Süddeutsche Zeitung

Legendäre Modedesigner:Dafür stehe ich mit meinem Namen

Lesezeit: 6 min

Was haben Vivienne Westwood, Jil Sander, Calvin Klein und Giorgio Armani gemeinsam? Sie sind gleichzeitig Designer und ihre eigene Marke. Eine Würdigung dieser aussterbenden Art.

Von Anne Goebel und Silke Wichert

Ewig, edel, schlicht: Giorgio Armani

Zeitlos? Klar ist Giorgio Armani zeitlos, der Designer sieht schließlich Jahr um Jahr vollkommen unverändert aus, nämlich blendend. Schlank, gebräunt, die eisblauen Augen, das Haar so weiß wie die Sneakers - wie auch immer der 86-Jährige das hinbekommt, er ist ein Monument seiner selbst. Und in Italien, das muss man nicht dazusagen, ein Heiliger. Oder besser gesagt "re Giorgio", König Giorgio. Was seine Mode betrifft: Warum etwas umkrempeln, das läuft wie am Schnürchen? Seit der Mann mit dem abgebrochenen Medizinstudium 1980 als Newcomer spektakulär die ganz große Modebühne betrat mit den hypermaskulinen Looks für Richard Gere in "American Gigolo", spielt Armani virtuos sein Mantra durch: Schlicht. Edel. Und: Die Linienführung macht's! Nur wenige beherrschen die Kunst der perfekten Silhouette wie er. Armani verkleidet Frauen und Männer nicht, sondern lässt sie zur Geltung kommen. Dazu braucht er keine modischen Ablenkungen wie Zierrat, Signalfarben, bunte Muster, dafür aber: starke Charaktere. Nicht ohne Grund ist eine androgyne Powerfrau wie Cate Blanchett seinem Haus treu verbunden, in früherer Zeit hätte er wahrscheinlich Katharine Hepburn oder Lauren Bacall eingekleidet. Sein Imperium umfasst mehrere Modelinien, dazu Hotels, Restaurants, Möbel. Nachfolge? Darüber wird immer mal wieder spekuliert. Aber wie es aussieht, sitzt der König fest auf dem Thron.

Zwischen Ranch und den Hamptons: Ralph Lauren

Man könnte diesen Mann auch "offizieller Ausstatter des amerikanisches Traums" nennen. Der als Ralph Lifshitz 1939 geborene Sohn weißrussischer Einwanderer wuchs in der New Yorker Bronx auf, und all das, wozu er selbst damals keinen Zugang hatte, stellte er sich eben umso leuchtender vor: Also nannte er sein mit extravaganten Krawatten gestartetes Unternehmen Ende der Sechziger "Polo", obwohl er selbst noch nie ein Polomatch gesehen, geschweige denn gespielt hatte. Er kannte ja das dazugehörige Image - Avantgarde, Glamour -, und genau das sollte seine Marke mit dem Pferdchen vermitteln. Später stattete Lauren die Filme "Der große Gatsby" und "Annie Hall" mit Anzügen aus und schuf für seine Kollektionen gleichsam Hollywood-Filmwelten, in die sich die Kunden hinträumen durften. Noch heute transportiert jeder Laden, jede Werbung diese überattraktive, uramerikanische RL-Welt zwischen Ranch und Haus in den Hamptons. Im Streetwear-Wahn der Modewelt hat dieses Image zuletzt ein bisschen verloren, vor allem fehlt es an einer vielversprechenden Nachfolgeregelung. Sohn David ist zwar mittlerweile Vize-Chef, hatte aber nie mit der kreativen Leitung zu tun. Die wahre Ralph-Lauren-Saga ist eben vor allem: eine One-Man-Show.

