Süddeutsche Zeitung

Kolumne "In aller Munde":Nicht nur für Terrassentrinker

Lesezeit: 2 min

Der richtige Wein für die ersten warmen Abende auf dem Balkon? Natürlich Rosé! Zum Glück ist das nicht der einzige Grund für den Rosé-Boom.

Von Marten Rolff

Früher, als man mit solchen Schablonen noch sorgloser umging, hätte man vermutlich gesagt: Der Rosé ist der Opel Manta unter den Weinen. Weil so gut wie jeder zu diesem Wein eine Meinung hat. Selbst Menschen, die sich für Wein gar nicht interessieren. Die Urteile reichen von euphorisch ("Mittelmeer-Feeling im Glas!") über geringschätzig und diskriminierend ("Leichtgewicht für Frauen und Terrassentrinker") bis vernichtend ("ein Abfallprodukt, das nichts kann"). Und wie so oft, kann der Rosé für all diese Klischees natürlich am wenigsten. Nein, für sein seltsam ambivalentes Image sind wir in großen Teilen selbst verantwortlich.

Da wären die Winzer, die über Jahrzehnte bei schlechten Rotweinjahrgängen riefen: Ach, für einen Rosé taugen die Trauben gerade noch! Da wäre die Europäische Union, die noch bis 2009 ernsthaft vorschlug, für die Rosé-Herstellung das Mischen von Rot- und Weißwein zu erlauben. Ein Dekret, dessen Planung die vielen Pansch-Mythen erst richtig befeuerte, zur Erleichterung rechtschaffener Winzer jedoch nie umgesetzt wurde. Oder da wären die Hollywoodstars, die sich im allgemeinen Sommerweintaumel Weingüter in der Provence zulegten, worauf Ausstoß, Preise, Verdienst und Gier stiegen, der Ruf aber weiter litt. Auch gibt es Menschen - tatsächlich meistens Frauen, - die versuchen, Cuxhaven und Karlsruhe an die Cote d'Azur zu verlegen, weil sie schon im Februar im Freien bonbonfarbene Flaschen bestellen und ihre Stimme dabei aus unerklärlichen Gründen eine halbe Oktave höher rutscht. Und dann wären da noch die Menschen - tatsächlich meistens eine halbe Oktave tiefer sprechende Männer -, die Rosé grundsätzlich als verdächtigen Lollipop-Drink ablehnen, vor allem, wenn er nicht von einem in allen einschlägigen Führern gelisteten Weingut aus Südfrankreich stammt.

Die gute Nachricht ist: Wo diese Klischees heute überhaupt noch vorgetragen werden, darf man sie in der Gewissheit ignorieren, es wieder einmal besser zu wissen als alle Welterklärer. Rosé steht nicht mehr unter Panschverdacht als Weiß- oder Rotweine, er ist weder zwingend leicht noch leichtgewichtig, manchmal erstaunlich lagerfähig, es gibt hervorragenden Rosé aus nachweislich nichtfranzösischen Ländern wie Spanien, Italien oder sogar Deutschland, und er ist längst ein fähiger Speisenbegleiter, etwa für Fisch und asiatische Gerichte. Vor allem aber boomt Rosé enorm, er ist das aktuell am stärksten wachsende Segment auf dem Weinmarkt, sagt zum Beispiel der Nürnberger Weinhändler Martin Kössler. Und das liege nicht daran, dass wir alle dem mediterranen Delirium anheim gefallen wären, sondern nicht zuletzt daran, dass er in den letzten Dekaden kontinuierlich besser geworden sei. Die meisten Kunden, die heute bei ihm nach Rosé fragen, sagt Kössler, seien - Überraschung - übrigens Männer.

Ein Großteil der Rosés entsteht durch Direktpressung (von Rotweintrauben), der Saft lagert für ein paar möglichst zarte Tannine nur noch kurz auf den Schalen, wird dann abgezogen und wie Weißwein ausgebaut. Weil der Klimawandel die Trauben dickschaliger, weniger saftreich und rustikaler und den Wein alkoholhaltiger werden lässt, die Menschen aber allgemein heute lieber leichter trinken, ist Timing bei Rosé alles. Frühe Lese für die richtige Frische der Trauben, ständiges Probieren beim Pressen, um festzustellen, wann Gärstoffe und Alkoholgehalt für die richtige Balance sorgen. All das zu beurteilen, macht die Rosé-Herstellung fast schon zur Kunstform, zumal die zunehmenden Wetterschwankungen das Ernteergebnis immer unberechenbarer werden lassen, der Winzer beim Ausbalancieren also ständig von vorne beginnen muss. Im Idealfall entstehen erstaunlich tiefgründige und dabei nicht zu schwere Weine, die sich übrigens auch ganz wunderbar auf der Terrasse trinken lassen.

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