Süddeutsche Zeitung

Intelligente Mode:Schuhe binden? Zeitverschwendung

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Wenn sich Basketballschuhe selbst zuschnüren: Die intelligenten Kleidungsstücke sind da. Ein Designprofessor erklärt, welche nützen und welche nicht.

Interview von Regina Steffens

Er ist von dem Achtziger-Jahre-US-Film "Zurück in die Zukunft 2" inspiriert, in dem Marty McFly mit seinen sich selbst schließenden Sneakern auf das Hoverboard springt und über die Straße schwebt: Die Sportfirma Nike hat in dieser Woche einen grau-schwarzen Sportschuh vorgestellt, der sich über eine App oder einen Knopf an der Sohle steuern lässt. Per Signal bindet er sich selbst zu, blinkt bunt und merkt sich das Trageprofil seines Besitzers.

Das Modell von Nike ist der zweite Anlauf des Unternehmens, einen intelligenten Schuh auf den Markt zu bringen. Der erste Versuch war für den normalen Nutzer zu teuer, die zweite Version wird von Basketballprofis beworben und kommt im Februar in den USA für 350 Dollar in die Läden. Ein großer Schritt für die smarte Mode, findet der Zukunfts- und Innovationsforscher Ingo Rollwagen. Er unterrichtet "Management in kreativen Branchen" an der Akademie Mode&Design in Berlin.

SZ: Herr Rollwagen, ist es zu viel verlangt, sich vor dem Sport die Schuhe selbst zuzubinden?

Ingo Rollwagen: Einige Menschen sehen das als Zeitverschwendung an, so wie das Zähneputzen - und dann kam die elektrische Zahnbürste. Mit smarter Technologie ausgestattete Kleidung ist deshalb smart, weil sie mich davon befreit, Schuhe binden zu müssen. Die Testgruppe von Nike kam aus dem Silicon Valley, wo diese Haltung ausgeprägter ist als in Deutschland.

SZ: Für 2,10 Meter große Basketballprofis mag es angenehm sein, sich nicht bücken zu müssen, aber für die Hobby-Spieler, die den Schuh kaufen sollen? Brauchen die wirklich Mode, die intelligent ist?

Für sehr relevant halte ich ein Beispiel aus Altenheimen. Studien zeigen, dass alte Menschen zu wenig trinken und dadurch sogar zu Tode kommen können. Also hat man in den Niederlanden Kleidung entwickelt, die den Pflegern farblich anzeigt, ob diese Menschen schwitzen und mehr trinken müssen. Intelligente Mode kann also wirklich helfen. Andererseits kann sie Komfort bieten, oder einfach nur der Ästhetik dienen. Zum Beispiel, wenn ein mit LEDs besetztes Kleid farbig leuchtet. Im Bestfall verbindet Smart Fashion alle drei Komponenten.

SZ: Eine ungarische Designerin hat einen Pullover entwickelt, der aufleuchtet, wenn er sich mit einer Person synchronisiert, die das gleiche Textil trägt,und so die beiden miteinander bekannt macht.

Es ist ja immer schön, wenn Menschen zusammengeführt werden, aber die Grenze zwischen Sinnhaftigkeit und Spielerei ist bei Smart Fashion oft fließend. Vor Kurzem habe ich ein Kleid aus Brasilien gesehen, in das Sensoren integriert waren. Damit hat man nachgewiesen, dass Frauen bei einer Abendveranstaltung 60 bis 80 Mal an Körperstellen berührt wurden, an denen man für gewöhnlich von Fremden nicht berührt werden will. Hier geht es um das Menschenrecht auf Unversehrtheit des Körpers.

Der Nike-Sneaker wurde als "Beginn einer Beziehung" zwischen Mensch und Textil vorgestellt. Was macht smarte Mode mit uns?

Smart Clothing hat hohes Potential, die Beziehung zwischen Kleidungsstück und Nutzer enger werden zu lassen als sonst. Das merken wir schon an Wearables, also an Dingen wie der Apple Watch, die mit uns interagieren und uns ein gutes Gefühl geben. Bisher hat man zu Kleidung immer erst über die Ästhetik oder über die Funktionalität eine Beziehung aufgebaut. In den USA, Mexiko, China oder Japan lassen sich die Menschen schnell auf smarte Mode ein. Die Deutschen tun sich damit schwerer.

Woher kommt die Skepsis?

Bei uns sind Marken wie North Face oder Patagonia gefragt, die witterungsfeste Kleidung herstellen. Die Deutschen haben eher Angst, einen stromleitenden Pullover zu tragen. Ideen wie das Kleid aus Brasilien helfen zwar ein bisschen, diese Hemmschwelle aufzuweichen, aber es gibt noch eine Reihe weiterer Hindernisse: Smarte Mode ist teuer, Datenschutz spielt auch eine Rolle. Man muss in Deutschland und Europa schon sehr stark über Funktionalität punkten. Erst dann kann man an Aussehen und Komfort denken.

Tragen Sie selbst intelligente Kleidung?

Eigentlich nie. Ich habe das Problem, dass mir die meisten Sachen optisch noch nicht gefallen.

Wie fühlt sich ein smarter Pullover an?

Durchschnittlich.

Das heißt?

So wie ein Teil aus natürlichen Fasern kann er sich gar nicht anfühlen. Die Herausforderung bei smarter Kleidung ist, Sensoren oder Kabel nicht bloß an den Stoff zu nähen, sondern sie einzuweben oder Textilien direkt als Stromleiter oder Sensoren zu nutzen. Die Intelligenz in den Fasern verstecken zu wollen, ist ein Ansatz. Um auf den Schuh zurückzukommen: Da muss die Sohle härter sein, um intelligente Bauteile unterzubringen.

Wo nehmen Designer ihre Ideen dafür her?

Die Science-Fiction-Serie Star Trek zum Beispiel ist nicht zu unterschätzen in ihrer Wirkung auf Designer. Es gibt bereits einen smarten Ring, der dem aus Star Treck 2 ähnelt. Und Nike hat sich mit dem neuen Schuh ja anfangs optisch auch an "Zurück in die Zukunft 2" orientiert und jetzt einen ernstzunehmenden Schuh daraus gemacht.

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