftragte Gutachter von PwC 2009 zu positiven Prognosen für Arcandor. Waren all diese Gutachten Pfusch? Oder wurden die Prüfer vom Arcandor-Management falsch informiert?

Zumindest wackelt die Version, dass zu Zeiten des Vorstandschefs Thomas Middelhoff eine Insolvenz nie Thema bei Arcandor war. So warnte Finanzvorstand Peter Diesch nach Informationen von SZ, WDR und NDR bereits am 20. September 2008 in einer internen Mail: "Mittwoch/Donnerstag geht das Geld aus. . ." Am 26. September 2008 informierte der Vorstand die Bundesregierung vertraulich von einer unmittelbar bevorstehenden Insolvenz. Einen Tag später schrieb man bei Arcandor einen Entwurf für einen Insolvenzantrag, der dann aber in der Schublade landete.

Und dann ist da noch der Mailverkehr aus fraglicher Zeit zwischen Middelhoff und dem Arcandor-Chefjustiziar. "Ist eigentlich der Weg einer Insolvenz in Eigenregie denkbar?", fragte Middelhoff vorsorglich. Antwort des Juristen: "Grundsätzlich ja."

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SZ vom 21.07.2015
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