Süddeutsche Zeitung

Abgasaffäre:Lex Fiat

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Verkehrsminister Dobrindt will die EU-Abgasvorschriften verschärfen, weil die Italiener angeblich bei ihren Fahrzeugen tricksen. Nicht jeder nimmt ihm das als ehrliches Anliegen ab. Nun wird er im EU-Abgas-Ausschuss befragt.

Von Markus Balser, Klaus Ott und Katja Riedel, Berlin/München

An diesem Donnerstag wird Alexander Dobrindt (CSU) nach Brüssel fahren, der Verkehrsminister wird zum Zeugen. Es dürfte kein Termin sein, den er sich freiwillig in den Kalender eingetragen hätte. Vor dem dortigen Untersuchungsausschuss zur Abgasaffäre soll er aussagen. Und er wird sich dort ähnlich unangenehmen Fragen stellen müssen, wie sie ihn dann im Februar kommenden Jahres in Berlin erwarten. EU-Parlamentarier und Bundestagsabgeordnete wollen in den beiden Ausschüssen herausfinden, welchen Anteil der Staat daran trägt, dass die Autoindustrie, allen voran VW, bei den Abgaswerten getrickst hat. Manche Hersteller also bei den Abgaswerten auch deshalb folgenlos schummeln konnten, weil sie von rechtlichen Spielräumen profitieren, um eigene Abschalteinrichtungen technisch zu begründen.

Dobrindt sind dabei ganz besonders Fiat und dessen Mutterkonzern FCA ein Dorn im Auge, deshalb hat er sich zuletzt immer wieder an Brüssel gewandt - Hilfe suchend. "Deutschland bleibt, auch im Lichte der Ergebnisse der Überprüfungen der italienischen Genehmigungsbehörde, bei seiner Auffassung, dass bei den Fahrzeugen des Herstellers Fiat-Chrysler unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut wurden", hat der deutsche Minister erst vor wenigen Tagen an EU-Binnenmarkt-Kommissarin Elżbieta Bieńkowska geschrieben. Der Brief liegt Süddeutscher Zeitung, WDR und NDR vor. Die Kommission müsse jetzt ihrer Rolle als Hüterin der Verträge nachkommen, fordert Dobrindt darin. Zudem solle Brüssel auch auf eine entsprechende Gesetzesänderung hinwirken. Schon Ende August war durchgesickert: Die deutsche Untersuchungskommission zur Abgasaffäre ist überzeugt, dass auch bei vier Typen des italienischen Autobauers technische Auffälligkeiten vorhanden sind. Sie lassen darauf schließen, dass das Abgas stärker gereinigt wird, wenn der Wagen gerade einen Testzyklus durchläuft, dieses also vorübergehend sauberer ist als im normalen Straßenverkehr.

Tatsächlich sollen unter wirklichen Fahrbedingungen neun bis 15 Mal mehr giftige Stickoxide aus dem Auspuff der Fiat-Dieselautos kommen als bei den Zulassungstests auf dem Prüfstand. Die italienischen Behörden weisen dies bislang zurück. Auf Nachfrage von WDR, NDR und SZ sagte das Ministerium: "Die Untersuchung zeigt, dass die Fiat-Automobile die Standards erfüllen, die derzeit gültig sind." Weder würden zu viele Abgase ausgestoßen, noch sei eine unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut.

Dobrindt und seine Untersuchungskommission sehen das ganz anders. Da die auffälligen Fahrzeugtypen jedoch in Italien geprüft und zugelassen worden sind, kann das deutsche Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) derzeit nichts unternehmen. Das EU-Recht sieht vor, dass nur derjenige Sanktionen verhängen kann, der sie erteilt hat. Im Fall Fiat also Italien. Seit Monaten streiten das deutsche und das italienische Ministerium nun schon. Dobrindt will den Fall nutzen, um auf europäischer Ebene die Vorschriften zu verschärfen, welche die rechtliche Zulässigkeit von Abschalteinrichtungen bei Motoren regeln.

In den USA sind diese gänzlich verboten. In Europa rechtfertigen die Hersteller sie damit, den Motor vor Schäden zu schützen. Auf dieses Argument sollen sich nur noch Hersteller berufen dürfen, deren Motoren dem neuesten Stand der Technik entsprechen. Dobrindt will durchsetzen, dass die EU-Vorschriften dahin gehend verändert werden - nicht jeder nimmt ihm das als ehrliches Anliegen ab. Vor der VW-Affäre habe Deutschland diese Forderung nie erhoben, auch nicht in einer Arbeitsgruppe auf EU-Ebene, sagt der Grüne Europaabgeordnete Claude Turmes. Er wird Dobrindt dazu im Ausschuss als Zeuge befragen. Der Minister wird schon bald wieder nach Brüssel reisen. Die Kommission hat Italien und Deutschland bereits wegen eines Schlichtungstermins kontaktiert.

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Quelle:
SZ vom 20.10.2016
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