Süddeutsche Zeitung

 Italien:Wie sexy darf eine Bäuerin sein?

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Eine Skulptur soll der literarischen Figur der Ährensammlerin von Sapri gedenken, die historische Rolle von Frauen in der italienischen Geschichte würdigen. Das Denkmal ist schön geworden. Zu schön.

Von Francesca Polistina

Es gibt kaum eine italienische Stadt, in der ihre Namen nicht irgendwo auf einem Straßenschild prangen: Giuseppe Mazzini und Giuseppe Garibaldi, die patriotischen Helden des Risorgimento, jener Zeit, die 1861 zur Einheit Italiens führte, sind im Lande immer noch allgegenwärtig. Anders die Frauen dieser Zeit: In der fast sechzig Jahre dauernden Epoche spielten sie kaum eine Rolle - zumindest in der späteren Wahrnehmung. Umso größer war die Freude, als die süditalienische Gemeinde Sapri zur Einweihung einer Bronzefigur lud - ausnahmsweise mal kein Mann, sondern eine Bäuerin des Risorgimento. Bis man die Statue sah.

Sapri ist ein Dorf mit nicht mal 7000 Einwohnern, ein touristischer Ort am Tyrrhenischen Meer, in der Literatur ist er vor allem wegen seiner Ährensammlerin bekannt, auf Italienisch "spigolatrice di Sapri". In den Versen des Dichters Luigi Mercantini erlebt die Ährensammlerin zufällig das Ankommen des Risorgimento-Kämpfers Carlo Pisacane im Dorf. Dieser hatte die Bauern zum Aufstand gegen die herrschenden Bourbonen aufgerufen. Die Bäuerin verlässt die Arbeit auf dem Feld und folgt seinen Truppen, wenn auch mit gebührendem Abstand.

Die Ährensammlerin ist also keine historische, sondern eine literarische Figur, jedoch eine, die die vielen armen, patriotischen und dennoch von der Geschichte vergessenen Bäuerinnen im Land gut symbolisiert und gleichzeitig daran erinnern könnte, dass es im Risorgimento durchaus auch Frauen gab.

"Eine Ohrfeige für die Geschichte und die Frauen"

Am 25. September wurde die Statue der Ährensammlerin auf der Seepromenade von Sapri mit einer großen Feier eingeweiht, unter den Gästen auch der ehemalige Ministerpräsident Giuseppe Conte. Es dauerte nicht lange, bis die Ährensammlerin in ganz Italien Berühmtheit erlangte - allerdings in anderer Form, als sich dies der Ort vermutlich gewünscht hätte. "Eine Ohrfeige für die Geschichte und die Frauen, die immer noch nur sexualisierte Körper sind", schrieb etwa Monica Cirinnà, Senatorin der Partito Democratico, auf Twitter unter das Foto der Bronzestatue. In allen Medien des Landes wurde plötzlich die Frage diskutiert: Wie soll man eine Bäuerin aus dem 19. Jahrhundert inszenieren? Sein Schöpfer tat es ohne Pferde oder heroische Gesten, wie sonst bei den männlichen Zeitgenossen üblich. Stattdessen steckte er die Sammlerin in ein hautenges Kleid, das vom Wind umspielt die perfekten Kurven der Frau hervorhebt, was in den sozialen Medien sogleich die Frage aufwarf: Trägt die Bäuerin einen String-Tanga?

Nun könnte man einwenden: Was soll die ganze Aufregung? Italienische Museen sind voll von nackten Statuen, mit Brüsten oder Gesäßen ist jedes Kind, das auf Klassenfahrten schon mal eine römische Antikensammlung besucht hat, ziemlich vertraut. Das Problem, entgegneten Kritikerinnen, sei nicht der figurbetonte Körper an sich, sondern eher dessen Darstellung. Während männliche Statuen - man denke nur an den legendären nackten David von Michelangelo - meist auch ohne Klamotten strotzen vor Selbstbewusstsein, Kraft und Charakter, bedient die Ährensammlerin von Sapri die üblichen Stereotype. Die Statue bilde keine selbstbestimmte Frau ab, sondern verlagere den Fokus auf die Ästhetik und den Körper, so die Kritik. Und in der Tat: Ihre ganze Figur erinnert eher an Kim Kardashian als an eine Bäuerin des 19. Jahrhunderts. Ihr Blick ist sinnlich, die rechte Hand erteilt keine Befehle, sondern hält das Gewand (keine Uniform) an der Brust. "Die Statue ist eine Beleidigung der Frauen und der Geschichte, die sie zelebrieren sollte", schrieb Laura Boldrini, ehemalige Präsidentin der Abgeordnetenkammer, auf Twitter und nannte den Machismo eines der Grundübel Italiens.

Der Künstler Emanuele Stifano verteidigte indes die Kunstfreiheit und gab zu Protokoll, er hätte die Frau am liebsten sogar nackt realisiert, "weil ich den menschlichen Körper im Allgemeinen liebe und gerne daran arbeite". Er habe mit der Statue keine Bäuerin aus dem 19. Jahrhundert treu wiedergeben, sondern eher "ein Frauenideal darstellen" wollen. Auch der Bürgermeister von Sapri betonte, die Statue sei vom Künstler "mit Geschick gefertigt" und "tadellos interpretiert" worden und bleibe jetzt dort, wo sie sei - trotz aller Diskussionen. Man hoffe, dass die Statue künftig noch mehr Touristen in den Ort ziehe.

Es ist nicht das erste Mal, dass eine Statue in Italien so viele Diskussionen hervorruft. Ein weiteres Beispiel ist etwa das Denkmal von Indro Montanelli in Mailand, das seit mehreren Jahren kritisiert wird. Dabei geht es nicht um den Frauenkörper, sondern um einen Mann, einen berühmten Journalisten, der während des faschistischen Kolonialismus ein Mädchen aus Eritrea zwangsheiratete und versklavte. Auch damals waren es Feministinnen, die zunächst laut protestierten, auch damals passierte erst mal nichts. Die Statue ist immer noch da, so wie die der Ährensammlerin. Doch im gesellschaftlichen Diskurs bewegt sich etwas: Immer mehr Italienerinnen rebellieren gegen jenes Frauenideal, ein vorwiegend männliches Konstrukt.

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