Süddeutsche Zeitung

Mode:Die haben was drauf

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Aufnäher, Stickereien und jede Menge Flitter: Nach Jahren der Enthaltsamkeit blüht in der Mode endlich mal wieder das Dekor. Gucci und Dolce & Gabbana machen es vor.

Von Silke Wichert

Soll noch mal einer behaupten, die jungen Leute würden heute nichts mehr selber machen. Man muss ihnen nur die richtigen Vorlagen liefern: 1000-Euro-Jeans mit am Bein hochrankenden Schlangen zum Beispiel. Röcke voller Schmetterlinge und Blumen. Oder eine Lederjacke mit Tigerkopf und Slogan hinten drauf. Schon wird geschnitten, genäht und aufgebügelt, was das Zeug hält.

Gucci-Designer Alessandro Michele hat das Kleider-Dekorieren in seinen letzten Kollektionen vorgemacht, jetzt wird es mit "DIY Gucci"-Tutorials via Youtube massenhaft nachgemacht. So ein paar Aufnäher sind schließlich kein Hexenwerk. Womöglich kann sogar die Mutter noch helfen, die früher selbst Patches von U2 oder Smileys auf Rucksack und Jeans trug. Und wer es nicht so hat mit Handarbeit - bei Zara und Topshop gibt es längst ebenfalls Denim mit diversen Stickereien. Dort hängen Jeanshosen in der eher schlichten Ein-Patch-Variante, aber auch Jacken mit unzähligen Stickern, mit Rosenranken, Mohnblumen und Sternchen. In ist eben gerade nur, wer was drauf hat.

Wer aufnäht, fällt auf

In der Branche spricht man schon länger vom "Gucci-Effekt". Als Michele das Label vor gut zwei Jahren übernahm, hat er nicht nur die eigene Marke umgekrempelt, sondern mal eben den gesamten Markt durchgerüttelt. Nach eher nüchternen, zurückhaltenden Jahren wird wieder mutiger mit Farben, Stil-Mix und vor allem Dekoration experimentiert - bei Gucci neben Bändern, Perlen und Pailletten nun eben mit Stickereien. Längst sind Tigerkopf, Biene sowie der Schriftzug "Blind for love" beziehungsweise "L'aveugle par amour" zu Markenzeichen des Renaissance-Meisters Michele geworden.

Warum gerade diese Form der Dekoration bei den Kunden so gut funktioniert, ist nicht schwer zu dechiffrieren. Im Zuge des anhaltenden Neunzigerjahre-Revivals stößt man in den Archiven irgendwann zwangsläufig auf Jacken und Hosen, die mit Aufnähern und Stickern ähnlich zugepflastert sind wie die persönlichen Jeanswesten von Motorradtreff-Veteranen. Michele selbst, so will es die Legende auf der Gucci-Webseite, hatte sich vor einiger Zeit für einen Trip nach Los Angeles wieder eine Lederjacke von Hand bestickt, sie also individuell verziert, zu etwas ganz Besonderem gemacht - womit man im Grunde sämtliche Häkchen für die aktuelle Instagram-Ära gesetzt hätte: auffallen, sich abheben, einzigartig rüberkommen.

Da allerdings nicht jeder künstlerisch begabt ist, geben die "eigene" Dekoration andere vor. Auch Valentino hat bereits seit einigen Saisons kunstvoll bestickte Jacken im Programm, das Newcomer-Label Lupe ist bei Einkäufern vor allem deshalb gerade gefragt, weil es fast ausschließlich auffällig verzierte Jacken, Blazer und Westen vertreibt. Wem die "Readymades" am Ende doch nicht mehr so individuell erscheinen, kann sich inzwischen bei vielen Anbietern Patches, Sticker und Slogans im Baukastensystem selbst zusammenstellen.

Aber gab es nicht noch eine andere Form der Verzierung in den Achtzigern und Neunzigern? Natürlich, da war doch was! "Edding auf Jeans" hieß die irre individuelle Technik, "Verschandeln" nannten es die Erziehungsberechtigten, die das Kleidungsstück im Originalzustand bezahlt hatten. Gibt's jetzt natürlich auch wieder. Von Dolce & Gabbana kommt der passende Schuh dazu, gezeigt auf der letzten Schau, seit Kurzem laufen die Vorbestellungen heiß: ein weißer Sneaker mit Nieten, Herzchen und Filzstift-Sinnsprüchen übersät, darunter "Just Pizza" oder "More, more and more".