Wild und visionär: Vivienne Westwood

In diesem Monat ist Vivienne Westwood achtzig geworden, und die Geburtstagsartikel hatten alle etwas Atemloses an sich. Die Frau mit der inzwischen schlohweißen Hochsteckfrisur, Dame of the Empire und seit gut fünf Jahrzehnten in der Branche, ist auf eine Rolle abonniert: das wildeste Gewächs im Modebetrieb zu sein. Und so eine schillernde Zuschreibung bedeutet eben auch: bloß nicht festlegen. Zwischen dem Beginn 1971 mit einer Boutique namens "Let it rock" in der Londoner Kings Road bis zur Protestfahrt als Umweltaktivistin auf einem gepanzerten Wagen zum Haus des Premierministers vor ein paar Jahren ist also einiges passiert. Vivienne Westwood hat der Punkrock-Bewegung ihre schönsten Gegen-alles-Gewänder geschneidert, als Neuromantikerin eine legendäre Piratenkollektion vorgelegt, ihre coolen Entwürfe aus Tweed, dem britischsten aller Stoffe, waren gleichzeitig Hommage und Persiflage. Kate Moss lief topless und mit Rokoko-Make-up über ihren Laufsteg, Naomi Campbell stürzte mit 23-Zentimeter-Plateauschuhen - langweilig war es nie bei der rothaarigen Designerin. Dass sie seit einigen Saisons ihre Mode und ihren Einfluss gemeinsam mit ihrem Kreativ- und Lebenspartner Andreas Kronthaler vor allem nutzt, um gesellschaftlich Einfluss zu nehmen, stimmt zwar einerseits. Aber modisch haben die beiden immer noch viel zu sagen. Man nehme die visionäre Kollektion "Unisex" von 2015, Kerle in Röcken - heute ist der neue Mann in aller Munde. Vivienne Westwood nahm sich des Themas auf ihre Weise an, was nichts anderes bedeutet als: früher als alle anderen.

Die Comeback-Queen: Jil Sander

Jil Sanders Mode wird gern als zeitlos beschrieben, die Karriere der Designerin selbst ist allerdings eher ein ständiges Kommen und Gehen. Ihre eigene Marke verließ sie gleich zweimal, um 2012 ein letztes Mal zurückzukehren. Aktuell ist die 77-Jährige mal wieder "da": Mit ihrer äußerst erfolgreichen +J-Kollektion für die japanische Kette Uniqlo, wo sie seit 2009 eigentlich auch schon zweimal weg war. Die Hamburgerin Heidemarie Jiline Sander arbeitete nach dem Textil-Studium zunächst als Redakteurin bei Modezeitschriften, bevor sie 1968 ihr Label gründete und in den Achtzigern und Neunzigern zur "Queen of Less" avancierte. Und was war sie für eine Erscheinung! Diese Frau in ihren lässigen Anzügen, mit dieser Frisur, mit einem wahnsinnig lukrativen Parfumdeal. Ein früher "Girl Boss", die viel von Material, aber wenig von Kompromissen hielt, und deshalb mit Prada-Chef Fabrizio Bertelli, der das Unternehmen 1999 gekauft hatte, nur wenig harmonierte. Im Kopf habe sie nie aufgehört zu designen, sagte Sander kürzlich. Sehr viele Leute da draußen hoffen, dass sie die Ergebnisse möglichst nicht für sich behält.

Angriff der Superfrauen: Thierry Mugler

So ist die Mode: Stillstand ist verpönt, ewige Jugend das höchste Ziel - und Thierry Mugler hat mit dieser Losung ziemlich Ernst gemacht. Vor gut zehn Jahren erfand sich der Franzose, wie man so schön sagt, komplett neu. Der heute 72-Jährige benannte sich nach seinem zweiten Vornamen in Manfred Mugler um und veränderte sein Aussehen durch Bodybuilding und plastische Chirurgie. Über die Motive und das Gelingen der drastischen Verwandlung ist viel geschrieben und spekuliert worden - andererseits: Muglers große Zeit war damals schon vorüber. Und an deren Glanz hat auch der befremdliche Tiefpunkt nichts geändert. Das konnte man zuletzt in der Schau "Couturissime" in München bestaunen. All die Corsagen und panzerartigen Schulterpartien, die Wespentaillen, Nieten, dazu Lack und Leder: Mugler war der Designer der energiegeladenen Achtziger- und frühen Neunzigerjahre, seine extrem körperbetonten Entwürfe waren futuristisch, angriffslustig, ironisch. Schauen verwandelte er als einer der Ersten in Happenings, selbstverständlich mit der kompletten Riege der Supermodels. Eigentlich kein Wunder, dass so jemand nicht weise altern und zu sanfteren Formen übergehen kann. Ein Verkaufsschlager war und ist Muglers Parfum "Angel", beworben von der Überblondine Jerry Hall. Sein Unternehmen gehört ihm, der inzwischen als Fotograf erfolgreich ist, schon seit Ende der Neunziger nicht mehr. Aber mit Projekten wie Kim Kardashians exaltiertem Wassertropfen-Kleid von 2019 aus dem Hause Mugler kehrt er ab und zu ins Rampenlicht zurück. Nach dem Motto: Wenn, dann richtig.

