Süddeutsche Zeitung

Abgase:Bundesregierung muss zum Rapport beim EU-Umweltkommissar

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Von Markus Balser, Berlin

Es dürfte ein ungemütlicher Vormittag werden. Für diesen Dienstag hat EU-Umweltkommissar Karmenu Vella die Bundesregierung, aber auch andere EU-Länder nach Brüssel zum Rapport bestellt. Denn selbst nach jahrelangem Vorlauf halten viele die EU-Grenzwerte für schädliche Stickoxide oder Feinstaub nicht ein. Als Hauptursache gelten die vielen Diesel-Autos und -Lastwagen. Vella nennt dies die "letzte Chance" für Nachbesserungen. Sonst droht Deutschland eine Öko-Klage aus Brüssel.

Noch Mitte Januar hatten Verkehrsminister Christian Schmidt (CSU) und Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) in einem Brief an Vella versucht, eine härtere Gangart Brüssels in letzter Minute zu verhindern. "Wir können Ihnen versichern, dass wir in unseren Bemühungen zur Emissionsreduzierung nicht nachlassen", hieß es dort. Freundlich baten die beiden Minister aus Deutschland darum, "derzeit von weiteren Schritten im Vertragsverletzungsverfahren abzusehen". Um den eigenen guten Willen zu belegen, listeten sie ein "umfassendes Maßnahmenbündel zur Senkung des verkehrsbedingten Luftschadstoffniveaus" auf. Dazu zählen mehr Elektroautos in Städten und die Nachrüstung von Bussen.

Doch noch bevor die Minister in Brüssel eintreffen, bekommt Vella nun schon wieder Post aus Deutschland. Diesmal von den vier Umwelt- und Verkehrsverbänden BUND, Nabu, Deutsche Umwelthilfe und Verkehrsclub Deutschland. Der Tenor des Papiers an die Kommission ist für die eigene Regierung eine Blamage: Die Kommission möge doch bitte gegenüber den Besuchern aus Deutschland hart bleiben. Denn sonst ändere sich wohl nichts an der schlechten Luft für die Deutschen. Anders als die Bundesregierung und die handelnden Minister Hendricks und Schmidt behaupten, seien die aktuell angekündigten Maßnahmen keineswegs Mittel zur Einhaltung der Grenzwerte, monieren die Verbände.

Warnungen auch an andere EU-Staaten

Im Gegenteil: Die Belastungen für Menschen und Umwelt würden über Jahre hinweg zementiert und die gewünschten Erfolge nicht erzielt, heißt es in dem Schreiben. Die Verbände fordern deshalb von der EU, das Vertragsverletzungsverfahren weiterzuführen. Nur solcher Druck könne die Bundesregierung auch zu härteren Maßnahmen bewegen. Für die Bundesregierung bedeutet der Brief bereits die zweite Demontage der eigenen Abgasstrategie. Vor zehn Tagen war bekannt geworden, dass in mehreren nach dem nationalen Diesel-Gipfel einberufenen Expertengruppen heftiger Streit entbrannt ist. So verweigerte die Umweltorganisation BUND die Zustimmung zu einem Abschlusspapier - und verfasste aus Protest ein eigenes. In einer zweiten Arbeitsgruppe, bei der es um die Nachrüstung geht, ist unklar, ob es überhaupt zu einem Abschlussbericht kommt.

Alle vier Organisationen des aktuellen Protestbriefs waren Teil jener Expertengruppen, auf deren teils noch gar nicht vorliegendes Votum sich die Bundesregierung in Brüssel beim Bitten um Milde berufen hatte. Die Ergebnisse der Expertengruppen dokumentierten "die nachhaltigen Anstrengungen Deutschlands zur Verringerung der Stickstoffdioxidbelastungen in den belasteten Ballungsräumen", schrieben die Minister am 9. Januar nach Brüssel. Der Europäischen Kommission zufolge werden in 23 von 28 Mitgliedsstaaten - und europaweit in insgesamt mehr als 130 Städten - die EU-Normen für Luftqualität dauerhaft nicht eingehalten. In Europa gebe es deswegen jedes Jahr mehr als 400 000 vorzeitige Todesfälle. In den Städten sind Dieselfahrzeuge für einen Großteil der Stickoxid-Emissionen verantwortlich. Bereits im Februar 2017 hatte die Kommission wegen der andauernden Überschreitung der Grenzwerte bei Stickoxid eine letzte Warnung an Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien und Großbritannien ausgesprochen.

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SZ vom 30.01.2018
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