Süddeutsche Zeitung

Abgasaffäre bei Volkswagen:450 Ermittler sollen für VW die Schuldigen finden

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Von Max Hägler, Stuttgart

Dem Vorstandschef ist es freilich bewusst, dass die Schuldfrage die Menschen umtreibt. "Auch die Kunden wollen natürlich wissen, wie es zu den Manipulationen kommen konnte", sagte Matthias Müller, als er sich vor knapp zwei Wochen erstmals zu den Motorbetrügereien bei Volkswagen erklärte.

Normale Ingenieure oder doch mächtige Manager? Gewissermaßen: Michael Mustermann oder Martin Winterkorn? Von "individuellem Fehlverhalten und persönlichen Versäumnissen einzelner Mitarbeiter" spricht der größte deutsche Konzern derzeit. Zusammen mit "Schwachstellen in einigen Prozessen" und der Toleranz zu Regelverstößen, habe das die Abgasaffäre ermöglicht; diese Schummeleien, durch die Dieselmotoren auf der Straße weit mehr Dreck ausstoßen, als angegeben. "Schnellstmöglich" wollen sie das in Wolfsburg aufklären. Und ganz genau. Zur Hauptversammlung am 21. April kommenden Jahres in Hannover soll ein detaillierter Zwischenbericht vorgelegt werden. Der wiederum Grundlage des Wandels sein wird, den VW braucht, wie Müller betont.

"Wir haben es mit Taten zu tun, die sich möglicherweise über zehn Jahre erstreckt haben"

Doch wie es aussieht, wird dieser Zwischenstand einen Haken haben: Er wird nicht von unabhängiger Seite untermauert sein. Die staatliche Justiz, die letztlich prüfen muss, was geschehen ist, wer schuld ist, wird diesen Termin nicht halten. Denn das alles ist zu groß, zu umfangreich, um es in wenigen Monaten aufzuarbeiten.

"Wir haben es mit Taten zu tun - mit dem Hauptvorwurf des Betruges -, die sich möglicherweise über zehn Jahre erstreckt haben", sagt Oberstaatsanwalt Klaus Ziehe von der federführenden Staatsanwaltschaft Braunschweig. "Das ist für ein Ermittlungsverfahren ein ungewöhnlich langer Zeitraum." Einer, der die Sache noch einmal komplizierter macht. Und noch sei man quasi in der Findungsphase.

"Einen Zwischenstand können und werden wir angesichts dessen wohl nicht geben - sondern nur ein Ergebnis am Ende", sagt Ziehe im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Ein Ende, das bedeutet: Die Staatsanwälte erheben Anklage gegen den oder die Täter - oder sie stellen, das ist allerdings unwahrscheinlich, die Verfahren ein. Derzeit seien insgesamt elf aktuelle und ehemalige VW-Mitarbeiter unter Verdacht. Namen nennen die Ermittler nicht, aber: Winterkorn ist nicht darunter. Oder, wie Ziehe es formuliert: "Weiterhin ist keine Person der Zeitgeschichte unter den Beschuldigten." Also niemand, der benannt werden müsste, aus öffentlichem Interesse heraus. Kurz nach dem Bekanntwerden des Skandals hatte es einmal gegenteilige Infos aus der Behörde gegeben, seitdem ist die Behörde sensibel bei solchen Erklärungen.

Beim Vorwurf der manipulierten CO₂-Werte könne der weitere Zeitrahmen vielleicht am Ende des kommenden Jahres eingeschätzt werden. Zumal der Fall nicht so groß scheint, wie VW zuerst befürchtet hat. Bei den manipulierten Stickoxid-Werten aber könne sich das "durchaus noch länger hinziehen". Durchaus noch länger, das ist ungefähr das Gegenteil dessen, was Volkswagen lieb ist: Das bedeutet, der Skandal ist länger in den Schlagzeilen - und wenn noch nicht alles geklärt ist, fehlt eben auch ein Baustein für den Wandel.

Wobei die Ermittler sowieso in einem Großeinsatz sind: Ein Zwölftel der Staatsanwaltschaft Braunschweig ist derzeit mit dem Abgasskandal beschäftigt, wie sie - ein wenig im Scherz - vorrechnen: Fünf Leute. Dazu 20 Beamte des Landeskriminalamtes, die die "Soko VW" bilden. Aber es geht eben um Terabytes an beschlagnahmten Daten, E-Mails etwa. Ausgedruckt wären das Tausende Aktenordner. Dazu kistenweise Protokolle und Papiere. Eines der größten Wirtschaftsstrafverfahren in der bundesdeutschen Geschichte.

Auf Seiten von Volkswagen ist damit eine Truppe beschäftigt, die beinahe 20-mal so stark ist wie die des Staates. 450 interne und externe Ermittler forschen nach Schuldigen und spüren nach, welche Prozesse diese Manipulationen ermöglicht haben. Auch sie sichten Akten, "vernehmen" Beteiligte. Angeleitet werden die VW-Revisoren, die Rechtsanwälte der US-Kanzlei Jones Day, die Experten des Wirtschaftsprüfers Deloitte von einem Sonderausschuss des Aufsichtsrates. "Forensische Untersuchungen", würden diese Leute anstellen, heißt es in Wolfsburg. Das klingt beinahe nach Polizei. Man darf derzeit annehmen, dass dem neuen Management um Müller tatsächlich an konkreten Antworten gelegen ist, selbst wenn sie schmerzhaft werden - der Vorstandschef sagt das selbst mit Vehemenz und Leute, die den Laden kennen, glauben ihm das. Und diese Erkenntnisse, so sie denn weitergegeben werden, könnten dann auch den staatlichen Ermittlern helfen. Aber das nimmt denen nur wenig von der eigenen Arbeit ab.

"Wir können uns nicht beklagen über die Zusammenarbeit mit dem Unternehmen VW", sagt Oberstaatsanwalt Ziehe. "Wir bekommen nach unserem Eindruck das, was wir anfordern." Aber natürlich könne und wolle die Staatsanwaltschaft nicht auf die im Auftrag des Konzerns von Rechtsanwälten und der Revision durchgeführten Vernehmungen zugreifen. "Das müssen wir als objektive Strafverfolgungsbehörde schon selbst machen." Zumal, darauf weist Ziehe auch hin, "nicht völlig auszuschließen ist, dass an bestimmten Punkten bei allem Willen zur Transparenz bei VW, auch unserem umfassenden Aufklärungswillen entgegenstehende Interessen bestehen könnten".

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SZ vom 22.12.2015
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