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Trends in Mailand:Zuversicht? Sehr in Mode

Lesezeit: 4 min

Mailand hat eine rein digitale Fashion Week präsentiert, die trotzdem viel Lust macht auf die Kollektionen für den kommenden Herbst und Winter. Das liegt an Signalfarben, virtuoser Schneiderkunst und Selbstbewusstsein all'italiana.

Von Anne Goebel

Modewochen sind das große Schaulaufen, auf dem Runway, in den Zuschauerreihen. Auch die Wahl des Ortes: ein einziger Wettstreit. Unter normalen Umständen muss der Rahmen einer Show maximal ausgefallen, arrogant und kostspielig sein. Mal wird ein ganzes Flughafenterminal gesperrt, oder man legt künstliche Sommerwiesen an aus Tausenden Blütenköpfen und baut ein andermal eine Raketenabschussrampe nach. Alles da gewesen in Mailand oder Paris. Noch bevor Model Nummer eins seinen schlanken Fuß auf den Laufsteg setzt, hat das Publikum bitteschön geplättet von der Location zu sein, auch wenn sich das natürlich niemand anmerken lässt. Das war die wichtigste Regel früher.

Tempi passati, was ist schon normal in Zeiten des Virus und übler Mutanten? Wichtigste Regel heute: Mit der Schau ein Zeichen setzen, das irgendwie über die Kleider hinausweist, auch wenn alles nur als kalter Film vor eingeloggten Gästen abläuft. Anfang der Woche ist die Fashion Week in Mailand zu Ende gegangen, als rein digitales Format ohne Publikum. In punkto Symbolik gab es einen klaren Gewinner. Valentino zeigte seine Kollektion im "Piccolo Teatro", einer Art Heiligtum der italienischen Kulturszene. Das war ein geschickter Schachzug: Leichte Muse und hehre Kunst halten zusammen, solche Harmonie-Botschaften kommen an in schweren Zeiten. Ansonsten machten die Italiener wenig Aufhebens um die Form ihrer Präsentationen, oft einfach abgefilmte Laufstegschauen - was natürlich auch schon wieder ein Signal ist. Wir brauchen keinen digitalen Firlefanz, sondern sind auch so selbstbewusst - Mailand ist "back in business". Was zählt (und sich auszahlt), sind verlässlich virtuose Kollektionen, luxuriöse Verarbeitung, Tragbarkeit. Davon gab es für kommenden Herbst und Winter so viel zu sehen, dass sich sogar vor dem Bildschirm ein Gefühl einstellte wie sonst nur an einem echten Vorfrühlingsabend auf der Piazza Duomo: Beschwingtheit.

Optimismus

Wie sieht die Zukunft aus, im Herbst 2021? Weil Prognosen so schwer sind, setzt die Mode auf Leichtigkeit - in Form von leuchtenden Farben. Violett von Lavendel bis Purpur, Smaragd und Orange: Die Palette in Mailand war schon lange nicht mehr so optimistisch knallig. Für Tod's zeigte Walter Chiapponi gebauschte Lederblousons mit schmaler Taille in Himmelblau, sein Kollege Paul Andrew von Salvatore Ferragamo hat gleich die ganze Kollektion "Future Positive" betitelt. Da gab es pudrige Fliedertöne neben Grasgrün, dazu Pumps mit kantiger Spitze, metallisch schimmernd. Das sind keine Schuhe, um zu Hause vor dem Spiegel zu posieren - sie gehören ausgeführt! Die Lust, endlich wieder sorglos auf die Straße zu gehen, war in vielen Entwürfen spürbar. Am raffiniertesten hat Prada diese Sehnsucht umgesetzt. Mit anliegenden Bodysuits und strumpfartigen Stiefeln einerseits, die den Körper wie ein gemusterter Kokon umschließen. Dagegen steht der signalgelbe Mantel aus geripptem Stoff, Prunkstück der viel bejubelten Kollektion von Miuccia Prada und Raf Simons, für maximale Offenheit. Die weit klaffenden Ärmel, der tiefe Ausschnitt, die kühne Farbe, so elegant kann Bewegungsfreiheit aussehen.

