Süddeutsche Zeitung

Skimode:Liftstation Sehnsucht

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Ausgerechnet jetzt, wo die meisten Pisten geschlossen sind, gibt es so viel Designer-Skikleidung wie noch nie. Was tun die Marken, wenn der Berg ruft, aber der Lift nicht fährt?

Von Silke Wichert

Im Frühjahrs-Lockdown war einer der häufigsten Hashtags auf Instagram: "All dressed up and nowhere to go." Die Leute brezelten sich auf, was das Zeug hielt, obwohl sie nirgendwohin konnten. Gab ja sonst nicht viel zu tun, aber massenhaft Auswahl im Kleiderschrank. Bei den meisten herrscht dort längst so etwas wie Ganzjahres-Hamstern.

Das modische Motto des Winter-Lockdowns könnte nun lauten: "All geared up and nowhere to ski." Hochgerüstet bis unter die Skispitzen, aber keine offene Piste in Sicht. Denn ausgerechnet in dem Jahr, wo die Lifte in vielen Ländern zubleiben oder, wie in Österreich, vorzugsweise für Einheimische laufen, hat die Modebranche so viel Designer-Skisachen wie noch nie an den Start gebracht. Wir könnten am Berg die Figur unseres Lebens machen (und dafür den Gegenwert einer Familien-Saisonkarte in Kitzbühel versenken) - wenn man uns denn nur ließe.

Designer-Skimode war so gefragt wie nie - bis Corona kam

Gehen wir trotzdem mal das Aufgebot durch, quasi als Trockenübung. Fendi, Chanel oder Stella McCartney haben schon seit Langem Skikleidung im Programm. Neu dabei ist Louis Vuitton, wo der Designer Virgil Abloh im vergangenen Jahr eine "Performance-Linie" namens "LV 2054" für Männer herausbrachte, die nun um Skiwear erweitert wurde und unfreiwillig prophetisch daherkommt: Der bunt changierende Logo-Print sieht farblich wie die Aufnahmen dieser Wärmebildkameras aus, die in Hotels und Restaurants neuerdings die Körpertemperatur messen. Auch von Dior Men gibt es zum ersten Mal Skisachen, von der Brille bis zum Snowboard und silbernem Anorak, alles mit einem deutlichen "Dior"-Schriftzug versehen. Chloé wiederum hat eine Kollektion mit der angesagten französischen Skimarke Fusalp lanciert. Farblich sehr Siebzigerjahre-lastig, Retro-Skihosen mit ausgestelltem Bein inklusive.

Als diese Sachen vor Monaten entworfen wurden, dachten die Firmen freilich noch, ihr Timing könnte nicht besser sein: Der Bedarf nach Designer-Skiwear ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Während am Berg früher nur Marken gefragt waren, die sich mit Eis und Schnee auskannten, wollen viele nun auch hier modisch unterwegs sein. Online-Boutiquen wie Mytheresa oder Net-a-porter führen deshalb mittlerweile eigene Ski-Abteilungen auf ihren Seiten, die ungefähr im gleichen Tempo wachsen wie die Pistenkilometer in den Alpen. Gleichzeitig haben Outdoor-Spezialisten wie Woolrich oder Moncler ihrerseits zugelegt und bringen laufend Designer-Kooperationen auf den Markt. Die kunstvollen Entwürfe für "Moncler Genius" von Valentino, JW Anderson oder Simone Rocha sind zwar nicht immer wirklich pistentauglich, machen aber überdeutlich, dass die Daunenjacke vollends zum Designobjekt geworden ist.

Aber wer braucht den ganzen Kram, wenn Winterzauber dieses Jahr weitgehend gestrichen ist? Sportfachhändler wie Intersport erwarten bereits ein hohes zweistelliges Minus im Bereich Alpinski, Eissport und Rodeln für diese Saison. Lediglich Tourenski gingen plötzlich durch die Decke, heißt es vom Verband Deutscher Sportfachhandel. Auf einen Alpinski würden teilweise zehn Paar für Skitouren verkauft. Wenn der Berg ruft, der Lift aber nicht kommt? Steigt man eben selbst hoch.

Gucci verkündet bereits: Das wahre Abenteuer liegt im Kopf!

Womöglich inszenieren Marken wie Fendi ihre Ski-Werbung deshalb gerade betont urban: Die Models stehen am Gleis einer Zugstation, die Strecke könnte natürlich irgendwo in den Schnee führen, die sonst obligatorische weiße Pracht ist aber weit und breit nicht zu sehen. Erhoffter Subtext: Saukalt kann es im Winter überall werden, selbst am zugigen S-Bahn-Steig Tutzing schadet so eine gelb-schwarze Latzhose aus Softshell nicht. Gucci bewirbt seine neue Kooperation mit The North Face einfach gleich mit dem "Spirit of Exploration". Der Entdeckergeist muss nicht immer wortwörtlich an abgelegene Orte führen, sondern kann auch "in metaphorischem Sinne" verstanden werden, sagt der Designer Alessandro Michele. Das wahre Abenteuer liegt also im Kopf, und dort sieht es mit Old-School-Bergsteigerschuhen und Mustern aus den Firmenarchiven wieder extrem nach den Siebzigern aus.

Der allgemeine Nostalgietrend, der sich durch die gesamte Popkultur zieht, weil die Welt früher noch so schön in Ordnung war, macht auch vor der Skimode nicht halt. Das könnte aktuell sogar ein Stück weit ihre Rettung sein: Auf Flohmärkten und bei Vintage-Händlern sind die neonbunten Elho-Jacken aus den Achtzigern wieder gefragt - und zwar weniger, um sie auf der Piste, sondern vor allem, um sie auf der Straße anzuziehen.

Auch die Skisachen von Jet Set, jener Marke, die 1969 in St. Moritz gegründet wurde und aktuell von Designer Michael Michalsky wiederbelebt wird, werden bevorzugt "off piste" getragen. Denn die engen "Magic Ski Pants" machen beim Après-Ski und auch ganz ohne Sport eine ziemlich gute Figur. Anoraks mit buntem, marmoriertem Tie-Dye aus den Achtzigern sollen einen auch ohne Liftbetrieb in höhere Sphären befördern. Skikleidung mit Retro-Touch kann auch ohne Berg ein Statement sein. Noch ein Motto für diesen seltsamen Winter: Es gibt keine falsche Kleidung, nur die richtige Einstellung.

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