Mehr ist also tatsächlich wieder: mehr. Diese simple Losung trifft auf die neureichen Swarovski-Eskapaden eines Philipp Plein natürlich genauso zu. Beim Gucci-Effekt geht es aber nicht um ein Mehr an vulgärem Protz, sondern eher um ein Mehr an Fantasie, an spielerischer Dekadenz und unorthodoxer Attitüde. Oder anschaulicher formuliert: Entscheidend ist hier nicht, den größten Eisbecher mit den meisten Krokantstreuseln und der längsten gerollten Waffel zu bestellen, sondern sich mit allen zur Verfügung stehenden Toppings genüsslich eine so eigenartige wie einzigartige Mischung zusammenzustellen. Was dabei mitunter herauskommt, mag zugegeben nicht für jedermann konsumierbar sein, ist aber zum Zuschauen eine große Freude. Seit einer kleinen Ewigkeit hat die Mode nicht mehr so viel Spaß gemacht.

Dieser Hang zum Überschwang kommt nicht zufällig genau jetzt so gut an. Die Welt da draußen - Syrien, Trump und so weiter - ist schon deprimierend genug. Kaum jemand schlägt noch bewusst über die Stränge, stattdessen: bewusste Ernährung, Vollkasko-Absicherung, vernünftiges Miteinander. Es einfach mal knallen lassen - wo geht das schon noch? Umso dankbarer ist das Ventil, dass die Mode nach Gucci hier bietet. Die Ästhetik aus gestuften Prom-Dresses mit goldenen Handschuhen, Pastell-Anzügen mit Logo-Gürtelschnalle zu schlangenverzierten Loafern oder eben überdekorierten Jacken und Hosen ist das Gegengift zur Weltuntergangsstimmung. Und das Beste: Zu Schaden kommt durch das stilistische Freidrehen ja erst mal keiner.

Fröhliche Kleidung sorgt für bessere Laune

"Dopamin-Dressing" nannte die englische Ausgabe der Zeitschrift Grazia diese Art, sich anzuziehen. Accessoires, die einen schmunzeln lassen, zum Beispiel Taschen mit Blumengurt und buntem Fell-Puschel von Fendi, kleine Elefanten-Geldbörsen von Loewe in Schweinchenrosa oder Kombinationen, die so schräg wie absolut entwaffnend sind. Besonders anschaulich wird das in einem Look aus Dolce & Gabbanas Männerkollektion für den kommenden Herbst: Strickmütze zu Talisman-Kettchen und an fast jedem Finger ein Ring, T-Shirt mit psychedelischem Print, Rucksack in Form eines Kuscheltier-Leoparden, Logo-Gürtel - einmal kurz Luft holen, es geht nämlich noch weiter! -, dazu High-Top-Sneakers mit Gürtelschnallenverschluss und Graffiti-Slogan zur grauen Anzughose. Wer beim Betrachten dieser Mode-Orgie nicht spontan errötet, dem ist nicht zu helfen.

Kleidung kann tatsächlich aufs Gemüt schlagen, sagen Psychologen. Allerdings muss man selbst fest daran glauben, dass Outfits in Technicolor-Farben, wie frisch aus dem Gute-Laune-Film "La La Land" importiert, die Stimmung heben, damit wir uns darin de facto optimistischer fühlen. Das Prinzip "Dopamin-Dressing" funktioniert also ähnlich wie das der Glücksbringer. In jedem Fall wirkt Kleidung auf das direkte Umfeld, und wenn die Leute von etwas berauscht oder entzückt sind, senden sie das wiederum dem Träger zurück. Umgekehrt gilt dummerweise das Gleiche: Wer sich von großflächigen Schlangen, Tigern, Bienen oder sonstiger Dekoration seines Gegenübers irritiert fühlt, spiegelt ihm genau dieses Unverständnis zurück. Was schlimmer wäre, überforderte Betrachter oder gar nicht aufzufallen, muss jeder selbst entscheiden.

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Quelle:
SZ vom 18.02.2017
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