Süddeutsche Zeitung

Agro-Business:Der Feldzug

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Bayer will mit dem US-Rivalen Monsanto die Welt retten. Die Ernährung von Milliarden Menschen ist sehr lukrativ.

Von Karl-Heinz Büschemann und Silvia Liebrich

Der Brandbrief ist 15 Seiten lang und 52 Fußnoten. Das Schreiben vom 31. Mai dieses Jahres liest sich wie eine wissenschaftliche Arbeit. Adressat ist das US-Justizministerium in Washington. Genauer: die Wettbewerbsabteilung. Im Briefkopf stehen zwei Verbraucherorganisationen und die über 100 Jahre alte National Farmers Union, ein Bauernverband der Vereinigten Staaten.

Die Absender haben ein ernstes Anliegen. Sie sorgen sich um den Wettbewerb auf dem wichtigen Markt für Saatgut und Pflanzenschutzmittel, der von nur einer Handvoll Firmen beherrscht wird. Die Kartellbehörde möge für mehr Wettbewerb in der Agrarwirtschaft sorgen und eine weitere Konzentration unterbinden, so die Forderung. Jede weitere Konsolidierung "müsste große Sorgen um den Wettbewerb auslösen". Sie würde Innovationen einschränken, Preise erhöhen und die Wahlmöglichkeiten von Farmern und deren Kunden verringern.

Noch pokert der deutsche Bayer-Konzern um den Erwerb seines US-Konkurrenten Monsanto. Noch ist der geplante Kauf nicht unter Dach und Fach. Gerade erst haben die Deutschen sich von ihren Banken einen Finanzierungsrahmen von maximal sagenhaften 75 Milliarden Dollar für diesen Superdeal einräumen lassen. Und schon bekommen sie von allen Seiten zu spüren, was es heißt, sich auf diesem umkämpften Markt zu engagieren.

Es sind nicht nur die Umweltschützer, die Bayer neuerdings ins Visier nehmen, weil Monsanto das große Feindbild der Ökobewegung in der Welt ist. Auch Wettbewerbshüter schauen sich inzwischen genau an, was in diesem Milliardenmarkt für Saatgut und Pestizide passiert. Und am Ende besteht immer noch die Gefahr, dass nicht Bayer sich einen Konkurrenten schnappt, sondern die Deutschen selbst von einem der Wettbewerber mit noch mehr Milliarden übernommen werden.

In der Saatgutbranche, die im Moment etwa 83 Milliarden Euro im Jahr umsetzt, läuft ein wildes Monopoly-Spiel um die Führungsrolle. Zugleich tobt in der Landwirtschaft eine Art Glaubenskrieg. Es geht um den richtigen Weg für die Landwirtschaft von morgen. Es geht darum, wie die wachsende Zahl der Menschen künftig ernährt werden soll. Und es geht um die Genmanipulation von Pflanzen, ein Streit, mit dem Bayer bisher nur in der zweiten Reihe zu tun hatte. In Europa ist der Eingriff ins pflanzliche Erbgut zur Erhöhung der Erträge umstritten und der Anbau von Gentech-Pflanzen weitgehend verboten. Doch der potenzielle US-Partner Monsanto hat auf diesem Feld sein Kerngeschäft. Das Unternehmen mit dem schlechten Ruf ist extrem profitabel. Bayer will unbedingt dabei sein, wenn es um die Ernährung der Welt von morgen geht.

Bis 2050, so rechnen die Vereinten Nationen (UN) vor, wird die Zahl der Menschen auf der Erde von heute sieben Milliarden auf zehn Milliarden steigen. Noch immer hungern etwa 800 Millionen Menschen, auch wenn ihre Zahl in den vergangenen Jahren zurückging. Nach dem Monsanto-Kauf wird die Zukunft von Bayer daher auch wesentlich davon abhängen, welche Rolle die großindustrielle Landwirtschaft in Zukunft spielen wird.

