Süddeutsche Zeitung

Veja-Sneaker:Alles fairstanden

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Zwei ehemalige Investmentbanker produzieren erfolgreich nachhaltige Sneaker, die auch Herzogin Meghan und Emma Watson tragen. Veja zeigt aber auch, wo die Marke an ihre Grenzen kommt.

Von Julia Rothhaas

Sie wussten nichts. Weder über den Anbau von Baumwolle noch über Schuhsohlen, Ösen für Schnürsenkel oder das Färben von Leder. Erfolgreiche Investmentbanker beschäftigen sich nun mal mit anderen Themen. Aber Sébastien Kopp und François-Ghislain Morillion waren wütend, und diese Wut reichte ihnen erst mal als Qualifikation für ihr Projekt. Denn mit einer Idee namens Veja (gesprochen: wehscha) wollten sie ausprobieren, wie man eigentlich einen Turnschuh so produziert, dass niemand darunter leidet: weder die Natur noch die Produzenten noch die Näher. Zuvor hatten sie in China gesehen, welche Versprechen große europäische Firmen machen, um faire Arbeitsbedingungen umzusetzen. Und wie es vor Ort tatsächlich ablief. Diese Erfahrung sei ein Schock gewesen, und mit einer großen Portion Wut im Bauch wollten sie daher etwas auf den Markt bringen, das anders funktionierte. Das war 2004. Seitdem haben die beiden Franzosen nach eigenen Angaben mit ihrem "Projekt" über 4,5 Millionen Paar Schuhe verkauft.

Der schlichte Sneaker mit dem abgeschnittenen V auf der Seite kam genau zu der Zeit auf den Markt, als sich die Fußgängerzonen ohnehin nach und nach mit weißen Turnschuhen füllten. Die wenigsten Kunden dürften sich damals schon dafür interessiert haben, woher die Baumwolle des Veja kommt oder wie das Leder gefärbt wird. Aber weil die beiden Gründer keinen Öko-Schuh herstellen wollten, der nach Öko aussieht ("viel zu moralisch und zu langweilig"), wurde ihr Sneaker cool, lange bevor die heutige Herzogin Meghan oder Emma Watson darin herumspazierten. "Uns war von Anfang an klar, dass wir nicht das fairste Produkt der Welt machen können, ohne an das Aussehen zu denken", sagt Sébastien Kopp Ende Januar auf der Sportmesse Ispo in München. "Deswegen stecken wir genauso viel Zeit ins Design wie in den Produktionsprozess."

Hergestellt wird der Schuh komplett in Brasilien, dort arbeitet Veja mit Produzenten von Biobaumwolle und Naturkautschuk zusammen, die im Vornherein erfahren, wie viel Geld sie pro Kilo mit ihren Produkten verdienen werden. Genäht werden die Schuhe schließlich in Fabriken, die Regeln der Internationalen Arbeitsorganisation ILO befolgen. All das macht den Veja fünfmal teurer in der Produktion als einen üblichen Sneaker. Im Geschäft ist er dann ab 85 Euro zu haben.

"Niemand hat je behauptet, Veja sei perfekt"

Während sich der Fast-Fashion-Markt mit immer neuer Ware in den vergangenen Jahren fast zu Tode gehechelt hat, gibt es bei Veja nur zwei, drei neue Produkte pro Jahr. Und für den ersten veganen Laufschuh "Condor", der mit so wenig Plastik wie möglich und damit ohne Erdöl auskommen sollte im Gegensatz zur Konkurrenz von Nike oder Adidas, haben sie sich vier Jahre Entwicklungszeit genommen, damit er zumindest zur Hälfte aus natürlichen und recycelten Materialien besteht.

Aber kann man dem hohen Anspruch, nachhaltig zu produzieren, noch nachkommen, wenn man Millionen Paar Schuhe verkauft? "Niemand hat je behauptet, Veja sei perfekt", sagt Kopp. Der Grund, warum viele Menschen heute Probleme mit Politikern hätten, sei die Tatsache, dass sie quasi nie einen Fehler zugeben oder sich entschuldigen. "Deswegen ist es uns besonders wichtig, unsere Grenzen aufzuzeigen und Prozesse zu korrigieren, wenn wir merken, dass es nötig ist." Seither veröffentlichen sie auf ihrer Webseite ebendiese Grenzen: Zum Beispiel, dass sie in 2015 und 2016 recycelte Baumwolle verwendet haben, weil es wegen einer Dürre keine Biobaumwolle gab. Dass die Ösen für die Schnürsenkel noch aus Metall sind, weil sie dafür bislang keine gute Alternative gefunden haben. Dass sie zwei Jahre lang Naturfarben benutzt hätten, aber mit dem Ergebnis nicht zufrieden waren und schließlich zu konventionellen Färbemitteln zurückgekehrt sind. Die Transparenz macht die Firma sympathisch, die ihre Anfangszeit als "sehr Ajatollah" beschreibt. "In unseren Augen haben es alle anderen falsch gemacht, wir waren sehr streng ", so Kopp.

Inzwischen setzen sie auf Zusammenarbeit statt Kritik. Um andere Marken zu unterstützen, die ähnliche Produktionsstandards verfolgen, haben sie in Paris in den vergangenen Jahren vier Geschäfte eröffnet, in denen nachhaltige Mode und Biokosmetik verkauft wird und Events zum Thema grüne Energie stattfinden.

Unverständnis gab es aber auch auf der anderen Seite. Dass sie anfangs pro Saison nur 5000 Paar Schuhe herstellten und es sechs Monate dauerte, bis die nächsten geliefert wurden, konnten die Händler nicht verstehen. Warum sie denn nicht in Indien oder China produzieren lassen, da ginge es bestimmt schneller? Aber Kopp und Morillion und ihre Wut im Bauch wollten nur so schnell sein, wie das für sie und die Menschen, mit denen sie zusammenarbeiten wollten, möglich war. Und nicht, wie der Markt es wünschte.

"Natürlich könnte Veja heute locker zehnmal größer sein", sagt Sébastian Kopp. "Aber wir gucken einfach anders auf den Kapitalismus. Wachstum funktioniert nicht unbegrenzt, und nur Geldverdienen macht auf Dauer nicht glücklich." Das klingt etwas keck für zwei Unternehmer, die seit Jahren so viel Erfolg mit nur einem Produkt haben. Aber wenn aus Wut am Ende etwas Schönes und Sinnvolles werden kann, sollte man Investmentbanker ruhig häufiger mal in Fabriken schicken.

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Quelle:
SZ vom 13.06.2020
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