Süddeutsche Zeitung

Kolumne "In aller Munde":Nüsse in Traubensaft

Lesezeit: 2 min

Die georgische Spezialität Churchkhela gehört zu den schlichtesten und ältesten Süßigkeiten der Welt. Nun hat eine Hausfrau aus Kachetien den Trauben-Nuss-Riegel zum Exportschlager gemacht.

Von Marten Rolff

Folgende Situation: Ein enger Verwandter, der im Ausland lebt und etwas heimwehkrank ist, ruft plötzlich an und bittet darum, ihm seine Lieblingskekse zu backen und zu schicken, und zwar möglichst viele, weil er im neuen Freundeskreis davon geschwärmt hat und sie auch verschenken will. Also tut man ihm den Gefallen und fängt an, und weil man gerade sonst nicht viel zu tun hat und es Spaß macht und weil es um ein sehr einfaches, sagen wir, bayerisches Rezept mit Nüssen geht, werden es unvermittelt ein paar Hundert Kekse pro Tag. Die Folge ist Zuspruch von allen Seiten, der ebenso rasant wächst wie die Stückzahl, auch weil es erstaunlicherweise keinen Hersteller gibt, der diese schlichten wie fantastischen Kekse in nennenswerter Qualität im Programm hat. Als man schließlich bei 4000 Keksen pro Tag angelangt und die eigene Küche längst zu klein geworden ist, liegt es eben nahe, eine eigene Keksfabrik zu gründen. Täglicher Ausstoß bald 15 000 Kekse, Tendenz steigend.

Klingt wie eine besonders plump erfundene Geschichte eines Kandidaten der in die Jahre gekommenen Investorenshow "Die Höhle der Löwen"? Mag sein, ist aber ziemlich genau so passiert, wenn es hier auch nicht um bayerische Kekse geht, sondern um Churchkhela (sprich: Tschurtsch-Chäla), eine Art Nussriegel, der üblicherweise handgemacht auf den Wochenmärkten Georgiens verkauft wird.

Zwar ist Churchkhela auch in anderen Ländern des Kaukasus sowie in einigen postsowjetischen Staaten und auf Zypern bekannt, den Georgiern aber gilt dieser schlichte Riegel als ureigene Erfindung und Nationalheiligtum. Zudem ist es mit einem Alter von angeblich mehr als tausend Jahren eine der ältesten Süßigkeiten der Welt, die nun in der außergeorgischen Moderne ankommt.

Für Churchkhela werden Hasel- oder Walnüsse geröstet und an Schnüren in den Saft der säurehaltigen Rkatsiteli-Traube getaucht, der zuvor ohne Zugabe von Zucker zu Sirup eingekocht, wieder mit Wasser verlängert und dann mit etwas Mehl angedickt wurde. Eka Bokolishvili erzählt bei einer Führung durch die von ihr gegründete Fabrik, sie sei eigentlich Hausfrau. Vor ein paar Jahren habe wie gesagt ihr Cousin angerufen und gefragt, ob sie ihm selbstgemachte Churchkhela nach Ungarn schicken könne, wo er arbeitet. 2015 beschloss sie dann, in ihrer Küche ein Business daraus zu machen, 2018 stand die erste Produktionshalle und Investoren übernahmen, fünf Jahre später exportiert die Firma Nugbari im Örtchen Sakobo in Kachetien nahe der Grenze von Aserbaidschan in 25 Länder und darf sich "größter Churchkhela-Produzent der Welt" nennen. Eka Bokolishvili hält an ihrem Start-up heute noch zehn Prozent.

In einem gekachelten Raum reihen zwei Arbeiterinnen in weißen Kitteln zur Demonstration mit Nadel und Faden Haselnüsse aneinander. Ihre Arbeit sieht fast beschaulich aus. So, als würden sie Perlenketten auffädeln. Die vielen Erfolgsmeldungen des CEO bei der Werksführung - "am besten läuft das Geschäft mit den USA, Kanada und Deutschland" - wirken in dem Zusammenhang fast surreal. Allerdings müsse man den rot-bräunlichen Riegel, der optisch an Salami erinnert, anfangs immer sehr gut erklären, in den meisten Ländern sei er gänzlich unbekannt, sagt der CEO.

Fragt man in Georgien, warum Churchkhela in dem Land so beliebt sei, ähneln sich die Antworten: Gesund, nahrhaft, haltbar und leicht, weshalb Soldaten oder Bergwanderer den Riegel über Jahrhunderte bevorzugt als Proviant mitnahmen, ein "georgisches Snickers, nur ohne Zuckerzusatz", wie manche in Tiflis sagen. Ein Lebensmittel, das irgendwie immer schon da war, und das plötzlich so gut in die Zeit zu passen scheint, dass Snickers & Co. immer öfter den Platz im Supermarktregal mit ihm teilen müssen.

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