Für Werner Baumann, den Chef von Bayer, ist die Antwort klar: Es ist die industrielle Landwirtschaft. "Um alle Menschen ernähren zu können", rechnet er vor, "muss die Produktivität in der Landwirtschaft bis 2050 um 60 Prozent steigen." Bayer will dabei sein, wenn Nahrungspflanzen für Milliarden Menschen gezüchtet werden. Deswegen will es den US-Konzern, der sich mit grüner Gentechnik und einem zum Teil brutalen Geschäftsgebaren einen schlechten Ruf erworben hat, als Profitmaschine sichern. "Wir sind seit Langem von Monsanto beeindruckt", sagt Baumann. So erklärt er auch seinen Aktionären, warum er bereit ist, fast den gesamten Börsenwert von Bayer für den Kauf des US-Konkurrenten auszugeben.

Weltweit halten die Kritiker der Agrarindustrie den Konzernen entgegen, sie seien auf dem falschen Weg, weil sie mit ihrer Produktionsweise Umwelt und Menschen schaden und die Artenvielfalt dezimieren. Auch gebe es genug Lebensmittel auf der Welt, sie müssten nur richtig verteilt werden. "Hunger ist kein Problem der Knappheit", sagt Felix Prinz zu Löwenstein, der Vorsitzende des deutschen Bioerzeuger-Dachverbandes BÖLW. Löwenstein weist darauf hin, dass schon ein geringerer Fleischkonsum in den Industrieländern die globale Nahrungslage deutlich verbessern könnte. "Allein, wenn wir das schaffen, werden so viel Anbauflächen frei, dass auch in Zukunft alle satt werden", meint Löwenstein. Weltweit wandern derzeit mehr als 40 Prozent der Ernte von Weizen, Roggen, Hafer und Mais in Futtertröge.

Ähnlich argumentiert auch Marita Wiggerthale von der Hilfsorganisation Oxfam. Viele Menschen in ärmeren Ländern könnten sich Nahrung nicht leisten. "Armut ist das Hauptproblem", sagt sie. Eine andere Schwierigkeit sei die Verschwendung. Nach Schätzungen der UN landen bis zu 50 Prozent der erzeugten Lebensmittel gar nicht erst auf dem Teller, weil sie achtlos weggeworfen werden oder vorher verderben. "Eine solche Verschwendung können wir uns künftig nicht mehr leisten", warnt Wiggerthale.

Matin Qaim, Professor und Agarökonom an der Universität Göttingen, sieht die Dinge nicht so schwarz-weiß. Er ist sicher: "Wir brauchen mehr Nahrungsmittelproduktion für die Welternährung." Aber nicht nur. "Hunger ist sowohl ein Verteilungsproblem als auch eine Produktionsherausforderung." Für den Forscher steht außer Frage, dass es in der Landwirtschaft ohne moderne Technologien nicht gehen wird. Dabei werde auch die Züchtung neuer Pflanzen eine wichtige Rolle spielen. "Die Pflanzengenetik muss an Bedeutung gewinnen", fordert er.

Aber gibt es einen Mittelweg? Lassen sich nachhaltige Landwirtschaft und die Vorstellungen der großen Agrarkonzerne vereinbaren? Die Großindustrie gibt derzeit ein atemberaubendes Tempo vor, als wolle sie ihre Methoden so schnell wie möglich über die ganze Welt verbreiten. Gerade läuft die dritte große Fusionswelle in der Saatgutbranche seit den Achtziger- jahren. Schon jetzt ist klar, dass nur wenige ganz große Unternehmen den Weltmarkt kontrollieren werden. Erschreckend wenige. Und sie haben sich eine vielversprechende Technologie gesichert.

Schon in den Achtzigerjahren hatten sich die damals sechs größten Branchenvertreter Monsanto, Syngenta, Bayer, Dupont, Dow und BASF in einem wahren Kaufrausch etwa drei Viertel der kleinen und mittleren Firmen gesichert, die Pflanzen-Genforschung betreiben. Seitdem diktieren diese Riesen die Regeln im großen Agrargeschäft. Jetzt steht eine Art Endkampf um die Weltherrschaft im Agrarsektor an.

