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Netzwerk "Kitchen Gardeners International":Wenn aus Gartenbesitzern Gemüsegärtner werden

Lesezeit: 4 min

Wie verhilft man seiner Gartenbau-Initiative zu medialer und gesellschaftlicher Aufmerksamkeit? Roger Doiron drückte der First Lady einen Spaten in die Hand. Der Amerikaner will mit seinem Netzwerk "Kitchen Gardeners International" aus Gartenbesitzern Gemüsegärtner machen. Ein Besuch.

Harald Hordych

Roger Doiron steht in seinem Garten wie ein Mann, der dort nicht hingehört. Er steht dünn wie ein Stück Papier zwischen Gemüsestauden, die ihm glatt über den Kopf wachsen. Solche Naturgewalt verlangt sonst nach Mannsbildern, die aussehen wie die Burschen aus der Baumarktwerbung: Wetterfeste Multifunktionsmänner.

Roger Doiron lächelt dagegen feinsinnig aus seinem Gemüsewald. Und sein Lächeln sagt: Auch ein Mann, der aussieht wie ich, ist hier am richtigen Platz. Wenn es nach Doiron geht, dann sollte jeder, der über Grund und Boden verfügt, seinen eigenen Nutzgarten haben. Jeder Garteninhaber wäre dann nicht nur Rasenpfleger, sondern das, was man früher ganz selbstverständlich auch war: ein Gemüsegärtner, der ganz nebenbei sich und seine Familie mit Nahrung versorgte.

Deshalb hat Roger Doiron, 45, Kitchen Gardeners International ( kgi.org) gegründet. "Think global, eat local", sagt Doiron, während er seinen Garten in der gepflegten Kleinstadt Scarborough südlich von Portland/Maine vorführt, in dem 50 verschiedene Obst- und Gemüsearten angepflanzt sind.

Wie früher bei Oma sieht das nicht aus

Auch wenn sich schon 25.000 Menschen aus mehr als 100 Ländern dem Netzwerk angeschlossen haben - Doiron genügt ein Blick über den Zaun, um daran erinnert zu werden, dass die Gartenrevolution noch nicht überall angekommen ist: In den nachbarlichen Miniaturparks stehen große Bäume, hingetupft auf leeren Rasenfächen; Geleitschutz geben Sträucherreihen. Platz wäre genug da, aber wie früher bei Oma auf dem Land sieht das nicht aus.

Doiron ist schon froh, dass sich keiner über seinen Öko-Dschungel beschwert und dass die Nachbarn gern zugreifen, wenn seine beiden Söhne vor dem Haus selbstgezogenes Gemüse und Obst feilbieten.

Hinter dieser privaten Idylle steht eine Initiative, die es seit fast zehn Jahren gibt. Anfang 2003 gründete Roger Doiron hier in Scarborough, wo er nur ein paar hundert Meter entfernt aufgewachsen war, eine Organisation, die eine einfache Idee populär machen sollte. Doiron wusste genau, worauf er sich einlässt, auch wenn er die Sache zunächst "mehr als Hobby denn als Beruf vorantrieb". In den Neunzigern hatte er in Brüssel das Europa-Büro von "Friends of the Earth" geleitet. Für Umweltorganisationen arbeitet er auch nach seiner Rückkehr nach Amerika als Mitarbeiter weiter, und irgendwann fielen ihm die vielen großen ungenutzten Rasenflächen auf. Er begann zu überlegen, "wie man Leute dazu bewegen kann, ihr eigenes Gemüse anzubauen und so zum Teil einer großen Bewegung zu werden und sie zusammenzubringen, damit sie erkennen, dass sie gemeinsam eine bedeutende Ressource darstellen".

Als Umwelt-Lobbyist kann Doiron die Gründe dafür runterrasseln, zum Beispiel, dass jedes einzelne Nahrungsmittel in den USA im Durchschnitt 1500 Meilen bewegt wird, bevor es auf dem Teller des Konsumenten landet. Doiron betont, dass es Sinn macht, wenn frisches Obst in Kalifornien produziert wird und Getreide im mittleren Westen - "aber warum muss grüner Salat von der Westküste hergeschafft werden?" Doiron redet schnell, mit Biss und mit Charme. Und der Erfolg von KGI macht ihm das Reden offenbar noch leichter.