Elegant zum Niederknien: Valentino Garavani

Valentino Garavani, da klingt schon der Name nach Grandezza. Und die Entwürfe des Italieners sind in den 45 Jahren seiner Karriere auch nie etwas für den bescheidenen Auftritt gewesen. Bei ihm geht es um Drama. Couture von Valentino ist die angemessene Begleitung für eine spektakuläre Flucht (Farah Diba rettete 1979 ihren Lieblingspelzmantel aus Persien ins Exil), für höfische Hochzeiten (Madeleine von Schweden, Jennifer Lopez) und die berühmteste Witwe der Welt. 1964 orderte Jacqueline Kennedy sechs Roben aus Rom, um herzzerreißend schön zu trauern. Dieser Auftrag war für den Lombarden mit Firmensitz in der Ewigen Stadt - man hält ihn wegen seines klassischen Profils, dem theatralisch umwölkten Blick immer für einen Römer - der wichtigste Deal seiner Laufbahn. Von da an lagen ihm die Berühmtheiten zu Füßen. Niemand, heißt es, hat mehr Prominenz mit mehr Gefühl für Eleganz in Chiffon, Spitze und Stickerei gehüllt als der heute 88-Jährige. Größte Erfindung: Das Rosso Valentino, ein vielkopiertes Mohnrot, perfekt ausbalanciert zwischen Pomp und frischen Nuancen. 2008 zog sich Valentino, der einen Nachnamen seit Jahrzehnten nicht mehr nötig hat, aus seinem Unternehmen zurück. Bei Schauen von Chefdesigner Pierpaolo Piccioli, seinem amtierenden und höchst erfolgreichen Nachfolger, sitzt er aber noch manchmal in der ersten Reihe. Wo sonst.

Wie der Sex in die Mode kam: Calvin Klein

Calvin Klein wuchs nur drei Blocks entfernt von Ralph Lauren auf, doch die Mode der beiden hätte nicht unterschiedlicher ausfallen können. Klein wurde Ende der Sechziger für seine minimalistischen Entwürfe bekannt, vor allem war er später einer der ersten Designer, die Jeans, Unterwäsche und nebenbei Sex verkauften: Der Werbespruch der gerade 15-jährigen Brooke Shields von 1980 - "Was zwischen mich und meine Calvins kommt? Nichts" - ist bis heute legendär. Mark Wahlberg und Kate Moss posierten Anfang der Neunziger halbnackt mit Unterhose, letztere hauchte kurz darauf in der Parfumwerbung "Obsession." Kleins Lebensweise war nicht ganz so clean wie seine Kollektionen. Nach jahrelangen Gerüchten um Alkohol- und Drogensucht machte er 1988 einen Entzug, Anfang der Nullerjahre war er erneut in Behandlung. 2002 verkaufte er seine Anteile für 400 Millionen Dollar an den Konzern PVH, zu dem auch Tommy Hilfiger gehört. Ein Jahr später war der Designer nur noch "Berater" und zog sich immer weiter aus der Öffentlichkeit zurück. Modisch erreichte die Marke nach dem Rückzug des heute 78-Jährigen leider nie wieder die gleiche Relevanz, trotz Nachfolgern wie zuletzt Raf Simons.

Die Stimmungskanone: Roberto Cavalli

Keine Ahnung, wo sich der Achtzigjährige aktuell herumtreibt, aber was Roberto Cavalli in den Neunziger- und Nullerjahren gemacht hat, ist hinlänglich belegt. Er feierte, was das Zeug hält, und entwarf die entsprechenden Roben dazu. Grundessenz: tiefe Ausschnitte, wilder Animalprint. Genauso sah dann auch die für H&M entworfene Kollektion 2007 auf dem Höhepunkt seines Erfolges aus, in deren Werbespot der schöne Satz fiel: "Ich bin die Party!" Der gebürtige Florentiner mit dem Terracotta-Teint hatte ursprünglich Textildesign studiert und erfand ein neues, revolutionäres Verfahren, um Leder zu bedrucken, das Marken wie Hermès und Pierre Cardin bei ihm bezogen. Mit 30 gründete er sein eigenes Unternehmen, eröffnete Boutiquen in Saint-Tropez und überall sonst, wo aufregende Mode gefragt war. Aber irgendwann hatten auch die Letzten ein Leoparden-Kleid im Schrank, die Marke verlor an Begehrlichkeit. 2015 verkaufte die Cavalli-Familie 90 Prozent ihrer Anteile, wechselnde Designer folgten, ohne großen Erfolg. Die richtige Party ist eben längst vorbei.

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