Süddeutsche Zeitung

Abgasskandal:Sieben Jahre Haft für den VW-Manager sind völlig unverhältnismäßig

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Oliver S. wurde zu Recht verurteilt. Die Strafe steht aber für den Frust des Richters - und ein krudes Rechtsverständnis.

Kommentar von Claus Hulverscheidt

Oliver S. hat sich an einer Straftat beteiligt. Er hat die US-Behörden wiederholt über den Schadstoffausstoß von VW-Dieselmotoren belogen und damit, statistisch gesehen, den Tod Dutzender Herz- und Lungenkranker mitverschuldet. Man kann gewiss darüber streiten, wie seriös solche Statistiken amerikanischer Öko-Aktivisten sind. Sie öffnen aber den Blick dafür, dass die Tat von S. nicht folgenlos war und er zu Recht verurteilt wurde.

Das Strafmaß von sieben Jahren Haft allerdings ist völlig unverhältnismäßig. Es speist sich aus dem Frust des Richters Sean Cox darüber, dass der Polizei bisher nur kleine Fische ins Netz gegangen sind. Um dennoch ein Exempel statuieren zu können, hat er S. und dessen Ex-Kollegen James L. zu "Schlüsselfiguren" des VW-Skandals erklärt. Selbst die Staatsanwaltschaft hält das für abwegig.

Im Prozess gegen L. zählte Cox minutenlang auf, was alles für den Angeklagten spricht: sein tadelloses Vorleben, die Reue, seine Mitarbeit bei der Aufklärung. Bei der Strafzumessung jedoch spielte all das plötzlich keine Rolle mehr. Was aber ist das für ein Rechtsverständnis, wenn sich Strafe nicht an individueller Schuld bemisst, sondern Mitläufer stellvertretend für ein von anderen zu verantwortendes, schändliches System den Kopf hinhalten müssen? Wie viele Jahrzehnte Gefängnis will Cox aufrufen, sollte er eines Tages doch noch der tatsächlich Verantwortlichen des Skandals habhaft werden?

Loyal zu einem Arbeitgeber, der keine Loyalität verdient

Es ist schwierig, Straftaten zu vergleichen und zu entscheiden, welches von zwei Delikten das Schlimmere ist. Vergegenwärtigt man sich aber, dass der deutsche Rechtsstaat zum Beispiel Körperverletzung mit bis zu fünf Jahren Gefängnis ahndet, wird deutlich, wie diese sieben Jahre Haft für Beihilfe zum Betrug und zur Umweltverschmutzung einzuordnen sind. Das gilt umso mehr, da andere US-Gerichte sehr viel schonender mit der Autoindustrie umgegangen sind: Mit jenen Managern von General Motors etwa, die tatenlos zusahen, als aufgrund von Schlampereien und Produktionsmängeln mehr als hundert Kunden ums Leben kamen.

S. und L. müssen sich vor allem vorwerfen lassen, dass sie - wohl auch aus Sorge um die eigene Karriere - bis zum Schluss loyal zu einem Arbeitgeber blieben, der längst keine Loyalität mehr verdiente. "Schlüsselfiguren" oder zumindest politische verantwortlich aber waren andere: Martin Winterkorn, der Ex-Vorstandschef des Volkswagen-Konzerns etwa. Während seine einstigen Mitarbeiter jetzt in US-Gefängnissen schmoren, sitzt er weiter daheim und kassiert mehr als 3000 Euro Ruhegehalt. Pro Tag.

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