Der entscheidende Schritt in Richtung (kleine) Massenbewegung ist legendär. Jahrelang fehlte Doiron das Geld, um die Öffentlichkeit zu mobilisieren, er brauchte eine gewaltige PR-Aktion. Da erinnerte er sich daran, dass einmal eine First Lady vor dem Weißen Haus einen Gemüsegarten angelegt hatte, Eleanor Roosevelt. Danach hatte es mehrmals den Versuch gegeben, erneut einem solchen Gärtchen als Symbol für gesunde Ernährung Leben einzuhauchen, aber weder Bush senior noch Clinton seien dazu bereit gewesen.

Wenn Doiron nun davon erzählt, wie es ihm mit einer nur 4000 Dollar teuren Kampagne und einer Petition, die 118.000 Menschen unterschrieben, gelungen sei, ist es, als wenn er von einem gewonnenen Krieg erzählt: "Das Glück war, dass die brandneue Administration Ende 2008 noch nicht die Mauern errichtet hatte, um Leute wie mich aufzuhalten. Ich brauchte dringend einen direkten Kontakt zu ihr." Im März 2009 tat Michelle Obama den ersten Spatenstich, in dem Wissen, dass es sich um ein Politikum handelt, wie sie Doiron zu verstehen gegeben hatte. "Weil die Nahrungsmittellobby Sturm gelaufen wäre, wurde es kein offizieller Bio-Küchengarten", erzählt er etwas betrübt.

Egal, Roger Doiron hatte seinen Gemüsegarten vor dem Weißen Haus, vor allem ein Medienecho mit 500 Artikeln in nationalen und internationalen Zeitungen. Seitdem sind drei Jahre vergangen, in denen nicht nur Michelle Obamas Küchengarten größer geworden ist, vor allem ist das Netzwerk Kitchen Gardeners International auf einem guten Weg, wie Doiron sagt, "eine starke Stimme für Gärtner zu werden".

"Es sieht einfach wunderschön aus!"

Die brauchen nämlich nicht nur prima Ratschläge auf der bunten Website KIG.org, wie man hausgemachtes Sauerkraut herstellt. Sie haben mehr Solidarität nötig, als man glaubt, weil es einfacher sein kann, vor dem Weißen Haus Salat anzupflanzen als auf dem eigenen Grund.

In der kanadischen Provinz Quebec verhinderte bislang eine Verordnung, dass mehr als 30 Prozent einer privaten Gartenfläche als Anbaufläche genutzt werden dürfen. Mit einer Petition wurde diese Verordnung gekippt. Noch spektakulärer ist der Fall von Adam Guerrero, "der gerade zum Märtyrer und Helden der Bewegung aufgebaut wird", wie Doiron unverhohlen zugibt.

Der Mathematiklehrer wohnt in Memphis mit seiner Familie in einem Haus. Ausreichend Platz für seine gärtnerischen Pläne bot aber nur der Vorgarten. Die Gemüsereihen, die er dort pflanzte, empfanden auch seine Nachbarn als nachhaltig, allerdings nur als nachhaltige Störung des vorgeschriebenen Einheitsbildes. Ein Richter verurteilte den Mann dazu, den Vorgarten wieder zum Ziergarten zurückzubauen, unter Androhung einer empfindlichen Geldstrafe. 500 Menschen schrieben an den Richter und baten ihn, sein Urteil zu überdenken. Der hatte ein Einsehen und ließ dem Mann den verwuschelten Vorgarten.

Doiron grinst schelmisch. Für ihn ist selbstgezogenes Gemüse nicht nur für unser Klima und unsere Ernährung gut. "Es sieht einfach wunderschön aus!"

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Quelle:
SZ vom 20.10.2012
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