Süddeutsche Zeitung

Ladies & Gentlemen:Alter!

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Andie MacDowell, 63, überrascht in Cannes mit elegantem grauen Haar, Jarvis Cocker, 57, führt auf dem Filmfestival einen gesetzten Smoking aus. Wer braucht da noch junge Wilde?

Von Julia Werner und Jan Kedves

Wenn man nach dem Applaus geht, den die schöne Andie MacDowell auf dem roten Teppich in Cannes auslöste, dann ist der nächste Haartrend Grau. Zu Recht, denn die 63-Jährige sah absolut Bombe aus. Sie nutzte die Lockdown-Misere zum Rauswachsenlassen ihrer Naturhaarfarbe, die jetzt eben nicht mehr Brünett ist. Solche Vorbilder braucht die vom monatlichen Friseurbesuch getriebene Frau natürlich. Nichts wächst schneller als Haare. Wer gegen Grau kämpft, kann auf dem Kopf das eigene Leben vorbeirauschen sehen. Solche Go-Grey-Euphorien gibt es schon seit Jahren immer wieder. Sehr schöne Frauen befreien sich und damit, so scheint es, einen großen Teil der weiblichen Bevölkerung. Aber. Bevor sich normalsterbliche Schönheiten jetzt zum Ergrauen berufen fühlen wie diese Lichtgestalt: Bitte ein paar wichtige Punkte in die Überlegungen einbeziehen. Erstens: Die Frau hat immer noch ein Lächeln wie ein junges Mädchen. Wer kann das nach all den Bitterkeiten des Lebens schon von sich behaupten? Zweitens: Sie trug an den beiden Cannes-Abenden Funkelndes von Prada und Versace. Das knallt natürlich gut gegen graues Haar. Ein ausgeleiertes Sweatshirt tut das aber nicht. Wie groß ist also der Wille, sich in der zweiten Lebenshälfte in der Öffentlichkeit noch mal so zusammenzureißen? Drittens: MacDowell war perfekt geschminkt. Ein Ausgang ohne leuchtend roten Lippenstift oder Smokey Eyes ist mit Oma-Haar möglich, aber sinnlos. Vielleicht ist die Warterei beim Friseur doch das kleinere Übel.

Den Musiker Jarvis Cocker hatten die Fotografen am roten Teppich von Cannes sicherlich nicht ganz oben auf ihrer Strichliste. Aber wenn man es sich kurz überlegt, ist er bei der Premiere eines neuen Wes-Anderson-Films der perfekte Gast. Denn in den Neunzigerjahren hatte ein neues Pulp-Album ungefähr die gleiche popkulturelle Durchschlagskraft wie die Premiere eines Wes-Anderson-Films heute. Und diese Musik war damals immer auch eine Mischung aus Ironie und tieferer Bedeutung, genau wie die Filme. Außerdem reihte sich Cocker in seiner ganzen exzentrischen Gewitztheit natürlich hervorragend in die Star-Clique des Films "The French Dispatch" ein. Er sieht ja zufällig genauso aus, als hätte man Wes Anderson und Bill Murray miteinander verschmolzen. Man knabbert aber schon ein wenig daran, dass der Inbegriff des einstigen "Cool Britannia", dieser ehemals schönste Pop-Dandy der Welt, nun doch erkennbar auf die 60 zugeht. Aber solange er das in so blendender modischer Verfassung tut, ist es verschmerzbar. Sein tadellos klassischer Smoking inklusive Kummerbund und obligatorischen Lackschuhen war bei den ganzen modischen Aberrationen an der Croisette jedenfalls sehr wohltuend. Es liegt sicher nicht am leicht gebläuten Hemd, dass Cocker darin trotzdem subversiv aussah und keineswegs wie ein Ehemaliger. Oder, wie man in diesen Tagen sagen würde: Er ist immer noch ansteckend. Im besten Sinne. Bleibt nur die Frage, was in Zukunft wahrscheinlicher ist - ein neues Pulp-Album oder Cocker als Darsteller im nächsten Wes-Anderson-Film?

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