Gerade sind Dow und Dupont, die Nummern vier und fünf in der Weltrangliste, dabei, sich zusammenzuschließen. Kommt Bayer, die Nummer drei der Branche, beim Spitzenreiter Monsanto zum Zuge, wird es nur noch ein machtvolles Duopol geben. Diese beiden Riesen hätten gemeinsam in den USA 76 Prozent des Marktes für Mais und 66 Prozent des Geschäfts für Sojabohnen unter Kontrolle.

In diesem Machtspiel sorgt vor allem Monsanto für Unmut. Das Unternehmen aus Missouri verbindet die Genmanipulation von Pflanzen mit einer fragwürdigen Vermarktung, die inzwischen auch von anderen Konzernen nachgeahmt wird. Monsanto schützt Pflanzenzüchtungen mit Patenten und hat so den Schlüssel für ein sicheres Zukunftsgeschäft. Bauern müssen Saatgut jedes Jahr aufs Neue kaufen und dürfen nicht einfach einen Teil der Ernte für die neue Aussaat zurückhalten. An jedem Korn, das in die Erde gesetzt wird, verdient die patentierwütige Industrie mit.

Und nicht nur damit. Viele gentechnisch veränderte Pflanzen wie Soja oder Mais haben eine eingebaute Resistenz gegen Pestizide wie den Unkrautvernichter Glyphosat. Die können die Unternehmen den Bauern gleich mitverkaufen. Ein lukratives Geschäft. Allein der weltweite Pflanzenschutzmarkt hat nach Angaben des Industrieverbandes Agrar ein Umsatzvolumen von 46 Milliarden Euro. Dass Monsanto versucht, große wie kleine Bauern rund um den Globus mit solch ruppigen Methoden an sich zu binden, dass der Konzern die Lebensmittelproduktion zu monopolisieren versucht, macht den Saatgutlieferanten zur Zielscheibe weltweiter Kritik.

Dass es auch anders geht, zeigt der Pflanzenforscher Howard-Yana Shapiro, der für den amerikanischen Lebensmittelkonzern Mars arbeitet. Mit seinem langen weißen Bart ist er eine imposante Erscheinung. Statt mit Anzug und Krawatte sieht man ihn meist in Jeans und Turnschuhen. Der 69-Jährige sammelt nicht nur Motorräder, sondern vor allem das Erbgut von Pflanzen. Er ist ebenfalls der Meinung: "Eine bessere Forschung kann Millionen Leben retten." Aber die Ergebnisse müssten für alle zugänglich sein und dürften nicht monopolisiert werden, meint er. Weltweit bekannt wurde Shapiro damit, dass er die DNA von Kakao-Pflanzen entschlüsselt und zur Verblüffung der ganzen Agrarbranche kostenlos veröffentlicht hat. Derzeit arbeitet er mit internationalen Forschern daran, das Erbgut der 100 wichtigsten afrikanischen Nahrungsmittelpflanzen zu entschlüsseln, auch diese Ergebnisse will er kostenlos zur Verfügung stellen. Das ist Shapiros Gegenmodell zur Praxis der Agrarindustrie. Seine Botschaft an die großen Konzerne lautet: "Teilt mit uns eure Schätze, so können wir die Zuchtgeschwindigkeit beschleunigen." Darum muss es gehen, um schnellere und bessere Ergebnisse zu erzielen.

Manche befürchten, dass Fusionen wie die von Bayer und Monsanto genau das Gegenteil zur Folge haben werden, und dass sich die Ernährungslage der Menschen nicht verbessern, sondern verschlechtern wird. Davor warnt Felix Prinz zu Löwenstein. Ein solcher Saatgutriese werde die Lage vieler Bauern verschlechtern, meint der Öko-Verbandsmann. "Die Saatgutpreise werden weiter nach oben getrieben, die Monopolisierung des Marktes wird verschärft." Zumindest in diesem Punkt sind sich der Ökobauer und die industrie-freundlichen US-Farmer völlig einig.

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SZ vom 04.06.2016
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