Fass mich an

Als Gast im digitalen Schauenkalender lernt man ja so langsam, sich trotz ruckelnder Zoom-Filme eine ungefähre Vorstellung zu machen von den Materialien einer Kollektion. Doch nichts ersetzt das Befühlen. Genau diesen Wunsch nach Taktilem in einer eindimensional gewordenen Welt haben die Designer glasklar erkannt und servierten ihren Kundinnen verlockende 3-D-Häppchen: Hier ein fluffiger Mohairpullover, dort wulstig genopptes Leder oder metallbesetzte Taschen. Wer da seinen Tastimpuls nicht kontrollieren kann und die Hand ausstreckt, bekommt doch wieder nur das enttäuschend flache Display unter die Finger. Eine sehr geschickte Masche, um den Kaufanreiz zu beschleunigen. Besonders gut gelang das in Mailand: Etro und seinen gepolsterten Paisley-Entwürfen. Den wolligen Fellquasten von Fendi und Pradas superflauschigen Kunstpelzmänteln. Bestseller dürften die Stiefel von Valentino werden, schön zu Capes und mit fein strukturierter Oberfläche, in der weißen Variante Elfenbeinschnitzereien ähnlich.

Parallelwelten

Das Corona-Leben besteht aus Regeln und Kontrolle - kein Wunder, dass es manchmal zu Entladungen kommt wie dem spontanen Freiluft-Rave vor ein paar Tagen in Mailands Kreativviertel Navigli. Das Ganze war schnell wieder vorüber. Da haben sich Domenico Dolce und Stefano Gabbana schon im größeren Umfang befreit von gewohnten Mustern. Ihre Herbst-/Winterkollektion war ein einziger Neunzigerjahre-Rausch, und schriller trash ist bisher kein Hauptmerkmal des Duos gewesen. Oversize-Schnitte, Folienstoffe, Radlerhosen: Mit einer nostalgischen Spaßgarderobe für die Generation Tiktok haben sich Dolce&Gabbana eine radikale Verjüngungskur verordnet. Ebenfalls rückwärtsgewandt gab sich Jeremy Scott bei Moschino mit einem Film, in dem Dita von Teese oder Amber Valletta seine Entwürfe zwischen Pappkulissen präsentierten wie in den Fünfzigerjahren. Zweimal Retro-Ironie - ein gutgelaunter und absolut risikofreier Ausbruch aus dem Ernst der Lage.

Fein gemacht

Das letzte Mal richtig ausgehfein? Ist bei den allermeisten sehr lange her. Sich für die Hochzeitsfolge von "The Crown" im Cocktaildress vor den Bildschirm zu setzten, ist ja auch irgendwie albern. In Mailand gab es jetzt so auffallend viele Abendkleider, als wollten die Designer mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln einfach mal Fakten schaffen: Pailletten, Fransen, transparente Stoffe - im Herbst wird wieder gefeiert. Es war zuletzt viel vom veränderten Kaufverhalten die Rede, der Vorliebe für Zeitloses. Kim Jones hat das in seinem gespannt erwarteten Prêt-à-porter-Debüt für Fendi perfekt mit Festlichkeit zusammengebracht. Seine mehrlagig fließenden Kleider aus rauchiger Seide, der raffiniert zerlegte Smoking mit entblößten Schultern, das sieht auch in ein paar Saisons noch glamourös aus. Pierpaolo Piccioli, der italienische Lokalmatador, verpasste derweil bei Valentino den bodenlangen Spitzenkleidern und geklöppelten Stehkragen mit Nietenriemen und Boots eine Spur Edelpunk. Das war, trotz menschenleerer Ränge im Piccolo Teatro, großes Theater.

Starke Weiblichkeit

Die angestaubte "Rocksaumtheorie" - mehr Kürze bei glänzender Wirtschaftslage - ist vielfach widerlegt, für simple Regeln sind Trends auch viel zu wankelmütig geworden. In Mailand war Mini jedenfalls unübersehbar, was in diesem Fall mehr mit der Hoffnung auf ein Herausarbeiten aus einer großen Krise zu tun hat als mit ihrem tatsächlichen Ende. Und vielleicht auch mit der Zurückeroberung modischer Codes, die in der Folge von "Me Too" und weiblichem Empowerment verdächtig schienen. Hautenges, Superknappes, geht das überhaupt noch? Offenbar ja, wenn man sich die Saumlängen der Röcke und Shorts oder die Schlauch-Strickkleider so ansieht. Am Ende kommt es immer darauf an, von wem und vor allem wie die Körperbotschaft rübergebracht wird: Als Zeichen der Stärke oder als Zugeständnis an den männlichen Blick. Was im 21. Jahrhundert keine Frage mehr sein sollte.

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