Süddeutsche Zeitung

Alterssicherung:Die Grundrente als Armutszeugnis

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Mit dem neuen Rentenzuschlag doktern SPD und Union lediglich an den Krisensymptomen der Altersvorsorge herum. Die epochale Aufgabe bleibt unerledigt.

Von Hendrik Munsberg, München

Wahlkampf ist für Sozialdemokraten oft ein unersprießliches Geschäft, das selten Spaß macht - Sozialminister Hubertus Heil erlebte so einen Glücksmoment, als er jetzt stolz verkünden konnte, dass die neue Grundrente nun erstmals ausgezahlt werde. Damit das Prestigeprojekt der SPD noch vor der Bundestagswahl sichtbare Früchte trage, übte der Ressortchef massiven Druck auf die Rentenversicherung aus. Doch die Grundrente mag ein Wahlkampfschlager für die SPD sein. Für die scheidende Bundesregierung ist sie bei Licht besehen auch ein Armutszeugnis.

Noch steht nicht fest, wer nach der Wahl im Herbst Kanzler oder Kanzlerin wird. Sicher ist aber schon heute: Wer immer es sei, er oder sie steht auch in der Rentenpolitik vor einer epochalen Aufgabe. Es lohnt sich, einen Schritt zurückzutreten, um die Herausforderung zu begreifen. Die von CDU-Kanzler Konrad Adenauer 1957 eingeführte gesetzliche Alterssicherung in Deutschland ist im Kern bis heute auf das längst verklungene Industriezeitalter zugeschnitten, also auf das Idealbild eines mehr als 40 Jahre ununterbrochen werktätigen männlichen Industriearbeiters. Solche Lebensläufe gibt es heute immer weniger, künftig werden sie die seltene Ausnahme sein.

In Zeiten von Netzökonomie und künstlicher Intelligenz werden Lebensläufe von Frauen und Männern zur Normalität, die durch einen Wechsel von Arbeit in Teil- und Vollzeit gekennzeichnet sind oder durch eine Abfolge von Selbständigkeit und abhängiger Beschäftigung. Hinzu kommt als Konsequenz der Bevölkerungsentwicklung ein wachsendes Missverhältnis zwischen Beitragszahlern und Rentnern.

Willkürlich gezogene Grenze

Auf diese Wirklichkeit ist die Rentenpolitik nun schon seit Jahren eine Antwort schuldig geblieben. Sie wäre aber erforderlich, denn ein Staat und eine Wirtschaftsordnung delegitimieren sich, wenn sie keine glaubwürdige Lösung dafür anbieten, wie arbeitende Bürger auch im Alter auskömmlich leben können.

So gesehen ist die Grundrente auch ein Krisensymptom. Sie markiert den Versuch von SPD und Union, Menschen, die es auf mindestens 33 Beitragsjahre in der Rentenkasse bringen, vor Altersarmut zu bewahren. Aber schon diese willkürlich gezogene Grenze offenbart die Schwachstelle. Wer 33 Jahre nicht schafft, hat eben Pech. Mehr Geld mochte sich die regierende Koalition aber nicht leisten, weil der Bund schon jetzt mehr als 100 Milliarden Euro pro Jahr an die Rentenkasse überweist. Nun gibt es Schlauberger, die sagen, das Problem der Altersarmut lasse sich besser mit der Grundsicherung lösen, man müsse dazu nur ein paar Reparaturen vornehmen. So argumentiert, wer mit großer Wahrscheinlichkeit selbst nie in die Lage kommt, dem Staat als Bittsteller gegenübertreten zu müssen. Darum verzichten schon heute viele aus Scham auf die ihnen zustehende Grundsicherung. Will man im Ernst immer mehr Menschen in diese Lage bringen?

Die Grundrente ist kein Almosen, sondern ein durch Arbeit erworbener Anspruch. Dies ernst zu nehmen, darin liegt das ehrbare Motiv der SPD. Allerdings muss man auch ihr den Vorwurf machen, dass ein kurzfristiger Erfolg ihr wichtiger war als der Versuch, eine systematische und befriedigende Antwort der Rentenpolitik auf die Erfordernisse der Zeit zu geben. Die Union hat dabei nur mitgewurstelt und auf eine Vermögensprüfung gedrängt- und sich damit eine schlichtere Einkommensprüfung erquengelt.

Rentenreformen, das galt in Deutschland über Jahrzehnte hinweg, sind eine Aufgabe, die nur Union und SPD vereint bewältigen können. Diesen Anspruch haben beide Parteien immer weniger eingelöst, und in der Grundrente wird endgültig klar, dass sie dazu nicht mehr imstande sind. Finanzminister Olaf Scholz, der vorher als Bundessozialminister die Probleme der Rentenpolitik kennenlernte, verfügt über Managementqualitäten, aber zu einer echten Reform der Alterssicherung kam auch von ihm kein Anstoß. Ob aber Armin Laschet, der Unions-Favorit für die Nachfolge Angela Merkels, in dieser Hinsicht Scholz überlegen sein wird, muss man angesichts jüngerer Erfahrungen bezweifeln.

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